Willmanns Kolumne: Der BFC Dynamo im Spiel beim FC Carl Zeiss Jena: Tage des Neids
Da wird sogar unser Kolumnist neidisch. Beim BFC Dynamo tut sich nach Jahren des Stillstands endlich etwas. Ganz anders sieht es dafür in Jena aus und das stimmt Frank Willmann doch ziemlich traurig.
Als ich im treuen Dacia die Autobahn Richtung Jena befuhr, überholte ich kurz vorm Hermsdorfer Kreuz eine beeindruckende Buskolonne. Eskortiert von zwei Polizeiwagen, machten sich darin BFC-Fans bereit, die Regionalliga zu erstürmen. Es herrscht große Euphorie im Lager des einstigen DDR-Rekordmeisters, die 1200 Gästekarten waren im Nu vergeben.
In Bus, Bahn und privatem PKW wurde Jena friedlich vom leicht in die Jahre gekommenen BFC-Mob geentert. Nach dem Spiel soll sich die Polizei beim BFC für den „anständigen Auftritt“ bedanken. Das war nicht immer so, doch der sportliche Aufstieg unter Trainerfuchs Volkan Uluc hat einen positiven Schatten über den bis dahin unaufsteigbaren Verein geworfen. Schon die neuen Trikots des BFC Dynamo künden von diesem Umstand. Weiß ist die dominante Farbe. Neben den Stutzen und den Hosen strahlt auch das Trikot weitestgehend in den Farben der Keuschheit. Nur ein kleiner, weinroter Streifen samt Vereinslogo durchbricht die Schneehasenmontur.
Alles andere als hasenfüßig indes war der Fußball des BFC Dynamo. Bei schwer gewöhnungsbedürftigen, ja subtropischen Temperaturen in Jena wirbelte der BFC ganz anständig. Kein weißes Ballett, doch reichte es um die neu zusammen gebastelte Jenenser Scheinriesenschar zu verwirren und an den ungern erblickten "Rand einer Niederlage" zu bringen.
Was aus einer einst halbgroßen Zweitligamannschaft werden kann, bewies leider mein geliebtes Jena. Wäre ich doch in den Ferien geblieben! Wie beispielsweise Auerbachs Stammspieler Felix Paul. Dieser Herr blieb dem Auftaktspiel seines Vereins urlaubsbedingt fern.
Jena wird de facto ein weiteres Jahr in der Regionalliga verbringen
Ich war leider zugegen, neben mir weitere 4000 wackere Thüringer. Stadion halbvoll. Vorm Spiel betrat unser Präsident Lutz Lindemann den Rasen. Er stellte sich vor die Haupttribüne. Weit entfernt vor der störrischen Südkurve verkündete er, der FCC wolle in der neuen Saison gut mitspielen und keine Geschenke verteilen. Besonders zu Hause nicht. Kein Wort zu den Ambitionen. Es gibt augenscheinlich keine. Mitspielen. Exakt das wollte ich nicht hören. Dann lieber den Schnabel halten. Oder die Klappe groß aufreißen. Und forschen Schrittes durch den mickrigen Salat latschen. Jena wird de facto ein weiteres Jahr in der Regionalliga verbringen.
Die Mannschaft nahm Lindemanns schmallippige Ansprache ernst. Bereits nach wenigen Minuten durfte der Exjenenser Shala das 1:0 für den BFC erzielen. Dann spielte der Klub ein wenig mit und schaffte in der zweiten Halbzeit den Ausgleich. Das war's. Am 1. Spieltag bleibt mir Endverbraucher des FCC-Gekickes nur die Rolle des Jammerlappens. Wird es eine Saison, die jetzt bereits zum Vergessen gemacht ist? Worauf können wir noch warten? Es fehlt an allem. Das Stadion ist auf dem besten Weg, eine schicke Ruine zu werden. Die Flutlichtmasten hat der Fuchs geholt, ein Teil der Nordkurve ist seit Jahren wegen „Kaninchenbefall“ gesperrt. Die Anzeigetafel röchelt. Die Bratwurst sieht keinen Holzkohlerost mehr und wird vorgegart. Wahrscheinlich in Erfurt, da ist es billiger.
Die 1200 Berliner Gäste konnten sich bei 36 Grad im Schatten nicht ausreichend erfrischen, weil der „professionelle Bereitsteller von Speisen und Getränken“ keine Zierde seines Berufsstandes ist. Er scheiterte am Getränkenachschub. Einzig Polizei- und Ordnungskräfte verdienten sich dank eines zurückhaltenden Auftritts Bestnoten. Unser Trainer Lothar Kurbjuweit, eine Jenaer Spielerlegende, ein sympathischer Notnagel. Er wurde zum xten Mal aus dem Schlapphut geholt. Er hat in Jena diverse Funktionen hinter sich und steht ganz bestimmt nicht für modernen, wilden und tolldreisten Angriffsfußball. Ein solider Verwalter des Mittelmaßes.
Präsi Lindemann war nach diversen unspektakulären Stationen im Fußball bis vor kurzem noch sportlicher Leiter bei Viktoria Berlin. Viktoria kennt wahrscheinlich zu Recht kein Mensch außerhalb von Berlin-Lichterfelde. Unsere Spieler zeigten auf dem Platz wenig. Ob die Bande für den Staffelsieg taugt? Es sah nicht danach aus. Aber im Fußball geschehen ja hin und wieder Wunder. Fußball-EM 1992. Deutschland – Dänemark. 0:2. Jugoslawien wurde trotz Qualifikation wegen des Balkankriegs aus dem Turnier genommen. Dänemark war der glückliche Gewinner und setzte Bertis Buben in Göteborg die Narrenkappe auf.
Der BFC Dynamo hat das schlotterige Büßerhemd abgestreift
Die Narrenkappe ist manchmal nicht die schlechteste aller Kopfbedeckungen. Die einstmals stimmgewaltigen Fans in der Südkurve schweigen seit Dezember. In jenen Tagen hat der FCC nach ihrem Empfinden sein heißes Herz an den Holländer-Michel, der in diesem Fall ein Belgier ist, verkauft. Nun hängt es erkaltet im fernen Lüttich, während der realitätsferne Klub schwer atmend durch die Tage flattert. Ob bei der nächsten Mitgliederversammlung Klubführung und Fans aufeinander zugehen? Vor Jahresfrist waren die meisten Vereinsmitglieder für den belgischen Investor. Ob sie ihn heute, in den Tagen des Stillstands, noch immer toll finden? Die aktiven Fans sehen in ihm den Totengräber des Jenaer Fußballs. Vor ein paar Wochen sollte ein neuer Trainer aus Belgien kommen. Der plötzlich, wahrscheinlich mit gutem Grund, bei seiner Familie in Belgien blieb. Ist der Fluss belgischer Euro ins Stocken geraten? Die Investitionen in neue Herren des grünen Rasens kann man getrost als viertklassig bezeichnen. Meist sind es mehrfach gescheiterte Spielerlein, die unserem Präsi im Lauf der letzten Jahre mal irgendwie über den Weg gelaufen sind. Aber unsere Kernberge, die sind schön.
Der BFC Dynamo hat das schlotterige Büßerhemd abgestreift. Diese unbestreitbare Tatsache mag nicht jedem Erdenbürger gefallen. Wohin allerdings der Weg des Klubs führt, ist ungewiss. Sponsoren stehen wegen der Fehler der Vergangenheit nicht gerade Schlange, die Regionalliga kostet durchaus die eine oder andere Kopeke. Doch die Mannschaft spielt leidenschaftlichen Fußball und die Fans stehen wie eine Wand. Ich platze schier vor Neid auf diesen BFC, seinen gegenwärtigen Erfolg, seine wieder erwachte Fankultur. Alles Scheiße in Jena? Ja.
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