zum Hauptinhalt
Servus, mach's guat! Mario Götze (r.) ist unter Trainer Jürgen Klopp zum Star der Dortmund-Elf geworden. Jetzt ist er auch von seinem Förderer nicht mehr zu halten.
© dpa

Mario Götze: Der Zauberlehrling geht

Vor drei Jahren spielte er zum ersten Mal in der Bundesliga. Da war Mario Götze 17. Mit 18 wurde er Meister, mit 19 nochmals. Jetzt hat der FC Bayern das größte Talent des deutschen Fußballs geholt - diese Nachricht kommt zum schlechtesten Zeitpunkt: vor dem Halbfinale heute gegen Real Madrid.

Die Bühne gehört Jürgen Klopp. Klopp ist der Trainer von Borussia Dortmund, er wirkt etwas aus der Zeit gefallen, wie er da über ein Fußballspiel redet, das in einer anderen Zeit stattgefunden hat, nämlich vor zwei Wochen. Dieses 3:2 über den FC Malaga, mit zwei Toren in der Nachspielzeit, ebnete Dortmund den Weg ins Halbfinale der Champions League, in dem es am Mittwochabend gegen Real Madrid geht. Das erste Spiel einer neuen Zeit. "Ich weiß es seit dem Donnerstag nach dem Malaga-Spiel", sagt Klopp, "ich hatte also genau einen Tag Zeit, mich zu freuen."

ES. Das ist der Verlust seines besten, begabtesten und begehrtesten Spielers. Das Ende der Illusion, Borussia Dortmund könne langfristig zu einer ernsthaften Bedrohung für den FC Bayern München aufsteigen. Der Schlag mit dem Hammer vor das Knie, und das im Augenblick des totalen Glücksrausches, wie er Dortmund nach dem Wunder gegen Malaga erfasst hatte. Vergessen und vorbei. Weil ein 20-Jähriger gehen wird und mit ihm diese Gemengelage aus Hoffnungen und Wünschen und Träumen.

Campino, der Frontmann der Toten Hosen, hat mal gesungen: "Ich meine, wenn ich 20 wär, und super-talentiert, und Real Madrid hätte schon angeklopft, und die Jungs aus Manchester. Und ich hätte auch schon für Deutschland gespielt und wär' mental topfit, und Uli Hoeneß würde bei mir auf der Matte stehn. Ich würde meine Tür nicht öffnen, weil's für mich nicht in Frage kommt, sich bei so Leuten wie den Bayern seinen Charakter zu versaun."

Es scheint, als seien diese Textzeilen für diesen einen Spieler geschrieben worden: Mario Götze ist 20, das größte Talent des deutschen Fußballs, er steht nicht für das aufregende Projekt Borussia, er ist das Projekt Borussia. Der Junge, der schon als Neunjähriger für Dortmund gespielt hat, der bei seinen Eltern in Dortmund wohnt und unter dessen Führung die Spielkameraden Marco Reus, Mats Hummels oder Marcel Schmelzer seit bald zwei Jahren zeigen, dass Spitzenfußball in Deutschland kein Synonym ist für Bayern München.

Das ist Mario Götze.

Und doch hat er Uli Hoeneß die Türe geöffnet, als der Bayern-Präsident auf der Matte gestanden hat. Nicht nur das, er hat ihn auch hereingebeten und einen Vertrag unterschrieben. Diese Nachricht kam in der Nacht zu Dienstag über Dortmund, und sie kam mit einer Wucht, wie sie die Stadt und ihre Fußballfans nicht einmal die Gewinnwarnung des börsennotierten Unternehmens Borussia Dortmund trafen. Damals, vor bald zehn Jahren, als der Verein beinahe Pleite gegangen wäre.

Mario Götze zum FC Bayern München – das ist für die Dortmunder, als würde der Papst zum Islam konvertieren.

Schon in ein paar Wochen, im kommenden Sommer, wird Götze nicht mehr das Dortmunder Schwarz-Gelb tragen, sondern im roten Trikot des Branchenführers auflaufen. Eigentlich hat Deutschlands größtes Fußballtalent noch einen Vertrag bis ins Jahr 2016, doch die Münchener profitieren von einer Ausstiegsklausel, die es ermöglicht, den Spieler für eine festgeschriebene Ablösesumme von 37 Millionen Euro aus dem Vertrag zu kaufen.

Genau das haben die Bayern nun gemacht. Es heißt, Götze sei der erklärte Wunschspieler des neuen Trainers Pep Guardiola. "Die Chance, unter einem so außergewöhnlichen Trainer trainieren zu können, wollte er sich nicht entgehen lassen", sagt Jürgen Klopp, und verzichtet auf sein sonst so typisches hintersinnig-kokettierendes Lächeln. Der Mann ist sich seiner Wirkung sonst bewusst, zumindest im Revier. Als die Bayern Guardiolas Verpflichtung bekanntgaben, gratulierte der Dortmunder Boss Hans-Joachim Watzke zwar, mochte aber nicht auf die Bemerkung verzichten, "dass wir mit Jürgen Klopp den für Borussia Dortmund besten Trainer der Welt haben".

Für Mario Götze war er offensichtlich nicht mehr gut genug.

Klopp: "Nur vier Stunden vor dem Spiel wäre es noch schlimmer gewesen"

Dortmund hat den Wechsel inzwischen offiziell bestätigt, Götze und sein Berater Volker Struth setzten den Noch-Meister einige Tage zuvor in Kenntnis: "Wir sind natürlich über alle Maßen enttäuscht", sagt Geschäftsführer Watzke, betont aber, "dass sich sowohl Mario als auch sein Berater absolut vertragskonform verhalten haben".

Es war die mit dem FC Bayern bestens verbandelte "Bild"-Zeitung, die das Dortmunder Publikum erschütterte mit der Meldung, ihr Zauberlehrling sei sich mit den Bayern einig geworden. Und doch wirft dieser Wechsel und vor allem der Zeitpunkt seiner Bekanntgabe eine Menge Fragen auf: Schließlich haben die Dortmunder am Mittwoch gegen Real Madrid ein nicht ganz unbedeutendes Fußballspiel zu bestreiten. Dieses Halbfinal-Hinspiel hätte im Normalfall die halbe Welt elektrisiert, nämlich die Hälfte, die sich für Fußball interessiert. Am Tag davor spricht nun niemand mehr davon.

Zu Beginn der turnusgemäßen Pressekonferenz in Dortmund bittet Pressesprecher Sascha Fligge, "aus Respekt vor dem Wettbewerb und vor der Mannschaft darum, ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch Fragen zum Spiel zu stellen".

Natürlich dreht sich alles um Götze.

Jürgen Klopp sagt, der Schaden liege "auf einer Skala von eins bis zehn bei neun, nur vier Stunden vor dem Spiel wäre es noch schlimmer gewesen. Aber jetzt ist es raus, jetzt können wir Fußball spielen."

Glücklich sieht Klopp dabei nicht aus, was schon einmal deswegen bemerkenswert ist, weil Klopp eigentlich immer glücklich aussieht, wenn er nicht gerade an der Seitenlinie auf und abtigert. Jetzt ist es sein Job, die massiven Nebengeräusche auszublenden und seine Mannschaft auf 90 Minuten Fußball vor einem Milliarden-Publikum vorzubereiten. "Wir werden alles dafür tun, dass alle, die uns bei der Vorbereitung zu diesem Spiel stören wollen, keinen Erfolg haben werden."

Leicht ist das nun wirklich nicht, und es stellt sich die Frage, wer dieses Störfeuer gelegt hat. Die naheliegende These dürfte die sein, dass die brisante Meldung vom FC Bayern München lanciert wurde, um vor dem Spiel gegen Barcelona von der ebenso brisanten Nachrichtenlage um Präsident Uli Hoeneß abzulenken. Die Münchner bestätigten die spektakuläre Personalie mit einer bemerkenswert nüchtern formulierten Pressemitteilung: "Der FC Bayern ist bereit, die zwischen Borussia Dortmund und Mario Götze vereinbarte Ausstiegsklausel zu erfüllen." Aber selbstverständlich habe der Klub aus Rücksicht auf das anstehende Halbfinale der Dortmunder dies erst nach den Halbfinals mitteilen wollen.

Der Scoop mit Götze wirkt auch ein wenig befremdlich vor dem Hintergrund, dass Hoeneß vor dem Bekanntwerden seiner fiskalen Probleme in einem Interview mit dem Fachmagazin "Kicker" für mehr Wettbewerb in der Liga plädiert hatte. Mit dem schönen Argument, er befürchte Verhältnisse wie in Spanien, wo die beiden Topklubs FC Barcelona und Real Madrid die Meisterschaft mit enervierender Regelmäßigkeit unter sich ausmachen und den Rest der Liga zu Komparsen degradieren. Er wolle das Ganze mit dem Dortmunder Hans-Joachim Watzke nach der Saison erläutern und nach Lösungen fahnden.

Jürgen Klopp hat damals schon gewusst, was da in Sachen Götze auf ihn zukommt. Und Hoeneß deshalb mit der sinnigen Bemerkungen geantwortet, er erwarte allenfalls Verhältnisse wie in Schottland. Dort kommt allein Celtic Glasgow für die Meisterschaft infrage, seitdem der stadtinterne Rivale Rangers Konkurs gegangen ist. Droht nun ein sportlicher Konkurs für Borussia Dortmund? Der Kurs der BVB-Aktie sank schon Stunden nach dieser neuerlichen Gewinn-Warnung, es war die schmerzlichste seit dem Fast-Konkurs im Jahr 2004.

Was macht diesen Fußballspieler so begehrt, dass er das ganze Land in Aufregung versetzen kann? Es ist wohl einfacher, ihn zu beschreiben als ihn zu erklären. Oberflächlich besticht Götze durch seine Kreativität, durch sein angeborenes Talent, einem Spielzug Tempo und den entscheidenden Dreh zu verleihen. Götze hat Füße von selten gesehener Geschicklichkeit. Dazu ist er nicht besonders groß, was ihn wendig und geschmeidig macht. Das ist der Fußballspieler Götze, wie ihn Millionen Fans allwöchentlich im Fernsehen begutachten. In dieser Saison hat er für die Dortmunder schon zehn Tore erzielt und zwölf weitere vorbereitet hat. Doch es sind nicht diese Zahlen, die ihn besonders machen. Solche Werte erreichen auch andere, Spieler wie sein Dortmunder Kollege Marco Reus oder die Münchener Toni Kroos und Thomas Müller.

In Dortmund haben sie ihn geliebt, wie werden sie jetzt mit ihm umgehen?

Bei Kroos ist es die ausgefeilte Ballbehandlung, bei Reus die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor und bei Müller diese gradlinige Einfachheit seines Spiels. Bei Götze vereinigt sich all das zu einem Gesamtkunstwerk. Er spielt seine zauberhaften Pässe noch, bevor andere sie überhaupt in Erwägung gezogen haben. Dabei wirkt Götze auf dem Platz oft abwesend. Minutenlang bewegt er sich beinahe phlegmatisch im scheinbar nutzlosen Raum. Doch in einer Winzigkeit kann er diesen Eindruck in sein Gegenteil wenden. Wenn er mit einer halben Drehung oder einem halben Schritt genau da steht, sodass er den Ball magisch anzieht. Dabei sind Ball-Annahme, -Mitnahme und -Weitergabe oftmals eins. So wird der Lauf des Balls nicht unterbrochen, sondern er fließt.

Vor gut eineinhalb Jahren stoppte eine tückische Verletzung diesen Fluss. Erst kurz vor der Europameisterschaft im Sommer 2012 kehrte er auf den Platz zurück. Es reichte nur noch zu drei Bundesligaspielen, in denen Götze etwas massiger und auch etwas träger wirkte. Bundestrainer Joachim Löw nahm ihn dennoch mit zum Turnier nach Polen und in die Ukraine. In der Vorrunde blieb Götze auf der Ersatzbank, es lief ja auch ohne ihn. Im Viertelfinale gegen Griechenland kam er zu einem Kurzeinsatz, mehr so zum Einspielen fürs Finale gegen Spanien. Bekanntlich kam etwas dazwischen, nämlich das verlorene Halbfinale gegen Italien.

Den anschließenden Tsunami der öffentlichen Kritik hat Götze schon mal wegen seiner kurzen Einsatzzeit so gut überstanden wie niemand sonst in der Mannschaft. Inzwischen führt für den Bundestrainer kein Weg mehr vorbei an Götze. Und das, obwohl die kreative, offensive Abteilung der Nationalmannschaft mit Spielern wie Kroos, Reus und Mesut Özil übervoll ist. Zuletzt spielte er als verkappten Stürmer, als einer, der immer anspielbar ist, der Bälle halten und verteilen kann, der selbst den Abschluss sucht, der über die gegnerischen Verteidigerbeine hinwegzufliegen scheint.

Auf dem Fußballplatz hat Mario Götze noch jedes Problem gelöst. Spielend und spielerisch. Wie aber wird er umgehen mit einem Problem, das durch eine Indiskretion jenseits des Fußballplatzes entstanden ist?

In Dortmund stellen sie Fragen nach seiner Glaubwürdigkeit. Noch zu Jahresbeginn hatte Götze zu Protokoll gegeben, er könne sich vorstellen, seine Karriere bei der Borussia zu beenden: "Ich bin hier aufgewachsen, fühle mich in der Stadt sehr wohl, habe Freunde und Familie dort. Das alles spricht für Dortmund und den BVB." So hat er es im Interview mit der "WAZ" erzählt. Dreieinhalb Monate ist das jetzt her.

Für den Verein Borussia Dortmund ist die Personalie Götze ein Schlag ins Gesicht, für die Fans ein Stich ins Herz. Beim BVB haben sie sich vor Jahren den Slogan "Echte Liebe" gegeben, obwohl den Machern bewusst ist, dass sich die Unterhaltungsbranche Fußball in erster Linie über Geld definiert.

Das Geld wird kaum den Ausschlag gegeben haben. In Dortmund hat Mario Götze fünf Millionen Euro jährlich verdient, in München sollen es sieben sein.

In Dortmund haben sie ihn geliebt, aber wie werden sie jetzt mit ihm umgehen? Werden sie pfeifen, schweigen, weinen?

Mario Götzes Vater, ein Mathematik-Professor, hat über seinen Sohn einmal gesagt, am besten sei er in den ganz wichtigen Spielen. Am Mittwochabend steht das bisher wichtigste seiner noch jungen Karriere an. Im Halbfinale der Champions League, gegen Real Madrid – und auch gegen 80.000 Dortmunder Fans?

Nicht nur für Mario Götze ist es das erste Spiel einer neuen Zeit.

Erschienen auf der Reportage-Seite.

Zur Startseite