Christoph Metzelder über Bayern gegen Dortmund: „Der BVB ist und bleibt Herausforderer“
Christoph Metzelder spricht über das Bundesliga-Spitzenspiel, seine Rolle als Vorsitzender eines Amateurklubs – und einen möglichen neuen Job als DFB-Präsident.
Herr Metzelder, Sie haben insgesamt ein Dutzend Mal mit Borussia Dortmund oder Schalke 04 gegen Bayern München gespielt. Das erste Mal mit Dortmund im November 2000.
Das Spiel habe ich nicht vergessen. Ich musste im Mittelfeld Mehmet Scholl in Manndeckung nehmen. Das hat super geklappt, er hat zwei Tore gemacht.
Eines war ein Freistoß.
Das andere ein Kopfball. Wir sind auswärts 2:6 untergegangen. Meine persönliche Bilanz in München war desaströs. Dafür war mein einziger Sieg dort ein sehr wichtiger, 2011 mit Schalke im Halbfinale des DFB-Pokals.
Bayern gegen Dortmund, mehr geht derzeit nicht in der Bundesliga. Stichwort: deutscher Clasico. Wie war das zu Ihrer aktiven Zeit?
Da existierten der Ausdruck und die Bedeutung so nicht. Obwohl die beiden in den letzten 15 Jahren den Großteil der Titel unter sich ausgemacht haben, verbietet sich jedoch der Vergleich mit dem Clasico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona. In der Bundesliga ist und bleibt der BVB der Herausforderer.
Am vergangenen Wochenende hat Dortmund durch späte Tore gegen Wolfsburg gewonnen, die Bayern haben in Freiburg unentschieden gespielt. Was bedeutet das für das Spiel am Samstag?
Späte, wichtige Tore sind dem BVB in dieser Saison öfter gelungen. Es ist also nicht nur Glück, sondern auch eine Qualität. Des Trainers, der die richtigen Anpassungen im Spiel macht und gut wechselt. Und der Spieler rund um Marco Reus oder Paco Alcacer. Trotzdem wird es ein sehr schwerer Ritt, da die Bayern maximal angestachelt sind. Allerdings hat sich die Ausgangslage für den BVB seit dem letzten Wochenende verändert: Schon ein Unentschieden wäre ein großer Schritt in Richtung Meisterschaft. Dadurch können sie möglicherweise eine andere Strategie wählen, tiefer verteidigen und mit ihren Waffen im Umschaltspiel drohen.
Und die Bayern?
Müssen gewinnen. Sie müssen das Maß zwischen Risiko und Balance finden. Gegen Liverpool waren sie zu vorsichtig.
Gibt es einen Favoriten?
Auch wenn die Bayern Zweiter sind, sehe ich sie leicht im Vorteil. Ihnen fällt es leichter, Chancen herauszuspielen und Tore zu erzielen, weil sie eine höhere individuelle Qualität und Breite im Team haben.
Der Auftritt beim 5:4 im DFB-Pokal gegen den 1. FC Heidenheim am Mittwoch war allerdings ziemlich wild.
Er war wild, am Ende aber kein Rückschlag. Ich sehe nicht, dass die Bayern wieder in eine Phase wie im Herbst reinrutschen. Von daher wird sich die aufgestaute Wut nach dem Spiel in Freiburg eher noch potenziert haben.
Wäre die Meisterschaft bei einem Dortmunder Sieg entschieden?
Nein. Wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass sich Dortmund auch gegen Gegner aus unteren Tabellenregionen schwer tut und in jedem Spiel an seine Grenzen gehen muss.
Der BVB hat einen komfortablen Vorsprung verspielt, ist jetzt erneut vorn. Woran liegt das?
Ich fand es wichtig, das konkrete Ziel „Meisterschaft“ in einer Phase, in der es Probleme gab, offen zu benennen. Das sorgt für eine Verbindlichkeit nach innen und nach außen: in die Kabine und in die Öffentlichkeit.
Bei Dortmund wird viel über Marco Reus gesprochen, wenn er fehlt. Manuel Akanji hat auch länger gefehlt, das war nicht so ein großes Thema.
Der Verteidiger sorgt nicht für Titel. Aber er kann dazu beitragen, dass die Mannschaft erfolgreich ist. Das ist das Los der Abwehrspieler. Und es ist auch der Deal. Ich bin gerne für Cristiano Ronaldo bei Real oder Márcio Amoroso beim BVB mitgelaufen. Weil ich wusste: Wenn er funktioniert, darf auch ich am Saisonende Pokale hochhalten.
Es ist jedoch zu beobachten, dass die Ablösesummen für Abwehrspieler stark steigen. Lucas Hernandez geht für 80 Millionen Euro nach München, Liverpool hat ähnlich viel für Virgil van Dijk gezahlt.
Die Höhe der Summe für van Dijk habe ich seinerzeit sehr kritisiert. Das nehme ich gerne zurück, er ist aktuell der beste Innenverteidiger der Welt. Grundsätzlich sehen wir im Fußball an vielen Stellen eine Verdopplung oder Verdreifachung der Summen. Bei Umsätzen, Gehältern und auch Ablösesummen. Vor diesem Hintergrund sehen wir bei den Summen für Abwehrspieler eben auch den Faktor drei.
Inwiefern hat sich das Profil des Abwehrspielers verändert?
In meiner Erinnerung haben wir früher in Dortmund in Ruhe das Spiel aufgebaut, da gab es noch kein hohes Pressing. Ich habe den Ball zu Dede gespielt, denn der hatte immer eine Idee. Heute ist der Innenverteidiger der zentrale Mann im Spielaufbau.
Fußball-Deutschland wartet auf das Spiel am Samstag. Doch in Europa haben die deutschen Mannschaften größtenteils enttäuscht. Ein Ausrutscher oder mehr?
Wir hatten in den vergangenen Jahren in Europa konstant nur die Bayern und dann kam mal der und mal der. Wir messen uns halt mit Ligen, die drei bis fünf Kandidaten haben, die auch finanziell andere Möglichkeiten haben. Ein Riesenfragezeichen auf dem Kopf habe ich bei der Europa League. Ich verstehe nicht, dass portugiesische und spanische Mannschaften so dominieren, während es die Bundesligisten nicht hinkriegen.
Vielleicht ändert sich etwas. Eintracht Frankfurt spielt bisher eine überragende Saison in der Europa League.
Wie Frankfurt momentan durch die Bundesliga und die Europa League marschiert, ohne mit der Wimper zu zucken, ist beeindruckend.
Auf Sie persönlich wartet am Sonntag eine schwere Aufgabe. Die von Ihnen trainierte A-Jugend des TuS Haltern spielt in der Westfalenliga gegen den Tabellenführer SV Lippstadt 08.
Oh ja, da haben wir im Hinspiel unsere Grenzen aufgezeigt bekommen und 0:6 verloren. Überraschend war das nicht. Wir haben eine große Bandbreite im Kader. Von Spielern, die in den Nachwuchsleistungszentren nicht übernommen wurden bis zu welchen, die aus der eigenen U17 kommen, die in der Kreisliga spielt.
Um 11 Uhr geht es los. Tags zuvor sind Sie als Bundesliga-Experte bei Sky tätig. Zum Anpfiff sind Sie da?
Das kriege ich problemlos unter einen Hut. Diese Saison mache ich bei Sky die Konferenz am Nachmittag. Dadurch kriege ich den letzten Flieger nach Düsseldorf. Letzte Saison musste ich sonntags den ersten Flieger von München nehmen. Manchmal schon um halb sieben.
Sie sind bei Ihrem Heimatverein in Haltern Trainer und Erster Vorsitzender. Wie viele Spiele sehen Sie pro Wochenende?
Bei der A-Jugend bin ich natürlich immer dabei. Danach schaue ich mir die ersten Männer an, wenn sie zu Hause spielen. Sonst meist die U23.
Ein Tag Bundesliga, den anderen Tag Amateurfußball – klingt nach einer ordentlichen Fallhöhe.
Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Der Verein liegt mir am Herzen, ich bin vielleicht der größte Fan! Deswegen bin ich seit fast zehn Jahren ehrenamtlich in unterschiedlichen Funktionen tätig.
Haben Sie den Trainerjob angestrebt?
Eigentlich konnte ich mir nie vorstellen, Trainer zu werden. Aber für unsere strategischen Planungen machte es Sinn. Ich habe die U19 in der Kreisliga übernommen, jetzt sind wir in der zweithöchsten Spielklasse.
Kann es noch höher gehen?
Wir wollen drinbleiben und das wird schwierig genug. Und da muss ich mich auch immer wieder bremsen. Meine Ziele sind eben nicht zwangsläufig auch die der Jungs. Einige sind im Abitur, andere im ersten Lehrjahr. Die haben ganz schön viel um die Ohren.
Die Männermannschaft ist in der Oberliga auf Aufstiegskurs. Will der Verein hoch?
Strukturell und infrastrukturell gehören wir nicht in die Regionalliga. Wir haben kein taugliches Stadion, hoffen aber auf eine gemeinsame Lösung mit der Stadt. Wir reichen die Lizenz ein und würden es versuchen. Aber wir sind und bleiben ein Amateurverein.
Wie zeigt sich das?
Als ich bei Preußen Münster in der U 19 gespielt habe, habe ich das Zugticket bezahlt bekommen. Heute bekommen manche Spieler in den Nachwuchsleistungszentren 5000 Euro oder mehr. Wenn die später mit Dritt-, Viert- oder Fünftligisten sprechen, gibt es eine irrsinnige Erwartungshaltung. Die Ökonomisierung des Profifußballs findet heruntergebrochen eben auch im Amateurbereich statt. Dortmunds Aki Watzke, der ja auch 1. Vorsitzender eines Amateurvereins ist, hat einen Satz gesagt, den ich voll unterschreibe: Das Hauptproblem im Amateurbereich sind nicht die Anstoßzeiten der Bundesliga, sondern die eigenen Personalausgaben! Niemand zwingt einen Amateurverein dazu, Spieler zu bezahlen, außer der Wettbewerb! Fußball unterhalb der Zweiten Liga ist kein Geschäftsmodell. Es ist Mäzenatentum.
Es heißt oft, dass die Schere zwischen Profis und Amateuren immer weiter auseinandergeht. Sehen Sie das auch so?
Überspitzt gesagt haben wir mittlerweile zwei unterschiedliche Sportarten. Wir sind an einem Punkt, an dem wir das auch klar kommunizieren müssen.
Haben Sie Änderungsvorschläge?
Der TuS Haltern beispielsweise ist zu klein für die Regionalliga. Aber wir sollten auch diesen Vereinen ein sportliches Ziel bieten. Zum Beispiel durch die Wiedereinführung der deutschen Amateurmeisterschaft. Das könnte man auch regional umsetzen. Wir würden gerne mit den Meistern der Niederrhein- und Mittelrheinliga um die Westdeutsche Amateurmeisterschaft spielen.
Sie könnten auch noch größer rauskommen. Der DFB sucht einen Präsidenten, Schalke 04 einen Sportdirektor. Ihr Name wird in beiden Fällen gehandelt.
Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu diesen Themen momentan öffentlich nicht äußern möchte.
Christoph Metzelder, 38, spielte für Dortmund, Schalke, Real Madrid und die deutsche Nationalmannschaft. Nun ist er Chef bei TuS Haltern und arbeitet als Experte für den TV-Sender Sky.