Vor dem Spiel bei Bayern München: Der 1. FC Köln ist wieder da: Verrückt normal
Die Republik rafft es nicht, aber Fans des 1. FC Köln genießen die neue Normalität – und den Erfolg. Jenseits von Podolski, Daum und Champions League, aber mit einem Spitzenspiel gegen Bayern.
Ein echtes Spiel um die Spitze ist es ja dann doch nicht geworden, vier Punkte trennen den 1. FC Köln von den Bayern. Aber eben auch nur vier Punkte! Als Tabellendritter der Bundesliga fährt der FC nach München, da muss man schon Opa fragen, wie das beim letzten Mal war – von den Jüngeren hat das noch niemand erlebt. Und das ist nicht etwa bloß eine Momentaufnahme, die nach einer Schlappe beim Meister im „Ach ja, damals“-Album verschwindet, nein: Der FC, diese seit zwei Jahrzehnten verschlampte, schrille Diva, hat sich in wenigen Jahren zu einem hoch seriösen, ruhigen, konsolidierten Verein mit leichtem, aber stetigen Wachstum entwickelt.
So normal ist der FC geworden, dass sich manche schon fragen: Ja sind die denn verrückt geworden? Was ist bloß aus dem Poldi-Kult geworden, warum ruft niemand mehr nach dem heiligen Christoph Daum, wieso hat der „Express“ keinen Maulwurf mehr in der Spielerkabine, wo ist der herrliche Größenwahn hin, dem selbst ein 0:1 gegen Aue in der Zweiten Liga nichts anhaben kann? Stattdessen freuen sie sich über den Ehrentitel „0:0-Meister der Saison 2015/16“ – ist denn das nicht schrecklich langweilig geworden?
Langweilig? Also auf die Idee muss man auch erst mal kommen. So viel Spaß an ihrem FC hatten die Fans schon ewig nicht mehr. Stolz sind sie in Köln, und froh, nicht mehr jenem traurigen Klub der „Traditionsvereine“ anzugehören, die sich, wie Werder Bremen, wie der Hamburger SV, wie der VfB Stuttgart, immer nur an sich selbst besaufen und gar nicht merken, wie sie dabei ertrinken. In Köln hat sich die Folklore in fröhliche Ironie verwandelt – der Rest der Republik hat’s nur noch nicht kapiert. Wenn die Fans nach einem mühsam erkämpftem 1:0-Zittersieg gegen Mönchengladbach auf der Südtribüne „Europapokal!“ singen, schreibt der Sport-Informationsdienst: „In Köln träumen sie schon wieder von Europa.“ Dabei träumt in Köln niemand mehr von irgendwas, man freut sich einfach nur und lacht dazu – auch ein bisschen über sich selbst.
Die Suche nach dem Tag, an dem in Köln alles anders wurde, führt zurück zum 5. Mai 2012, dem schwärzesten Tag der Vereinsgeschichte: Ein 1:4 gegen die Bayern besiegelt den fünften Abstieg, im Stadion werden dunkle Rauchbomben entzündet, als Zeichen der Trauer, aber auch des Protests. Zum ersten Mal wenden sich die Fans ab von ihrer großen Liebe, der sie in ihrer Hymne sonst ewige Treue schwören. Da wird auch dem letzten klar: So geht es nicht weiter.
Es ist ein feiner Zug des Schicksals, dass es ausgerechnet die Bayern waren, die bei der Wiederauferstehung des FC eine entscheidende Rolle spielten. An jenem 5. Mai 2012 nämlich fragte Werner Spinner, damals gerade neu ins Amt gewählter FC-Präsident, den großen Uli Hoeneß um Rat: Welchen Manager er ihm denn empfehlen würde? Der Bayern-Chef zögerte keine Sekunde: Jörg Schmadtke sei der beste. So fing es an. Auch wenn der Verein auf Schmadtke etwas warten musste – und der Tiefpunkt noch nicht erreicht war.
Am vierten Spieltag der folgenden Saison verlor der FC zu Hause mit 0:1 gegen Cottbus und fand sich auf Platz 17 wieder – auf Platz 17 der Zweiten Liga, wohlgemerkt. Da war keine Geißbock-Hennes-Glückseligkeit mehr, kein Kölle Alaaf – da war Angst, und wenn man so will: eine tiefe Sehnsucht nach Langeweile irgendwo im Bundesliga-Mittelfeld. Bis in die letzten Verästelungen des Vereins war die Erkenntnis eingedrungen, dass hier kein Betriebsunfall vorliegt, sondern ein Totalschaden. Vor allem aber: Dass es dauern würde, und viel Geduld nötig war. Viel Geld, mit dem man den Schmerz kurz hätte wie früher betäuben können, etwa für eine Podolski-Rückholaktion, war ja schon längst nicht mehr da. Also machten sie sich an die Arbeit. Und die Fans machten mit, bereit, auf ihren Verein zu warten.
Das Stadion singt wieder vom Europapokal - und lacht selbst drüber
Für die meisten von denen, die auch in den bittersten Zeiten nach Müngersdorf kamen und für Montagsspiele über die Dörfer fuhren, war die Fallhöhe ja auch nicht so enorm. Sie hatten noch nie selbst erlebt, dass ein Spieler Ihres FC einen Pokal oder gar eine Schale in Händen hielt. Sie waren so gesehen da schon weiter als der Verein. Denn während der als Fußballer verehrte Wolfgang Overath noch als Präsident vor sich hin dilettierte, saßen im Stadion längst Leute, die ihn nie hatten spielen sehen – und dementsprechend ganz andere Erwartungen hatten. Sie kannten keinen anderen FC. Was sollten sie da heute vermissen? Hennes wird weiter ins Stadion geführt, und auch Poldi schaut immer mal wieder vorbei.
Aber was macht ihn nun aus, diesen „neuen“ FC? Kommunikationschef Tobias Kaufmann sagt: „Eine neue Grundidee.“ Bescheidenheit und Teamgeist zogen ein ins Geißbockheim. Dazu gehört auch, dass seit jenem Absturz 2012 zu jedem Saisonbeginn die Profis mit den Mitarbeitern ein Turnier ausspielen. Das Verhältnis untereinander ist enger geworden, die Loyalität auch. Das spürt auch der „Express“, der früher ein enormer Verstärker von Neid und Missgunst war – und zunehmend vielen Fans ein Ärgernis. Kritisch ist die Zeitung noch heute, aber getragen von einer Grundstimmung, die der am Geißbockheim und jener der Fans entspricht: Wohlwollen.
Für Chefredakteur Carsten Fiedler ist der Verein „noch nie so professionell geführt worden wie heute“. Er hebt besonders die Leistung von Geschäftsführer Alexander Wehrle hervor, der eine geradezu sensationelle Idee durchgesetzt hat: Es wird nur noch so viel ausgegeben, wie eingenommen wird. Muss man auch erst mal drauf kommen. Ob da nicht doch der eine oder andere Fan den Wahnsinn vergangener Jahre vermisst? Fiedler sagt: „Der ganze Kult war doch nur noch eine Persiflage zur Frustbewältigung. Heute genießen wir das Gefühl, auch mal ganz überlegen zu gewinnen.“ Dass der „Express“ nicht mehr jede Neuverpflichtung erfährt, bevor der Klub sie bekannt gibt, nimmt er dafür gerne in Kauf – jedenfalls als Fan.
An dieser familiären, aber eben auch professionellen Atmosphäre liegt es, dass ein Jonas Hector und ein Timo Horn Angebote größerer Klubs ausgeschlagen haben – und an Trainer Peter Stöger natürlich. Als hoch professionell wird er von allen beschrieben, was denn auch sonst, aber eben auch als enorm integrativ. Es soll bei ihm Spaß machen, zum Training zu kommen, auch jenen, die gerade nicht spielen oder neu sind, und dafür muss das Team nicht unbedingt zum Rafting fahren, sich zwecks besseren Zusammenhalts ein paar Tage von Würmern ernähren – oder gar über Glasscherben laufen. Niemand, der Stöger erlebt hat, ruft mehr nach Daum.
Aber der Karneval, der Kult, die Folklore! Ach, keine Sorge, ist natürlich alles noch da, und das sogar im Vorstand: Da wäre zum einen Markus Ritterbach, nicht nur erfolgreicher Unternehmer, sondern – Tätä! Tätä! Tätä! – auch Präsident des Festkomitees Kölner Karneval. Und zum anderen natürlich „dä Tünn“: Harald „Toni“ Schumacher, Vereinslegende, Meistertorwart und Bindeglied zu jenen, die ihre ersten Spiele noch in der „Westkampfbahn“ sahen, dem Vor-Vor-Vorgängerstadion des heutigen Stadion, vor dem die Ultras am vergangenen Sonntag den Bus von RB Leipzig blockierten – mit denen will man hier genauso wenig gemeinsam haben wie mit Werder Bremen, dem Hamburg und dem VfB Stuttgart.
Und Lukas Podolski? Vermisst den denn wirklich niemand? „Den Zeiten mit Poldi trauert keiner mehr nach“, sagt Sebastian Dudey, Mitglied des Berliner FC-Fanclubs „Sektion Westpolen“ – und der muss es wissen: Er hat sich ein Originalautogramm von Poldi auf den Arm tätowieren lassen. Aber so ganz ohne Drama, geht das gut? „Ich kenne keinen, der den FC von heute langweilig findet, im Gegenteil: Alle gehen stolz im Trikot ins Stadion oder in die Kneipe“, sagt FC-Fan Dudey. Und er findet sogar freundliche Worte für Schmadtke, obwohl der ja von der falschen Rheinseite kommt: „Für einen Düsseldorfer macht er das schon ganz gut.“ Na bitte.
Lorenz Maroldt