WM 2014 - TV-Show "De Zurda": Der Expertenrunde: Diego Maradona erklärt die Welt
"De Zurda" ist die meist beachtete Sendung rund um die WM. Diego Maradona inszeniert sich, seine Sätze gehen um die Welt. Ein Klamauk an der Außenlinie zwischen Sport und Politik. Wir haben uns die 60 Minuten Diego-Show angetan.
Diego Maradona sammelt die Papiere ein und klopft mit dem Stapel auf den Tisch, wie ein Nachrichtensprecher. Gerade hat er das schönste Maradona-Foto gekürt, das die Zuschauer eingeschickt haben. Nun sammelt er sich für einen Leserbrief. „Ein Gewinner unseres Herzens“, kündigt sein Co-Moderator an. „Bevor du vorliest“, unterbricht ihn Maradona mit schwerer Stimme, „das ist das Beste, was uns bei ,De Zurda’ passieren konnte, dass uns der Größte von allen schreibt.“
Die Rede ist von Fidel Castro. „Unvergesslicher Freund“, liest Maradonas Nebenmann ihm vor, „jeden Tag habe ich das Vergnügen, deine Sendung bei Telesur zu empfangen über diese spektakuläre Fußball-Weltmeisterschaft.“ Seichte Musik wird eingespielt, die Kamera zoomt langsam auf Maradonas Gesicht. Tränen schießen ihm in die Augen, während Kubas Máximo Líder die Vorzüge des Sports für das Volkswesen Lateinamerikas preist und den Diego lieb grüßt. „Ich liebe dich sehr“, antwortet Maradona in die Kamera und küsst die Fingerspitzen.
Willkommen bei „De Zurda“, der meist beachteten Fernsehsendung rund um die WM. Kein Tag, bei dem nicht Sätze von Maradona um die Welt gehen: mal Kritik an der Fifa, den Schiedsrichtern, der brasilianischen Mannschaft, mal Lob für die Deutschen oder seine Argentinier. Gerade vor diesem Finale hört alles auf die Stimme Gottes. Die Sendung gesehen haben hierzulande die wenigsten. Dabei entgeht ihnen viel Skurriles.
„De Zurda“ ist eine Ein-Mann-Diskussionsrunde, 60 Minuten Maradona, täglich live aus Brasilien, ein Doppelpass mit sich selbst, entlang der Außenlinie zwischen Fußball und Politik.
Maradona redet langsam und schwerfällig, fast lallt er
Neben ihm sitzt dekorativ der uruguayische Journalist Victor Hugo Morales. Dessen Ruhm beruht auf einem Radiokommentar über Maradona („Du kosmischer Komet, von welchem Planeten kommst du?“). Seine aktuelle Aufgabe ist es, Diego im richtigen Moment Stichworte zu geben, zu nicken und zu lachen.
Das ist nicht so einfach wie es klingt, denn es ist schwer, Maradona zu folgen. Er analysiert minutiös Fußballspiele, man merkt: Hiervon hat er mal wirklich Ahnung. Doch er redet langsam, schwerfällig, lallt fast – wie ein Typ, der abends an der Theke meint, er hätte etwas wahnsinnig Wichtiges zu erzählen, aber man versteht nicht genau, was. Namen entgleiten ihm, die Bosnier nennt er konsequent Serben, Neymar oft Aimar und Manuel Neuer nur „diesen Torwart“.
„Traurig, Diego so zu sehen, diese Überbleibsel der Drogensucht“, schreibt einer im Internet unter das Video. Doch Maradona, das muss man ihm lassen, war so oft totgesagt und hat sich immer neu erfunden: Spielmacher, Halbgott, Verschwörungstheoretiker, Entertainer, Trainer, Revoluzzer, nun eben Analyst.
Früher tanzte und sang er im Glitzerjackett durch seine eigene Fernsehgala, in „La Noche del 10“. Jetzt wirkt es, als müsse er sich am Tisch festhalten, um aufrecht zu bleiben. Mit 53 Jahren scheint er schlank wie selten, er hat wohl einiges optimieren lassen. Doch das Gesicht wirkt dadurch seltsam entrückt. Die Haut spannt, die Lippen schlauchig, die Lider hängen halb herab. Wenn Filmchen eingespielt werden, wie ihm Südamerikaner huldigen, schlägt er die Wimpern auf, Augen, Zähne, Ohrringe, alles funkelt. „Wie ein alternder Transvestit“, lautet ein weiterer Kommentar. „Du hast es als Trainer mit Argentinien verkackt und denkst trotzdem, du weißt alles.“
Die Masse liebt Maradona und die alte Magie wirkt noch
Die Masse jedoch liebt Maradona und die alte Magie wirkt noch. Manchmal wacht er plötzlich auf, ein Moment Inspiration, wie früher im Spiel. Dann rechnet er ab mit Intimfeinden, zeigt Argentiniens Verbandschef den Stinkefinger, nennt die Fifa eine Mafia, Pele und Beckenbauer „Idioten aus dem Museum“, verteidigt im Luis-Suarez-T-Shirt den gesperrten Beißer: „Warum schickt ihr ihn nicht gleich nach Guantanamo?“ Dann ist Diego endlich wieder Diego, der, der sich traut, die Dinge bein Namen zu nennen, den kleinen Mann verteidigt, die da oben anprangert. Es sind diese Momente, die „De Zurda“ zum Gesprächsstoff machen.
Suárez heult sich dort live am Telefon aus, große Fußballernamen sind zu Gast, solange sie Diego nicht überstrahlen: Valderrama, Zico, Lineker („Wie geht’s der Hand?“, fragt der auf Spanisch). Auch Diegos Geliebte und Kind tauchen auf, ein bisschen Reality Show muss immer sein. Und Ecuadors Staatschef Rafael Correa. Dann wird der Klamauk politisch.
Maradona liest einmal einen Brief des Sohnes von Che Guevara vor, der die Freilassung von fünf in den USA inhaftierten Kubanern fordert. „Wir sind bei euch bis zum Tod“, sagt er ernst in die Kamera.
„De Zurda“ heißt übersetzt „Mit links“ und das ist Programm bei Telesur. Der Sender ist eine Art Anti-CNN für Südamerika, das von Venezuela aus produziert und propagiert wird.
Zu diesem Motto passt keiner besser als Diego Maradona. Als Spieler schoss er seine Traumtore bevorzugt mit links, egal ob Fuß oder Hand, danach hielt er sich gern an der Seite sozialistischer Staatenlenker. Im Februar bestätigte Maradona in einer Videobotschaft aus Dubai den Vertragsabschluss mit Telesur. „Der Comandante hätte es so gewollt“, sagte er über den verstorbenen Staatschef Hugo Chavez, „die Imperialisten verbreiten Lügen. Ich werde ein Soldat sein für Venezuela.“ Wieviel Sold er dafür erhält, will er auf Nachfragen nicht preisgeben.
Am Sonntag kann Argentinien erstmals seit 1986 Weltmeister werden, mit Messi, ohne Maradona. Der geht danach von Sendung. Und dann? „Ich habe Projekte“, sagt Diego. Bei „De Zurda“. Er lächelt, aber sein Gesicht lächelt nicht mit.