Nico Rosberg attackiert Lewis Hamilton: Der Delfin beißt jetzt zu
Vor dem Großen Preis in Monaco eskaliert zwischen den Mercedes-Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton in der Formel 1 der WM-Kampf.
Die Blicke wichen einander aus, es war, als sei der andere gar nicht im Raum. Lewis Hamilton blickte mit versteinerter Miene ins Nichts vor sich und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Nico Rosberg saß neben ihm und erklärte mit leiser Stimme, wie glücklich er über die Poleposition bei seinem Heimrennen am Sonntag in Monaco sei (14 Uhr/RTL und Sky). Und wie leid es ihm für seinen Teamkollegen tue. Der hatte seine letzte schnelle Qualifikationsrunde nicht zu Ende fahren können und war nur Zweiter geworden, weil Rosberg in der Mirabeau-Kurve einen Fahrfehler begangen hatte und Gelbe Flaggen geschwenkt wurden.
„Es tut mir leid für Lewis, ich wusste nicht genau, wo er war“, sagte Rosberg. „Ich wollte es noch einmal richtig probieren und habe mich verbremst. Es war keine Absicht.“ Hamilton trommelte weiter mit den Fingern und erwiderte kühl: „Ja, das ist schon ironisch. Ich war zweieinhalb Zehntel schneller und konnte die Runde nicht beenden.“ Später wurde er deutlicher. Es sei „wahrscheinlich“, dass Rosberg ihn absichtlich blockiert habe: „Ich hätte wissen müssen, dass es so kommt.“ Die befürchtete Eskalation im Stallduell der Mercedes-Piloten um den Formel-1-WM-Titel, sie ist schon vor dem sechsten Saisonrennen eingetreten.
In Monaco, wo die Qualifikation besonders wichtig ist, haben schon andere Rennsportgrößen die Qualifikationsrunden der Gegner zu stören versucht. Ayrton Senna bummelte mal zwischen den Leitplanken umher, Michael Schumacher blockierte 2006 mit seinem berüchtigten Parkmanöver in der Rascasse seinen Rivalen Fernando Alonso. Nico Rosbergs Vater Keke schimpfte den Rekordweltmeister damals einen „Drecksack“, die Rennkommissare wiesen Schumacher anhand der Telemetriedaten Absicht nach. Bei Rosbergs Verbremser am gestrigen Samstag erkannten die Kommissare keine Absicht und sahen von einer Strafe ab, die Meinungen im Fahrerlager waren durchaus nicht so eindeutig. Warum fuhr Rosberg bei der Kurvenanfahrt deutlich weiter in der Mitte der Straße als zuvor, warum fuhr er danach rückwärts und behinderte die Nachfolger so noch mehr?
Tatsächlich, seit Samstag muss man fragen: Ist auch Kekes Sohn ein Drecksack?
Das ist insofern bemerkenswert, weil Nico Rosberg bisher als das genaue Gegenteil eines gewissenlosen Egoisten galt. Inmitten all der Aufsteiger, die sich aus meist einfachen Kreisen bis in die Formel 1 emporgekämpft haben, wurde er bisweilen als eine Art Gentleman-Fahrer gesehen, der den Motorsport wie in vergangenen Tagen vor allem aus Lust am Abenteuer betreibt. Durchs Haifischbecken Formel 1 ist Rosberg eher wie ein Delfin geschwommen. Schnell zwar, aber nicht bissig genug für den Titel, hieß es.
Lewis Hamilton übt sich in Klassenkampfrhetorik
Acht Jahre lang kam er nicht über die Rolle des Talents hinaus, weil er kein siegfähiges Auto hatte. Rosberg steckte trotz starker Leistungen bei Williams fest und schlug sich tapfer im Mittelfeld, andere bissen sich an den begehrten Cockpits fest. Als er endlich bei Mercedes unterkam, stand er im Schatten des Rückkehrers Michael Schumacher. Sein größter persönlicher Sieg ist es, als einziger Teamkollege den Rekordweltmeister geschlagen zu haben. Doch als Schumacher ging, setzte man ihm Hamilton vor die Nase. Rosberg akzeptierte das ohne Murren. Andere Fahrer hätten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um das zu verhindern. Als der schnellere Rosberg Hamilton vor einem Jahr in Malaysia auf Geheiß des Teams nicht überholte, nannte ihn der frühere Grand-Prix-Pilot Marc Surer einen „braven Soldaten“.
Auch Hamilton hatte vor dem Großen Preis von Monaco dieses Vorurteil genüsslich hervorgekramt. Dabei bediente sich der Weltmeister von 2008 einer Art Klassenkampfrhetorik. „Ich komme aus einer nicht gerade noblen Gegend in Stevenage und habe auf der Couch im Apartment meines Vaters geschlafen“, sagte Hamilton. „Nico ist in Monaco mit Jets, Hotels und Booten aufgewachsen – der Hunger ist ein anderer. Du musst den größten Hunger von allen haben, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen.“
Hamiltons Worte waren so etwas wie der Startschuss für den psychologischen Kleinkrieg um die Formel-1-Weltmeisterschaft des Jahres 2014. War Rosbergs Manöver die Antwort? „So wie es in den Wald hineinschallt, kommt es auch manchmal wieder hinaus“, meinte der frühere Formel-1-Pilot Alexander Wurz vielsagend.
Klar ist: Weil die Wagen der beiden Mercedes-Piloten der Konkurrenz zurzeit klar überlegen sind, bahnt sich ein ähnliches Stallduell an, wie es die Formel 1 zuletzt zwischen Ayrton Senna und Alain Prost Ende der Achtzigerjahre erlebt hat. Damals wurde der Konflikt offen ausgtragen. Auch Hamilton fühlte sich daran erinnert. „Mir hat die Art, wie Senna mit der Situation umgegangen ist, gefallen“, sagte er. „Ich werde mir da etwas abschauen.“ Der Brasilianer hatte zuerst die teaminternen Absprachen aufgekündigt, später kam es zwischen ihm und Prost 1989 und 1990 zu Unfällen in den WM-Entscheidungen von Suzuka.
Damals wie heute prallen höchst unterschiedliche Charaktere aufeinander. Hier Rosberg, smart, vornehm zurückhaltend, auf elegante Weise eitel. Sohn des Weltmeisters von 1982, Keke Rosberg, aufgewachsen im Reichtum der Steueroase Monaco. Ausgebildet an Eliteschulen, ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in London hatte er vor Augen. Ein Kosmopolit, der bis 2003 noch unter der Flagge seines finnischen Vaters fuhr. „Ich träume in vier Sprachen“, hat er dem Tagesspiegel mal gesagt. Einer, der auch den Wirtschaftsteil liest und seine Finanzen selbst regelt. Aber auch ein Vertreter der neuen urbanen Biokohorte, der seit neuestem Biogemüse anbaut, zusatzstofffreie Biopizza backt und Elektromobile fährt.
Lewis Hamilton musste sich schon als Kind seinen Platz erkämpfen
Und da Hamilton, der Straßenkämpfer aus einfachen britischen Verhältnissen. Sein Vater musste zeitweise drei Jobs annehmen, um ihm den Weg nach oben zu ermöglichen. Hamilton setzte sich im kostenintensiven Rennsport gegen Konkurrenten aus begüterten Familien durch, schon als Kind erklärte er dem McLaren-Chef Ron Dennis: „Ich werde mal eines ihrer Autos fahren.“ Er behielt recht, 2008 wurde er im McLaren Weltmeister. Seither ist er zum Weltstar geworden, geführt vom Management David Beckhams, mal mehr, mal weniger liiert mit dem Popstar Nicole Scherzinger, ausgestattet mit 68 Millionen Pfund Vermögen, mithin der reichste britische Sportler. Wenn er nicht gerade teure Autos fährt, große Jets fliegt oder Partys feiert und das der Welt per Twitter mitteilt, geriert er sich gern als Vorbild für die schwarze Bevölkerung.
Zusätzliche Brisanz erfährt das Duell durch die Tatsache, dass sich die beiden ungleichen Rivalen seit Teenagertagen kennen, als sie im Kart gegeneinander kämpften. Inzwischen wohnen sie sogar im gleichen Haus an der Küste in Monaco. Seit Hamilton eingezogen ist, hat er mit großem Antrieb das Ziel verfolgt, eine Wohnung über Rosberg zu bekommen, der schon sein ganzes Leben in dem Apartmentblock lebt. Inzwischen wohnt Hamilton über dem Deutschen, und auch die letzten Duelle auf der Strecke hatte er gewonnen. Vier Siege in Folge sind ihm gelungen, er hat Rosberg die Führung in der WM-Wertung abgejagt und liegt nun drei Punkte vorn. Vor allem das Rennen in Bahrain schien dabei diejenigen zu bestätigen, die Hamilton als kompromissloser und damit am Ende stärker einschätzen. Mehrmals hatte Rosberg seinen Teamkollegen schon überholt, immer schlug Hamilton zurück und quetschte sich wieder vorbei. Es heißt, Keke Rosberg habe vor dem Fernseher getobt und gerufen: Ich wäre dem quer durchs Auto gefahren.
Auch in den Jugendtagen der beiden, in der Europäischen Kartmeisterschaft, lag Hamilton am Ende vorn. Rosberg ist nun überzeugt davon, dass der komplizierte, technischere Ansatz in der Formel 1 ihm entgegenkommt. „Die Formel 1 ist sehr viel Fahren, aber auch sehr viel Denken." Weil er weiß, dass Hamiltons Instinkt ihm manchmal diese eine Zauberrunde beschert, gegen die fast jeder andere Pilot machtlos ist, hat Rosberg einen anderen Ansatz gewählt: Er hat einen Plan gemacht. Mit Köpfchen zum Titel, so wie es einst Prost, genannt der Professor, gegen das Naturtalent Senna vorgemacht hat.
Nico Rosberg hat für den Titel alles hinten angestellt
Nico Rosberg mag bisher nicht so polternd aufgetreten sein wie Lewis Hamilton, doch für den Titel hat er alles andere hinten angestellt. Im Winter vor der Saison hat der 28-Jährige Überstunden im Mercedes-Formel-1-Werk in England eingelegt, im Simulator Runde auf Runde gedreht und sich sogar für ein Seminar angemeldet, das eigentlich nur für Führungskräfte gedacht war. Auch sein privates Umfeld und seine Ernährung (Stichwort Biopizza) hat er diesem Ziel untergeordnet. Sein Ansatz: smart, konstant, über 19 Rennen hinweg, am Ende vor Hamilton stehen. „Ich weiß, wo ich ihn packen kann“, sagte Rosberg der „FAZ“. Hamilton sei unglaublich schnell auf Strecke, „aber er ist zum Beispiel auch immer mal wieder eingeschnappt, wenn ihm etwas nicht passt“. Und: „Mich mental zu brechen, das wird schwer für ihn.“ Das Rennen in Monaco gilt vielen als entscheidende Gabelung auf dem Weg zum Titel. Sein Heimspiel darf Rosberg nicht verlieren, manche sagen gar: Ein echter Rennfahrer sollte lieber einen Crash riskieren, als Hamilton noch mal siegen zu lassen. Der dreifache Weltmeister Niki Lauda denkt wohl ähnlich. Ein Unfall zwischen den beiden Stallrivalen rücke näher, hat der Mercedes-Aufsichtsratschef in Monaco gesagt.
In Bahrain ist Rosberg noch ausgewichen. „Wenn ich dagegengehalten hätte, wären wir beide nicht ins Ziel gekommen“, hat er gesagt. Aber er habe daraus gelernt und werde die Sache „künftig anders angehen“. Seit gestern erscheint die Aussage des Millionärssöhnchens und braven Soldaten in einem anderen Licht.
Als Lewis Hamilton frisch in sein Haus gezogen war, hatte Nico Rosberg ihm etwas aus seinem Kühlschrank gegeben, weil der sich noch nicht eingerichtet hatte. Würde er das heute wieder machen, wo es doch um die WM geht? „Wenn er wieder vorbeikommt, kriegt er wieder was zu essen“, hat Rosberg gesagt. Das war noch vor der Qualifikation. Ob das Angebot weiterhin gilt? Egal, Lewis Hamilton wird wohl so schnell nicht mehr vorbeikommen.
Christian Hönicke