DFB-Pokal: Deshalb bleibt der Rasen bei Hertha BSC erstmal liegen
Hertha fiebert dem Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund entgegen. Und Manager Michael Preetz kitzelt den Gegner mit einem Tweet.
"Prost auf das Heimspiel“, twitterte Pal Dardai mitten in der Nacht. Draußen war es eiskalt im verschneiten Heidenheim. Im Mannschaftshotel, wo Hertha BSC fußläufig von der Fußballarena Unterkunft gefunden hatte und nach dem 3:2 beim ortsansässigen Zweitligisten die Halbfinal-Auslosung am Fernseher verfolgte, dampfte es vor Glück, Aufregung und Zufriedenheit. Gleich das erste Los trug den Namen Hertha, was so viel bedeutete, dass die Berliner für das so wichtige Spiel Heimrecht haben würden. Es gab einen kleinen Aufschrei der Begeisterung in der Berliner Reisegruppe. Das war es ja, was sie sich gewünscht hatten. Endlich ein Heimspiel im Pokal und damit eine günstigere Aussicht, den Traum vom Finale wahr werden zu lassen.
Pal Dardai ist kein ausgemachter Freund der neuen digitalen Mitteilungskanäle, aber der Moment forderte das ein. Hertha hat nach 35 Jahren wieder ein Pokal-Halbfinale erreicht und empfängt – vermutlich am 20. April – Borussia Dortmund. „Für unsere Fans und unsere Stadt bedeutet das viel“, sagte Dardai und genehmigte sich ein Gläschen Rotwein.
Das Binnenklima ist prima
Der Berliner Ungar war gerade fünf Jahre alt geworden, als Hertha das bisher letzte Mal ein Pokal-Halbfinale bestritt – und bei Eintracht Frankfurt ausschied. Als er vor ziemlich genau einem Jahr vom Trainer der vereinseigenen U-15-Mannschaft zum Cheftrainer der Profis berufen wurde, steckte Hertha im Abstiegskampf und drohte zum dritten Mal in diesem Jahrtausend in die Zweitklassigkeit zu stürzen. Unter Dardai konnte die Mannschaft dieses Schicksal gerade so abwenden. Berlins führendes Fußballunternehmen blieb erstklassig, doch galt es vielen Fußballfans in diesem Land auch für die neue Saison als Abstiegskandidat. Eine gute Halbserie weiter steht Hertha auf dem dritten Tabellenplatz, direkt hinter den deutschen Fußballgroßmächten aus München und Dortmund. Und das nicht mal durch Zufall.
Und so ist es eben auch kein Zufall, dass Hertha nun auch unter den letzten vier im Pokalwettbewerb steht. Pal Dardai hat dieser Mannschaft Handschrift und Haltung verpasst. Sie ist lern- und einsatzwillig, das Binnenklima ist prima, die Leistungsbereitschaft hoch. In dieser Form zählt Hertha momentan zu den deutschen Spitzenteams.
Es gehört zum neuen Selbstbewusstsein Herthas, dass Michael Preetz noch in der beschwingten Pokalnacht einen Tweet zum zugelosten Halbfinalgegener absetzte. „Lieber BVB, wir wollten unseren Rasen wechseln aber jetzt lassen wir ihn liegen, bis ihr kommt“, twitterte der Manager.
„Der Nächste bitte!“
Nicht mal eine Woche ist es her, dass Hertha in der Bundesliga die Borussia aus Westfalen zu Gast hatte. 0:0 hieß es am Ende, was sich für die Berliner anfühlte wie ein kleiner Erfolg. Das Hinspiel in Dortmund war noch 1:3 verloren gegangen. Und jetzt war es den Berlinern als erste Mannschaft in dieser Spielzeit gelungen, gegen die beste Offensive der Bundesliga kein Gegentor zu kassieren. Leicht genervt beschwerte sich der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel hinterher über den Zustand des Rasens im Olympiastadion.
„Der Nächste bitte!“, stand nach dem Abpfiff in Heidenheim auf den eilig übergestreiften Siegertrikots der Berliner. Eine kühne Botschaft, die aber nicht großspurig rüberkam, sondern sich aus dem neuen Selbstzutrauen speist. Es ist ein Selbstzutrauen, das Hertha nicht so sehr aus den Pokalauftritten dieser Saison, sondern vielmehr aus dem Liga-Alltag bezieht. In den ersten vier Pokalrunden wurden den Berlinern jeweils Zweitligisten zugelost. Entschuldigen oder gar schämen müssen sie sich dafür nicht. Erst recht nicht mit Blick auf die eigene, an Blamagen so reichhaltige Pokalhistorie.
Im Pokal herrschen bekanntlich andere ... Gesetze, genau! Und eines besagt ganz offenbar, dass Hertha das Finale, das seit 1985 im heimischen Olympiastadion gespielt wird, nie erreichen wird. Lediglich die Amateure des Vereins brachten dieses Kunststück 1993 fertig. Sie unterlagen zwar damals Bayer Leverkusen, doch noch heute gilt dieses Finale den Berlinern als eine Sternstunde.
1977 und 1979 scheiterte Hertha erst im Finale
Hertha ist nun dabei, sich etwas aufzubauen, gerade im prestigeträchtigen Pokalwettbewerb, in dem der Klub eine geradezu abenteuerliche Bilanz aufzuweisen hat. In der jüngeren Vergangenheit hat Hertha im Saison-Etat stets mit zwei Pokalrunden kalkuliert. Mit dem Ergebnis, dass die Mannschaft sich in schöner Regelmäßigkeit an diese Vorgabe hielt und meist in der zweiten Runde ausschied – vorzugsweise bei unterklassigen Vereinen wie Stendal, Kiel, Wuppertal oder Worms.
Man kann sich vielleicht vorstellen, wie überrascht sie also auch bei Hertha waren, als Pal Dardai im vorigen Sommer öffentlich und allen Ernstes darüber sprach, das Pokalfinale mal nicht nur als Zuschauer erleben zu wollen. Es sei sein Traum, das Olympiastadion als Finalteilnehmer zu erreichen. Auf dem Weg dahin hat er erst seine Mannschaft für diesen Traum gewonnen und spätestens jetzt auch die Stadt.
„Glückwunsch“, schrieb der Online-User „uwemohrmann“, „wenn Hertha ins Finale kommt, werde ich mich bemühen, eine Endspielkarte zu bekommen, das wäre das erste Mal seit 1978, dass ich mir ein Hertha-Spiel anschaue.“ Hertha erlebte damals eine Hochzeit. 1977 und 1979 hatte Hertha jeweils die Pokalendspiele erreicht, zum Pokalgewinn langte es beide Male nicht. Doch anders als später war Hertha damals noch eine große Nummer im deutschen Fußball. 1975 Vizemeister, 1978 nochmals Dritter. 1979 scheiterte Hertha im Halbfinale des Uefa-Pokals nur durch die Auswärtstorregel an Roter Stern Belgrad.
Einnahmen von vier Millionen Euro
„Das Halbfinale war nicht unser Ziel“, sagt nun der aufstrebende Mitchell Weiser. Das Erreichen des Pokalhalbfinals kann psychologisch noch ganz wertvoll werden. Wirtschaftlich ist es das jetzt schon. Bisher hat Hertha rund vier Millionen Euro sicher eingespielt, obendrauf kommen die anteiligen Einnahmen aus einem sicher ausverkauften Olympiastadion gegen Dortmund. Doch die neue Hinwendung und das neue Interesse, das Hertha gerade erfährt, ist ein hohes, weil selten erlebtes Gut für diesen Verein, der vielen in der Stadt wahlweise als Skandalnudel, Pokal-Lachnummer, graue Maus oder Fahrstuhl-Mannschaft gilt. Es wäre wünschenswert, dass Hertha bis zum Halbfinale weiterhin gut in der Liga bestehen könnte. Dann kann das Spiel gegen Dortmund zu einem ganz großen Fest werden. Am Samstag drauf gastiert der FC Bayern bei Hertha. Es ist das dann der viertletzte Spieltag der Saison, vielleicht hält sich Hertha bis dahin auch noch aussichtsreich im Kampf um die Qualifikation zur Champions League.
In der Pokalnacht von Heidenheim ist der Berliner gefragt worden, ob es denn wirklich stimme, dass er das nationale Pokalfinale einer Qualifikation zur Champions League vorziehen würde. Pal Dardai nickte. „Wir sind sehr fixiert auf diese Sache“, sagte er, „das kann ein ganz wichtiger Schritt für unseren Verein sein.“
Natürlich würde die Teilnahme an der Gruppenphase der Champions League deutlich mehr Geld in die Kassen des Vereins spülen, aber ein Pokalsieg könnte für das Image den größeren Wert darstellen. Der andere Titel in Deutschland, den des Meisters, ist für einen Verein wie Hertha unerreichbar geworden, zu groß ist die Kluft in vielerlei Hinsicht zu Vereinen wie Bayern München, Borussia Dortmund, Schalke 04 oder VfL Wolfsburg. Zwei, drei Mannschaften dieser Kategorie nach 34 Spieltagen hinter sich zu lassen, wäre schon ein kleines Fußballwunder. Im Pokal aber fehlen Hertha dafür nur noch zwei Siege.