Ein Verband ohne Verantwortung: Der DFB und die Politik: Traditionell tollpatschig
Nicht erst seit der Causa Mesut Özil tut sich der DFB schwer mit gesellschaftspolitischen Themen. Ein Rückblick.
Nun fordern einige Politiker, und nicht nur die, den sofortigen Rücktritt von Reinhard Grindel, dem DFB-Präsidenten. Warum auch nicht? Konsequenterweise müssten sie auch den Rücktritt Oliver Bierhoffs fordern. Es geht schließlich um Fußball, und im Fußball gibt es eine eindeutige Sanktion für Nachtreten: Rote Karte. Und das war es ja, was die beiden hohen Herren im Falle Mesut Özils getan haben. Nachgetreten nach einer Dämlichkeit von gewaltigem Ausmaß von Seiten des Nationalspielers. Aber begibt man sich nicht auf die gleiche Stufe, wenn man auf eine Dümmlichkeit ebenfalls dümmlich reagiert?
Andererseits, warum sollte Grindel nach seinen Einlassungen zu Özils Foto mit dem türkischen Despoten Recep Tayyip Erdogan seinen Job aufgeben? Er stellt sich doch nur in eine Tradition. Hermann Neuberger, der zwischen 1975 und 1992 DFB-Präsident war, hat seinerzeit auch nicht den Rücktritt angetreten, obwohl auch der zwingend gewesen wäre. Der DFB und die Politik, der Fußball und die Gesellschaft, es lohnt sich, ein wenig zurückzuschauen, um die offensichtliche Ignoranz des größten Sportverbandes der Welt gegenüber politischer Verantwortung zu erkennen. Und dazu muss man gar nicht den Fußball unterm Hakenkreuz betrachten.
Die unrühmliche Rolle des deutschen Fußballs in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte ist bekannt, es ziemt sich aber vielleicht für die Nachgeborenen nicht, sich aus der Sicherheit heraus zum widerständigen Helden aufzuspielen. Schauen wir nur 40 Jahre zurück. Damals, 1978, wurde Argentinien, der Veranstalter der Fußball-WM, von einer Militärjunta unter dem Vorsitz des Diktators General Jorge Rafael Videla geknechtet. Rund 30 000 Menschen fielen der Diktatur in Argentinien zwischen 1976 und 1983 zum Opfer, sie wurden als Desaparecidos, als Verschwundene bezeichnet. Sie wurden aus Hubschraubern ins offene Meer geworfen, gefoltert oder gleich getötet und verscharrt.
Aufforderung von Paul Breitner ans Team
Unter den vielen Opfern war auch Elisabeth Käsemann, eine deutsche Studentin. Die Zustände in Argentinien, auch die Ermordung der Studentin, waren den deutschen Behörden bekannt, sie waren auch dem DFB-Präsidenten bekannt, sie hätten auch den Spielern bekannt sein können. Lediglich Paul Breitner, der nicht zum Kader gehörte, forderte die Nationalspieler auf, im Falle eines Zusammentreffens mit dem Diktator, diesem den Handschlag zu verweigern. Was Berti Vogts in einer Talkshow vehement ablehnte und dafür von der „Bild“-Zeitung ausdrücklich gelobt wurde.
„Nun gehört ganz sicher einiger Mut dazu, im fremden Land einem Staatschef die Hand zu verweigern“, schrieb das Blatt und lobte Vogts im Weiteren, dass er sich dazu bekenne, die Politik vom Sport zu trennen. Der Einladung Erdogans an Özil und Ilkay Gündogan zu folgen ist nicht vergleichbar. Die Intention des Boulevardblattes aber schon. Dort der höfliche deutsche Berti, der Terrier, hier der frevelhafte deutsche Mesut, der Türkischstämmige, der ja nicht einmal die Hymne mitschmettert (was, das nur am Rande, auch Vogts zusammen mit der gesamten Mannschaft damals nicht getan hat; erst Jahrzehnte später wurde den ausgewählten Spielern der Hymnentext zugestellt, den kannten sie nämlich in den meisten Fällen nicht).
Der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger stellte sich an die Spitze der Ignoranten, auch nachdem er von den deutschen Behörden über den Fall der Studentin Käsemann informiert worden war. Keine Reaktion. Schlimmer noch: Neuberger lud einen besonderen Widerling ins Quartierlager in Asochinga ein: Hans-Ulrich Rudel, Kriegsheld und Held der Nazis. Rudel setzte sich 1948 nach Südamerika ab, wo er dreißig Jahre später gute alte Freunde traf wie zum Beispiel Bundestrainer Helmut Schön: „Ich kenne Herrn Rudel aus der Herberger-Zeit. Warum soll ich ihn nicht begrüßen, er hat im Krieg Hervorragendes geleistet.“
Blindheit der deutschen Fußball-Repräsentanten
Wie der Herr, so’s Gescherr. Ausnahmslos pochten die Spieler auf ihren Status als Fußballer, Politik interessiere sie nicht. Noch einmal Berti Vogts: „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Die Blindheit der deutschen Fußball-Repräsentanten hat sich dann aber gehalten. Bis zu Franz Beckenbauer, der bei Besichtigung von Katar, Austragungsort der nächsten Weltmeisterschaft, keine Peitschenhiebe und keine Sklavenarbeiter gesehen hat, was in seinen bevorzugten Aufenthaltsorten, den Schampus-Lounges, sogar glaubhaft ist.
Sie hält sich auch in Russland, wo ein anderer hochrangiger deutscher Fußball-Repräsentant, der Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus, fröhlich und munter Shakehands mit Wladimir Putin austauschte. In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass Matthäus in seiner Eigenschaft als „Bild“-Kolumnist heftig auf Özil eindrischt, wohingegen Reinhard Grindel, wie die „Süddeutsche Zeitung“ enttarnte, vom Think-Tank des langjährigen „Bild“-Chefredakteurs Kai Dieckmann beraten wird. Man muss kein Schelm sein, um dabei Böses zu denken.
Man könnte sich allerdings übergeben bei so dermaßen viel Verlogenheit. Und sich dann fragen, warum eigentlich weder Beckenbauer noch Matthäus aufgefordert werden, zu ihren Verfehlungen Stellung zu nehmen. Weil DFB-Präsident Grindel, wie in dieser Zeitung jüngst zu lesen war, in seiner Zeit als CDU-Abgeordneter des Bundestags vehement gegen alles Multikulturelle gewettert hat und sich auch gegen Nationalspieler mit Migrationshintergrund ausgesprochen hat? Aber das wäre ja Rassismus?
DFB hat eben keine politische Position
Der DFB doch nicht. Der ist, wie er gerne verkündet, ohne politische Position. Wer, was im Moment ja Mode ist, aber einen Zusammenhang zwischen Fußball und gesellschaftlicher und politischer Gemengelage leugnet, der leugnet auch einen Zusammenhang zwischen dem Gewinn des Weltmeistertitels im Jahr 1954 und dem anschließenden Stimmungsaufschwung der Deutschen samt ihres Wirtschaftswunders (das, und auch das nur am Rande, unter tätiger Mithilfe unzähliger Wirtschaftsflüchtlinge aus Italien, Griechenland, dem damaligen Jugoslawien, Spanien, der Türkei, ja, ja, auch aus der Türkei, zustande kam).
Der DFB und die Politik. Im Bedarfsfall preist sich der Verband seiner Unabhängigkeit bis zur Lächerlichkeit. 2014 spielte die deutsche Nationalmannschaft in Hamburg ein unbedeutendes Vorbereitungsspiel. Das Training absolvierte die Mannschaft im Stadion des FC St. Pauli am Millerntor. Eine antifaschistische Gruppe hatte ein Banner aufgehängt: „Kein Fußball für Faschisten.“ Das verhüllte der DFB zum Teil, um, wie es der damalige Verbandschef Wolfgang Niersbach begründete, das Stadion zu „neutralisieren“. Zu lesen war dann nur noch „Kein Fußball“.
Özil mit gedanklichen Aussetzern
Vermeintlich ohne politische Position und auch noch gedankenarm ist eine ziemlich alberne Kombination. Zwar entschuldigte sich Niersbach später beim FC St. Pauli, der DFB wiederholte eine ähnliche Aktion allerdings bei einem Spiel der U19 in Hannover. Der Präsident Wolfgang Niersbach ist Geschichte, die Lichtgestalt Franz Beckenbauer auch, der seinerzeit taubblinde Vogts inzwischen geläutert. Der Fall des wunderbaren deutschen Fußballspielers Mesut Özil mit seinen gedanklichen Aussetzern brodelt weiter.
Und was hilft gegen die gedanklichen Aussetzer der Herren Bierhoff und Grindel, die ja nicht nur Geplapper sind, sondern gefährliche Vorstöße in den rechten Populismus? Doch, doch, es ist verständlich, wenn man sich der Forderung einiger Politiker anschließt.
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