Meine Champions League: Der englische Fußball und der Fluch des Feiertags
Rein wetttbewerbstechnisch ist die Premier League die beste Liga der Welt. In der Champions League aber läuft bei den englischen Klubs nicht viel zusammen. Warum eigentlich?
Ach, England... Wo sind die Champions, wenn wahre Champions gefragt sind? Es droht, wieder mal, ein Debakel im Kreis von Europas Besten. Manchester I (United) ist schon in der Vorrunde abwärts Richtung Europa League gewandert. London I (Chelsea) hat sich der Konkurrenz aus Paris ergeben, London II (Arsenal) steht vor demselben Schicksal am Mittwoch in Barcelona. Jetzt muss es Manchester II richten. Ausgerechnet Manchester City, das mit milliardenschweren Subventionen aus der arabischen Wüste gepamperte Konstrukt, das sich auf der Insel doch einer sehr überschaubaren Beliebtheit erfreut. Egal. Das im Hinspiel erzielte 3:1 bei Dynamo Kiew sollte an diesem Dienstag beim zweiten Duell Garantie dafür sein, dass zumindest ein englischer Klub die Runde der besten acht erreicht.
Einer unter acht. Das entspricht der portugiesischen Quote und keineswegs dem Anspruch des englischen Fußballs an sich selbst. Was den Alltag zwischen Sunderland und Southampton betrifft, mag die Premier League die auf höchstem Niveau spannendste und deshalb auch beste Liga der Welt sein. Spanien, Deutschland, Frankreich oder Italien? Müssen den Vergleich in der Spitze gewiss nicht fürchten, aber eine Liga im eigentlichen Sinne wird dort kaum noch ausgespielt. Eher ein Wettbewerb von bestenfalls zwei, drei Mannschaften, die sich alle paar Monate zu Klassikern oder Clasicos treffen und sich die Zeit dazwischen mit besseren Trainingsspielen vertreiben.
In Frankreich spielt Paris St. Germain in seiner eigenen Liga und hat sich am Sonntag acht Spieltage vor Schluss zum Meister küren lassen, mit 25 Punkten vor dem ärgsten, nun ja, Verfolger. Als Bonus zum vorzeitigen Titelgewinn gab es ein 9:0 beim Tabellenletzten. In Spanien hat Real Madrid in zehn von 29 Spielen mindestens vier Tore geschossen und dabei auch Stilblüten wie 10:2 oder 7:1 im Angebot. In England ist das genauso undenkbar wie das zuletzt in der Bundesliga immer häufiger praktizierte Modell, sich rechtzeitig zum Spiel gegen den übermächtigen FC Bayern München die zur Sperre noch fehlende Gelbe Karte abzuholen.
Mag sein, dass die arabischen, russischen oder fernöstlichen Klubbesitzer das in der Premier League reichlich vorhandene Fernsehgeld nicht immer mit allergrößtem Sachverstand investieren. Es garantiert jedenfalls eine flächendeckende Ausgeglichenheit, wie es sie sonst nirgendwo in Europa gibt. In England hat ein Außenseiter wie Leicester City, im vergangenen Jahr fast noch abgestiegen, eine realistische Chance auf die Meisterschaft. Der Titelaspirant Arsenal hat neulich daheim gegen den Abstiegskandidaten Swansea verloren, Manchester Uniteds jüngste Niederlagen in Sunderland und West Bromwich gingen nicht mal mehr als Überraschungen durch. Beides ist auch mit maximaler Phantasie kaum auf Spanien zu übertragen.
In der Premier League weiß man vorher nie, wie es ausgeht
In der Premier League profitiert der Fußball noch verlässlich von seinem größten Vorteil gegenüber allem, was die Unterhaltungsbranche sonst zu bieten hat. Man weiß vorher nie, wie es später ausgeht. Deswegen ist der englische Klubfußball auch auf den Wachstumsmärkten im Fernen Osten so erfolgreich. Natürlich begeistern sich die Fans dort auch für Spiele zwischen Real und Barcelona oder Bayern gegen Dortmund – aber Eibar, Levante oder Rayo Vallecano ziehen im chinesischen oder thailändischen Fernsehen eben längst nicht so wie West Ham, Newcastle oder Aston Villa.
Es ist das Kreuz des englischen Fußballs, dass dieser weiche Faktor in der sportlichen Auseinandersetzung auf der internationalen Bühne kein Äquivalent findet. Verkehrt sich hier das Faszinosum des Alltages zum Fluch für den Feiertag? Kostet das Tagwerk in der ausgeglichenen Liga so viel Kraft, dass nichts mehr da ist für die besonderen Momente in Europa und darüber hinaus? Das Nationalteam wartet seit bald 50 Jahren auf einen internationalen Titel, und auf Klubebene verblasst der Glanz, den Manchester United und der FC Liverpool mal verbreitet haben.
Ja, da war der Triumph des FC Chelsea vor vier Jahren im Münchner Finale dahoam bei den Bayern. Aber er stand nicht am Ende eines berauschenden Siegeszuges, sondern war das Produkt eines ganz und gar unenglischen Minimalismus, schwerlich geeignet, einen nachhaltigen Herrschaftsanspruch zu formulieren. Seitdem hat es an der Stamford Bridge nicht mehr zu europäischen Höhenflügen gereicht, aber auch nicht bei Arsenal oder den beiden Manchesters und erst recht nicht im stolzen Liverpool.
Die Sehnsucht nach internationaler Reputation ist so groß, dass die neureichen Scheichs von Manchester City ausnahmsweise mal alle Sympathien auf ihrer Seite hatten, als sie mit ihren endlos sprudelnden Petrodollars den begehrtesten Trainer der Welt zu einem Umzug in den unwirtlichen Norden Englands überzeugten. Pep Guardiola soll mit seiner Phantasie und seinem Blick hinter den Horizont möglich machen, was zuletzt nicht möglich war. Und Guardiola, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen, erfreut sich genau an dem Charme der Premier League, dessen Kehrseite den englischen Klubs die Herrschaft über Europa so schwer macht. Der Mann hat genug von der Langeweile in der Bundesliga, die er gerade zum dritten Mal im dritten Jahr ohne ernstzunehmende Gegenwehr gewinnt. Einer, der den Fußball liebt, will auch in der Etappe gefordert werden, nicht nur beim finalen Sprint. Und das geht wahrscheinlich nur in der Premier League.
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