Halbfinale bei der Handball-EM: Deutschland gegen Norwegen: Das Erwachen der Mächte
Deutschland und Norwegen überraschen bei der Handball-EM – jetzt treffen sie im Halbfinale aufeinander.
Von der Statur her geht Anders Eggert problemlos als Skispringer durch. Der dänische Linksaußen passt so gar nicht zu den Menschenschränken, die seit einigen Jahren Europas große Handball-Hallen bevölkern, und nach allem, was von Eggert aus neun Jahren beim Bundesligisten SG Flensburg-Handewitt bekannt ist, entspricht sein Erscheinungsbild auch seinem Wesen. Der Rechtshänder ist ein besonnener Zeitgenosse, der nicht meckert oder pöbelt, sondern stets mit sportlicher Erhabenheit Antworten auf kritische Situationen findet. So weit jedenfalls zur Theorie.
In der Praxis hat das am Mittwochabend, im Endspiel um den Halbfinal-Einzug bei der Europameisterschaft in Polen, ganz anders ausgesehen. Da lieferte sich Eggert ein heftiges Wortgefecht mit Fabian Wiede aus dem deutschen Team, zwischen die Nasen der beiden hätte vielleicht ein Blatt Papier gepasst, mehr aber nicht. Was sich Eggert, 33, und Wiede, 21, genau an den Kopf warfen, ist leider nicht überliefert, im Gegensatz zum Ausgang des Duells. Irgendwann gab der Däne einfach auf, schüttelte den Kopf und trottete zur Ersatzbank. Da waren noch fünf Minuten zu spielen – in der ersten Halbzeit. Die Deutschen, sie hatten den großen Favoriten aus Dänemark mit ihrer giftigen Art komplett entnervt. Auch Finn Lemke und Mikkel Hansen gerieten mehrfach aneinander, dabei provozierte der deutsche Abwehrspezialist sein Gegenüber einmal mit einer derart dreisten Geste, dass man sich schon fragen musste, wer hier eigentlich gerade sein 22. Länderspiel bestreitet und wer der ehemalige Welthandballer ist. Lemke schob zwei, drei Mal sein Kinn nach vorn, als wollte er sagen: Na komm her, mir doch egal, wer du bist!
Die Szenen passten zum furchtlosen Auftritt der Deutschen bei der EM, die nun am Freitag mit dem Halbfinal-Duell gegen Norwegen (18.30 Uhr, ZDF) ihre Fortsetzung findet. Sie fügten sich aber auch ins Gesamtbild dieses finalen Hauptrundenspieltags in Breslau und Krakau, der die letzten vier Verbliebenen hervorbringen sollte. Nicht nur das deutsche Team begehrte gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner auf, auch in der anderen Gruppe gab es große Überraschungen: Gastgeber Polen etwa verabschiedete sich mit einer desaströsen Vorstellung gegen Kroatien (23:37) von der EM im eigenen Land, der deutsche Trainer Michael Biegler zog einen Tag später die Konsequenzen und trat zurück . Darüber hinaus ist das Turnier auch für den amtierenden Europameister, Olympiasieger und Weltmeister Frankreich beendet. Das dominanteste Team des letzten Jahrzehnts muss nach einer 24:29-Niederlage gegen Norwegen ebenfalls frühzeitig die Heimreise antreten.
Alle Titelkandidaten sind ausgeschieden
Dänemark, Polen, Frankreich also – abgesehen von den Spaniern, die am Freitag im zweiten Halbfinale auf Kroatien treffen, sind damit alle Teams ausgeschieden, die vor der EM als Titelkandidaten gehandelt wurden. „Darauf hätte ich vor dem Turnier vielleicht mal wetten sollen“, sagte der deutsche Kreisläufer Jannik Kohlbacher mit einem Augenzwinkern, „dann wäre ich jetzt ein reicher Mann.“ Mit dem großen Abschied der Favoriten haben sich die über Jahre zementierten Machtverhältnisse im internationalen Handball tatsächlich verschoben, jedenfalls für den Moment.
Die deutsche Nationalmannschaft steht zum Beispiel erstmals seit 2008 wieder in einem EM-Halbfinale, damals belegte sie in der Endabrechnung Rang vier. Für die Norweger ist das Duell am Freitag sogar eine Premiere: Die besten Ergebnisse des Männerteams bei großen Turnieren datieren aus den Jahren 1958 (Sechster bei der WM) und 2008 (Sechster bei der EM). Bislang sind die Skandinavier vor allem als Dauersieger im Frauenhandball aufgefallen. Jetzt verfügen sie auch im männlichen Bereich über eine Auswahl mit realistischen Chancen auf den Finaleinzug – eine kleine Sensation, durchaus vergleichbar dem Abschneiden der Deutschen.
Überhaupt gibt es erstaunliche Parallelen zwischen beiden Mannschaften. „Sie haben auch viele junge und hungrige Spieler“, sagt Bundestrainer Dagur Sigurdsson über den kommenden Gegner, „und sie haben die richtige Welle abgepasst.“ Seit der Niederlage zum Auftakt gegen Island haben die Norweger – genau wie die Deutschen – im weiteren Turnierverlauf alle ihre Spiele gewonnen, unter anderem gegen Polen und Frankreich. „Deshalb gibt es für mich jetzt auch keinen Favoriten und keinen Underdog“, sagt Sigurdsson, „die Mannschaften, die jetzt im Halbfinale stehen, haben sich das wirklich verdient.“
Bei den Norwegern wird in erster Linie Trainer Christian Berge für den Aufschwung verantwortlich gemacht – noch so eine Parallele zu den Deutschen. Berge ist, genau wie Sigurdsson, 42 Jahre jung, gilt als innovativer und kommunikativer Typ mit klaren Vorstellungen und hat den Großteil seiner Karriere in der Bundesliga verbracht, bei der SG Flensburg-Handewitt. Auch ein beträchtlicher Teil seiner Spieler verdient ihr Geld in Deutschland oder hat zumindest einmal Station in der Bundesliga gemacht.
Die Norweger und die Deutschen haben im Moment vielleicht noch nicht die ganz großen Namen des Welthandballs in ihren Reihen, eines ist aber sicher: einander kennen sie gut.
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