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Die Leichtathletin Heidi Schüller spricht am 26.08.1972 für die im Münchner Olympiastadion versammelten Sportler den Olympischen Eid.
© dpa

Kommentar zum Doping in Deutschland: Der Athlet als Medaillenknecht

Während sich die Unterschiede in der staatlichen Beteiligung am Betrug aus den jeweiligen politischen Systemen ergaben, waren sich die Dopingsysteme in der DDR und der Bundesrepublik in der Mentalität sehr ähnlich - und hatten die gleichen Opfer: die Athleten.

Weil im Sport alles und jeder miteinander verglichen wird, Zeiten und Weiten, Körper und Spielstile, ist jetzt ein guter Moment gekommen für diesen Vergleich: Doping in der alten Bundesrepublik gegen Doping in der DDR. Seit Montag sind im Internet Teile einer Studie zu lesen, die über den Betrug im westdeutschen Sport Aufschluss geben. Die DDR hatte es einem leichter gemacht, ihr Dopingsystem zu durchschauen – auch das hatte die Stasi schließlich genauestens dokumentiert.

Man kann manche Reaktion in Ostdeutschland auf die neuen Veröffentlichungen gut verstehen. Ihr im Westen habt doch genau das Gleiche gemacht wie wir, ihr wart kein bisschen besser. Diese Genugtuung ist wohl erst durch die westdeutsche Arroganz so groß geworden, die Leistungen der DDR-Sportler auf Anabolikapillen reduzierte und alle anderen, redlichen Anstrengungen ignorierte. Und während sich selbst Provinztrainer aus der DDR später für ihr Doping verantworten mussten, schafften es im Westen Politiker, Verbandsfunktionäre, Trainer, Sportler, die dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit weitgehend verborgen zu halten. Das verbittert.

Nur: Was innerhalb des Sports schon lange über das bundesdeutsche Doping bekannt war und jetzt von einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wird, macht das Doping in der DDR auch nicht besser. Es bleibt im deutschen Vergleich das Alleinstellungsmerkmal des DDR-Dopings, dass die Vergabe von männlichen Sexualhormonen vom Staat flächendeckend angeordnet wurde. Und dass auch minderjährigen Sportlerinnen solche Substanzen ohne ihr Wissen von Trainern und Ärzten reihenweise verabreicht wurden. Manche leiden bis heute an den gesundheitlichen Folgen. Im Westen blieb es offenbar bei Forschungsansätzen mit Anabolika an Minderjährigen – auch das ist schlimm genug.

Der Ehrgeiz zu sportlicher Leistung war in der Führung des kleineren deutschen Staats größer ausgeprägt. Dem DDR-Staatsdoping stand jedoch keineswegs nur ein bundesdeutsches Privatdoping gegenüber. Die Bundesregierung hat die Manipulation in Teilen mindestens toleriert – und durch manche Äußerungen auch dazu motiviert. Dass mit Steuermitteln Dopingforschung finanziert wurde, macht die staatliche Beteiligung am Betrug komplett.

Eine andere Staatsform bringt auch ein anders ausgeprägtes Doping hervor. Es besteht jedoch kein Grund, und nach den neuen Studien erst recht keiner, das bundesdeutsche Doping moralisch als weniger verwerflich anzusehen. Das liegt nicht nur daran, dass der westdeutsche Sport mit der Siebenkämpferin Birgit Dressel und dem Kugelstoßer Ralf Reichenbach mindestens zwei Dopingtote auf dem Gewissen hat. Ein westdeutscher Leichtathletiktrainer hat sogar davon gesprochen, dass die kriminelle Energie zum Dopen im Westen höher gewesen sei, eben weil kein Zwang zur Manipulation bestand. Wer sich in der DDR weigerte, beim Doping mitzumachen, flog einfach raus.

Bei allen Unterschieden – in der Mentalität sind sich beide Dopingsysteme wieder ähnlich: Der Erfolg steht über allem. Nach Risiken und Verlusten wird nicht gefragt. Der einzelne Athlet wird zum Medaillenknecht. So konnte nach der Wiedervereinigung beim Doping auch einiges nahtlos und siegbringend zusammenwachsen. Das Rostocker Radsporttalent Jan Ullrich gewann auch mit Unterstützung der Freiburger Dopingschule viele große Rennen.

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