Hertha-Trainer Pal Dardai: Der "Herthabekloppte" ist einer für alle
Für Pal Dardai hat es in Deutschland immer nur Hertha BSC gegeben. Jetzt hält er als Trainer das Team und den Verein zusammen. "Einfach ein guter Mensch", sagt sein Assistent.
Fischgrätparkett, tiefe Ledersessel, Vintage-Möbel und blanke Ziegelwände: Hertha BSC, gegründet vor beinahe 125 Jahren in Prenzlauer Berg, traditionell verortet im rauen Wedding und seit Jahrzehnten im beschaulichen Westend zu Hause, macht jetzt auch ein bisschen auf Berlin-Mitte. Der Fußball-Bundesligist hat sich im Sommer in einen sogenannten Co-Working-Space auf der Friedrichstraße eingemietet. Dort, wo die kreative Szene der Stadt nur einen Schreibtisch braucht und einen schnellen Internetanschluss, um dem nachzugehen, was sie Arbeit nennt.
Bisher gab es nicht viele Überschneidungen zwischen dieser Szene und dem größten Verein der Stadt. Denn wenn Hertha eins nicht ist, dann ein Klub für die bärtigen Hipster und Start-up-Gründer. Aber das soll sich ändern. Digitale Transformation nennen sie das bei Hertha.
Die Neuausrichtung genießt besondere Priorität. Herthas Aktivität in den sozialen Medien hat spürbar zugenommen. Selbst vor Pal Dardai hat diese Entwicklung nicht Halt gemacht. Seit Januar des vergangenen Jahres verfügt er über einen Twitter-Account. Er war der erste Bundesligatrainer, der dieses Medium genutzt hat. Aber besonders enthusiastisch tut er das nicht. Auf gerade 81 Tweets kommt der Ungar in etwas mehr als 14 Monaten, was vielleicht auch daran liegt, dass er nicht selbst twittert, sondern twittern lässt. Was unter @paldardai verbreitet wird, ist eben eins ganz sicher nicht: Pal Dardai. Der 41-Jährige ist ohnehin eher der analoge Typ. Einer, der den direkten Kontakt pflegt, der jedem Journalisten erst einmal die Hand gibt, wenn er vom Trainingsplatz kommt.
Anfang dieser Woche. Auf dem Vereinsgelände plaudert Pal Dardai mit einem Hertha-Angestellten, der sich um das Allerlei der Akademie kümmert. Ob Präsident oder Hausmeister, Dardai macht keine Unterschiede. An gleicher Stelle ist im vorigen Oktober ein Foto für seinen Twitter-Kanal entstanden. Im orangefarbenen Hertha-Trainingsblouson steht er hinten auf einem Müllauto mit BSR-Kollegen. Und weil alles Ton in Ton ist, fragt er: „Wo bin ich?“ Wer auch immer auf dieses Bilderrätsel gekommen ist, die BSR-Männer zeigen sich stolz. „Pal hat einen richtig guten, weichen, ehrlichen Kern“, sagt Rainer Widmayer, sein Assistent und wichtigster Mitarbeiter. „Er ist einfach ein guter Mensch.“
Der Verbindungsmann
Und vielleicht hat Hertha diesen guten Menschen nie so sehr gebraucht wie in dieser Saison. Der Klub befindet sich im Umbruch: neue Imagekampagne, neuer Claim, neue Ausweichtrikots in quietschendem Pink, neue Fokussierung auf digitale Medien und dazu die Pläne für ein neues Stadion, womöglich in Brandenburg. Vielen Fans ist das ein bisschen zu viel Neues. Gerade die Ultras, die Hüter der reinen Tradition, fühlen sich nicht mitgenommen.
Vor der Saison verkündeten die Harlekins auf ihrer Internetseite: „Wir schämen uns für unseren Verein.“ Viel mehr Protest geht eigentlich nicht. Seitdem ist in fast jedem Spiel in der Hertha-Kurve ein neues Banner zu sehen, das sich an der Neuausrichtung des Klubs abarbeitet. Als das Olympiastadion gegen den FC Ingolstadt mit 33.425 Zuschauern nicht mal zur Hälfte gefüllt war, ätzten die Ultras: „#Zuschauerboom – Wo sind eure 226.000 Follower?“
Dass die Verwerfungen nicht noch dramatischer ausfallen, ist vor allem Pal Dardai zu verdanken. Nicht nur weil er für den sportlichen Aufschwung des Vereins steht, für die Aussicht, nach sieben Jahren mal wieder im Europapokal vertreten zu sein; Dardai kontert mit seiner demonstrativen Gelassenheit die latente Aufgeregtheit des Vereins. Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden, während Hertha in einer virtuellen Cloud unterwegs ist. Pal Dardai ist der Verbindungsmann zwischen Tradition und Moderne.
Im Grunde ist der Ungar selbst ein bisschen Ultra. Bei den Spielen steht er breitbeinig an der Seitenlinie, die Arme meist vor der Brust verschränkt. Es ist das Bild eines Kraftprotzes, der sich nicht so einfach umpusten lässt. Im Januar 1997 ist Dardai, knapp 21 Jahre alt, aus seiner Heimatstadt Pecs nach Berlin gekommen. Inzwischen hat er ziemlich genau die Hälfte seines Lebens in Berlin verbracht. Einen anderen Klub als Hertha hat es für ihn nie gegeben. So wie es für einen Ultra nie einen anderen Klub geben würde.
Hertha, immer nur Hertha
Dardai selbst nennt sich „herthabekloppt“. Manager Michael Preetz sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass Dardai „jemals einen anderen Verein in der Bundesliga trainieren wird“. Niemand hat mehr Spiele für Hertha bestritten als der Ungar, keiner identifiziert sich so mit dem Verein wie Dardai, der als Spieler ein Angebot der Bayern ausgeschlagen hat. Schon während seiner aktiven Karriere hat er sich beschwert, wenn seine neuen Kollegen nur von Berlin und den fantastischen Möglichkeiten der Stadt schwärmten – und nicht von den hervorragenden Trainingsbedingungen bei Hertha.
Eine solche Biografie stößt bei den Fans naturgemäß auf großen Anklang, aber seitdem Dardai Herthas Profis trainiert, sind seine Popularitätswerte noch einmal deutlich gestiegen. Als Spieler stand er im Schatten der Stars, die sich der Berliner Bundesligist damals noch gönnte. Die großen Individualisten und Publikumslieblinge hießen Sebastian Deisler und Marcelinho. Dardai war eher der Handwerker, der die Leinwand grundieren durfte, auf der dann die Künstler ihre Pässe wie Pinselstriche warfen und sich verewigten.
Dardai war defensiver Mittelfeldspieler. Auf dieser Position benötigt man eine tiefere Einsicht in die Funktionsweise des Spiels. Ohne seine Erfahrung als Spieler wäre der Trainer Dardai undenkbar. Das, was seine Spieler erleben, hat er selbst auch erlebt. Dadurch besitzt er eine hohe Glaubwürdigkeit. „Er trifft die Worte, die wichtig sind – und auch den richtigen Ton“, sagt Rainer Widmayer. „Er hat ein sehr gutes Bauchgefühl.“
So wird Dardai auch von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Als Bauchmensch und Mann der Praxis, während Widmayer eher für den theoretischen Überbau zuständig ist. Aber so klar getrennt sind die Dinge nicht. Dardai weiß genau, was er will. Bevor er Widmayer vor zwei Jahren zu seinem Co-Trainer machte, hat er zu ihm gesagt, er solle sich erst einmal ein paar Tage lang anschauen, wie und mit welchen Methoden er, Dardai, arbeite. Wenn das für ihn nicht okay sei, werde es keine Zusammenarbeit geben können. Und nun hält Dardai auch Hertha zusammen, auf dass der Klub bei aller Transformation nicht aus der Balance kippt. Dabei hat er eine Mannschaft nach klassischen Tugenden geformt. Künstler und große Individualisten kann der Verein sich nicht leisten, das Kollektiv soll’s richten. „Wir haben viele kleine Diener“, sagt Dardai, „jeder erledigt seine Aufgabe mit Fleiß.“
Hilfe eines Psychologen
Neben der Mannschaftskabine auf dem Olympiagelände hat das Trainerteam ein gemeinsames Büro. Die sechs Arbeitsplätze mit Laptop oder Computer sind um einen Pfeiler in der Mitte angeordnet, Dardai hat seinen Schreibtisch zwischen Rainer Widmayer und seinem Landsmann Zsolt Petry, dem Torwarttrainer.
Seit Anfang des Jahres arbeitet Hertha mit dem Softwarekonzern SAP zusammen. Die Trainer und Scouts haben Zugriff auf eine Datenbank, in der alles erfasst wird, was wichtig sein und werden könnte. Co-Trainer Admir Hamzagic und Athletiktrainer Henrik Kuchno pflegen die Inhalte der Trainingseinheiten ein. Bis vor ein paar Wochen waren alle Spieler an das Omega-Wave-System angeschlossen, mit dem ihre körperliche Leistungsfähigkeit permanent gemessen wurde und dessen Daten sie auch zu Hause per App abrufen konnten. Und als in dieser Woche der U-23-Spieler Marcus Mlynikowski kurzfristig eine Startelfoption für das Spiel in Mönchengladbach wurde, hat er am Abend zuvor Ausschnitte mit den Stärken seines potenziellen Gegenspielers Patrick Herrmann aufs Smartphone bekommen.
„Pal ist clever“, sagt Rainer Widmayer. „Er weiß, was er braucht und was er nicht braucht.“ Im Sommer hat Dardai in einer komplizierten Angelegenheit sogar einen Psychologen zu Rate gezogen. Es ging darum, dem eher ruhigen Fabian Lustenberger die Kapitänsbinde zu entziehen und den extrovertierteren Vedad Ibisevic zu seinem Nachfolger zu machen. Auf Vorschlag des Psychologen hat Dardai keine Rede vor der Mannschaft gehalten, sondern seine Beweggründe aufgeschrieben und an alle Spieler verteilen lassen. So konnten später keine Gerüchte über die Motive des Cheftrainers aufkommen.
Pal Dardai ist auch in anderer Hinsicht ein Verbindungsmann zwischen Vergangenheit und Zukunft. Er hat noch die Zeit miterlebt, als Hertha groß gedacht hat, als die Champions League so etwas wie der natürliche Anspruch des Klubs war. Inzwischen muss Hertha sich mit deutlich weniger begnügen. Nach zwei Abstiegen kämpft der Verein um Stabilität, um dauerhafte Zugehörigkeit zur Bundesliga. Wenn die Mannschaft in der Schlussphase der Saison nicht noch einbricht, wird sie zum zweiten Mal hintereinander auf einem einstelligen Tabellenplatz einlaufen. Der Prozess der Etablierung scheint sich seinem Ende zu nähern. Für Pal Dardai ist das erst der Anfang.