Matthias Platzeck: Der empfindsame Politiker
Seine Stärke ist seine Schwäche. Er lässt sich ein – und daran kann man scheitern. Matthias Platzeck ist bis heute der Einzige, der je zugestand: Ich kann nicht mehr. Das war ein enormes Wagnis. Aber persönlicher Wagemut war ein Kennzeichen seiner Politik.
Auf der Höhe der Zeit … Wann ist das je? Er hat einmal, 2007 war das, ein Buch mit herausgegeben, in der es um die richtige Politik zur richtigen Zeit ging. Woher weiß man, wann es die richtige Zeit ist? Wer sagt einem, dass es Zeit ist zu gehen, zu stehen, zu bleiben in der Politik? Was ist das überhaupt, Politik? Matthias Platzeck hat sich diese Fragen gestellt, buchstäblich, und sie nie so philosophisch beantwortet, wie sie klingen. Jedenfalls nicht öffentlich.
Mit Thomas Braune, seinem Regierungssprecher, hat er manchmal so geredet, er war ihm ja nah und ist ihm geblieben, als andere gehen mussten, Rainer Speer zum Beispiel, der früher in der Staatskanzlei und im Innenministerium war. Obwohl: Matthias Platzeck ist keiner, wird keiner je sein, der Menschen einfach so gehen lässt, dass es auf sie wirkt, als wären sie fallen gelassen worden. Er hat eine kräftige Hand, die beim Aufstehen hilft. Sein Händedruck verrät schon sein Gemüt. Seine Augen, nein, die verraten ihn nicht, weil es da nichts zu verraten gibt: Er ist bei sich, er kennt sich, und er weiß, dass er ohne Gefühl und ohne Gefühle nicht sein kann. Nicht der sein kann, der er sein will: der Matthias Platzeck, einer von uns, nur dass er halt eine andere Sache machen muss als wir.
Also, was ist Politik, wenn nicht, sich zu kümmern, da zu sein, anfassbar zu sein? Seine womöglich größte Gabe ist es, sich im Wesen, vielleicht besser: im Wesentlichen, über die Jahre nicht sehr verändert zu haben. Sein Haupthaar ist kürzer geworden, schütter auch, das zeigt der genaue Blick. Der Bart ist gestutzt, die Brille inzwischen sein ständiger Begleiter, der Druckspuren an den Nasenflügeln hinterlässt, aber sonst? Er trägt mehr Anzüge, dunkle, Schlips außerdem, er, der durchs Amt weniger Zeit für sich hatte, als er hätte haben sollen, der nicht mehr so laufen, rudern, Badminton spielen konnte und Berge erwandern – er ist dennoch in der Physiognomie nicht fremd geworden. Sondern, was auch eine politische Leistung ist, vertrauter. Ein Garant für Vertrauen für viele, viele in Brandenburg. Und wie werden die sich jetzt fühlen? Das Gefühl, dass er nicht mehr da ist, sich nicht mehr kümmert, wird ihnen fremd sein.
Es wird sich verlieren, würde er jetzt sagen; weil er das schon einmal gesagt hat, auf den Tag angesprochen, der immer kommt, den des Abschieds und der Frage, ob es Wehmut geben wird. Ja, doch, schon – aber der Preuße von Geburt und Gesinnung, im besten Sinne, verliert sich nicht darin. So viel Uckermark ist immer, und als gebrauchter DDR-Bürger weiß er, wie vergänglich alles sein kann, erst recht die Gewissheiten. Ein Kybernetiker, der er ist, der denkt nicht in Zuständen, in fertigen schon gar nicht, sondern verfolgt die Dinge im Prozess, im Wachsen und Werden.
Dieses Gesicht, als er das sagte: im Wachsen und Werden! Das ist es, was für ihn Politik ist. Mit Menschen, Mitmenschen, wachsen lassen, auf dass etwas wird. Und es ist ja nicht so, als wäre aus Brandenburg gar nichts geworden. Könnten die Brandenburger, seine Brandenburger, ihn wählen und nur ihn, er bekäme drei Viertel aller Stimmen und regierte auf Lebenszeit.
Zu freundlich ist das Bild, zu zugewandt? Es spiegelt doch nur ihn, in seiner Art; in der Art, ihn wahrzunehmen. Ja, die Wahrnehmung kann auch sein, dass er nicht nur empfindsam, sondern empfindlich reagiert, doch wer weiß bei ihm schon genau die Stelle zu treffen, die den Unterschied macht? Seine Stärke ist seine Schwäche, so viel steht jetzt aber fest: Er lässt sich ein, und daran kann man scheitern. Er ist keiner, auch für sich selbst nie gewesen, der ein einfaches Nein als Antwort gelten ließe. So einfach macht er es niemandem. Platzeck ist einer, der es immer wieder versucht, bei anderen, bei sich, gegen sich, und sei es, um Widerstand zu brechen. Mit Wasser groß geworden, weiß er, dass Wasser auch den härtesten Stein brechen kann. Wenn es auch länger dauert.
Vielleicht, ganz vielleicht ist es so, dass er keine Ablehnung erträgt, will sagen: überhaupt keine. Keine seiner selbst und keine seiner Ideen. Nicht, dass er unter allen Umständen gefallen will. Wer das glaubt, der denke nur zurück an den Wahlkampf im Jahr 2004, als er mit seiner schonungslosen Zustimmung zur Agenda und den Hartz-Reformen um Zustimmung für sich und die Partei, die SPD, auf den Marktplätzen seiner kleinen deutschen demokratischen Republik warb – war das ein Wagnis! Da war er geradezu leidenschaftlich in einem Mut, den er als Erster von wenigen gefasst hatte. Die SPD wurde belohnt. Und er auch, in seinem Land und darüber hinaus, weil die Partei, die in der großen Republik, sich zuerst an ihn erinnerte, als es wieder darum ging, etwas aufzubauen.
Als er selbst abbaute, körperlich, und das Amt des SPD-Parteivorsitzenden nicht mehr schaffte, weil er den Widerstand seines Körpers nicht brechen konnte, da war er wieder der Erste. Der Erste, der es eingestand, vor sich und vor den anderen, zwar nicht der Erste von wenigen, sondern der bisher Einzige, der es je tat – zu sagen: Ich kann nicht mehr. War das nicht auch ein enormes Wagnis? Ja, und wieder wurde er belohnt, seine Partei nebenbei, weil er ihr halt angehört: Aus Zustimmung wurde Zuneigung.
Platzeck hätte vielleicht noch viel mehr werden können
Platzeck wollte bleiben, er sollte bleiben, und darum konnte er, der Rot-Grüne mit konservativen Zügen, wie er sich selbst beschreibt, allen vieles zumuten, sogar eine Koalition mit der bisher gemiedenen Linken. War das nicht die Rückkehr des Alten, die Einkehr in die sozialistische Wärmestube? Er drehte diese Stimmung, in seinem Land, nicht außerhalb. Und seine Verbindung zum Land wurde eine enorme Verpflichtung: das Begonnene zum Gelingen zu bringen. Schon aus Gründen der politischen Hygiene, die ihm immer wichtig ist.
Pflicht und Schuldigkeit, preußisch anmutende Worte, die in diesem Zusammenhang gut anklingen lassen, worum es bis jetzt, bis zuletzt, gegangen ist. Platzeck fühlt sich mehr als nur zuhause in der Gesellschaft, deren Wachsen und Werden er über Jahre miterlebt und mitbestimmt hat. Er fühlt diese Verbindung, mehr als er es sagen wollte. Und vom Umwelthygieniker im Potsdam der DDR über den Oberbürgermeister nach der Wende, vom Umweltminister an allen Deichen bis zum Ministerpräsidenten war ein erdhafter Mensch selber beim Wachsen zu beobachten. Sein Werden kam dann, weil es andere außer ihm besonders wollten, Manfred Stolpe, Gerhard Schröder.
Platzeck hätte, wenn es nach Schröder gegangen wäre, noch viel mehr werden können, Bundeskanzler oder Außenminister. Das hätte ihm gefallen, Außenminister, einer mit besonderer Verbindung zu und nach Polen, mit Begabung zur Ostpolitik, einer mit Willy Brandt im Sinn. Aber er hätte dann doch weit über sich, über sein Brandenburg hinauswachsen müssen, er hätte diese Verbindung zu Menschen, die ihm ihre Zugeneigtheit fast buchstäblich entgegengebracht haben, geradezu zwangsläufig verloren. Kurz, er hätte das Erdhafte verloren.
Aber Platzeck ohne Wurzeln wäre nicht mehr der, der immer ziemlich leicht Bundesgenossen fand, auch außerhalb der Partei. In seiner Partei hatte er auf der Höhe dieser Zeit, im Jahr 2005, bald hundert Prozent. Und außerhalb? Findet ihn selbst die Bundeskanzlerin im Wesentlichen so, wie er hier beschrieben wird. Und sie war bestimmt immer froh, ihm eher in der Uckermark zu begegnen als auf internationalem Parkett.
Denn sie beide verstehen einander. Keiner kann sie besser erklären als er, besser wahrscheinlich als die allermeisten Christdemokraten. Lehr’ mich Angela Merkel kennen: Sie teilen mehr, als es auf Anhieb scheint. Beide sind Naturwissenschaftler und prozesshaft im Denken. Was heißen soll, dass sie bei Weitem am Anfang nicht immer wissen, was am Ende herauskommen wird. Und das ist nicht aufs Kochen bezogen, das beide wohl gut können.
Beide können ihre Gedanken gut im Mienenspiel verbergen, sind überzeugte Anhänger der Zielstrebigkeit, sind fleißig, praktisch. Lassen mit sich reden, und sei es, die anderen zu ermüden. Sind basisdemokratisch, wenn es nach ihrem Willen geht. Sind entschlossen. Und ehrgeizig, oh ja. Soll niemand Platzecks Jovialität mit seinem Führungsanspruch verwechseln. Lustig sind sie auch, nur ist sie ironischer. Und in sich gekehrter, wenn es darauf ankommt. Sie ist auch, wie sich jetzt aufs Neue zeigt, zäher, widerstandsfähiger. Beide begannen bei einem Rückschlag bisher immer wieder von vorn, so ist das bei Prozessen, nun nur noch sie.
Er hat es immerhin versucht. Dieses Fiasko vor seiner Haustür, dieser Flughafen Berlin-Brandenburg, verbunden mit dem Namen Willy Brandts, das konnte er doch nicht zulassen. Oder nicht länger zulassen, nachdem er sich doch lange nicht so sehr darauf eingelassen hatte, wie es gut gewesen wäre. Oder auch nur richtig, als stellvertretender Aufsichtsratschef. Und dabei hat er sich überanstrengt, wobei der implizite Begriff der Strenge hier eine besondere Bedeutung hat. Er war aus den richtigen Gründen streng gegen sich. Aber es ist die Lehre vom Nachlassen der Schlagkraft, der er jetzt folgen muss. Kraft mal Weg durch Zeit ist Leistung: Seine Leistung ist, erkannt zu haben, dass seine Kraft nicht mehr ausreicht, dass ein politischer Weg endet. Dieser Weg.
Auf der Höhe der Zeit – ja, wann ist das? Auch der Adler, den Matthias Platzeck mit seiner Frau in der Uckermark still und lange beim Flug in großer Höhe beobachtet hat, auch der wird gelandet sein. Aber was ist das überhaupt, Politik? Endet sie je? Matthias Platzeck hat jetzt die Zeit, das herauszufinden.