Fußball-Bundesligist trainiert wieder: Dem 1. FC Union fehlt die Keimzelle
Der Aufsteiger übt wieder in Köpenick, doch den Inhalt bestimmt das Coronavirus. Christopher Lenz gewährt Einblicke in den veränderten Alltag.
Christopher Lenz lächelte in die Kamera, ein paar Reporter lächelten zurück. So laufen sie nun ab, die Gespräche zwischen den Spielern des Fußball-Bundesligisten 1. FC Union und den Berichterstattern, über Videoschalte nämlich. Viel zu erzählen hatten die Profis des Aufsteigers bislang nicht, der Ball ruhte ja, der komplette Betrieb war im Homeoffice, Fitnessstände und Spieltaktiken nebensächlich.
Seit Montag ist das anders, dürfen die Spieler das Stadiongelände An der Alten Försterei wieder betreten, sogar die wegen des Coronavirus zwischenzeitlich in die Wohnzimmer verlegten Trainingseinheiten finden statt.
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Aber der Rahmen bleibt eng gesteckt. Die Mannschaft muss sich in verschiedenen Kabinen umziehen, geduscht werden soll möglichst zuhause, dafür werden die Teamräume mehrmals am Tag gereinigt und desinfiziert. Hauptsache, das Coronavirus befällt die Profis nicht.
Nach diesem Motto trainieren die Spieler auch. Ob denn Zweikämpfe möglich seien, wurde Christopher Lenz, Unions Linksverteidiger, am Mittwochvormittag gefragt. „Mit einer Stange vielleicht“, antwortete er und musste schmunzeln.
Derlei Equipment – Stangen, Hütchen, Ringe, die passionierte Fußballer gerne meiden, weil sie Regeln vorgeben, die das freie Spiel nicht kennt – bestimmt bei Union nun den Tagesablauf. Das Coronavirus lässt vielmehr nicht zu als Laufeinheiten und taktische Studien.
Nur in Kleingruppen – Lenz’ Fünferteam startete am Mittwoch um 8 Uhr – dürfen die Profis arbeiten; am Montag und Dienstag standen Shuttle-Run-Tests an. Fitness first gilt in diesen Tagen, Athletikcoach Martin Krüger gibt den Takt vor.
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Der ehemalige Meister- und Vizemeister-Trainer Christoph Daum, der sein Leben eine Zeitlang so unbeschwert führte wie ihm seine Sprüche über die Lippen kamen, hätte ein derart spartanisches Trainingsprogramm vermutlich verteufelt. „Die Keimzelle des Fußballs ist das Zweikampfverhalten“, sagte Daum vor vielen, vielen Jahren mal, eine Aussage, die auf den 1. FC Union unter seinem ergebnisorientierten Trainer Urs Fischer ganz besonders zutrifft.
Einen harten, aber selten herzlichen Stil pflegen die Berliner, robust bis ruppig – jetzt aber gilt strengstes Kontaktverbot, neben und eben auch auf dem Platz. „Es ist trotzdem gut, wieder einen Alltag zu haben“, sagt Lenz, „ich bin froh, dass wir überhaupt in irgendeiner Form trainieren können“.
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Das Einzeltraining, das Lenz wohnortbezogen häufig Richtung Teufelsberg in den tiefen Berliner Westen führte, war kein gleichwertiger Ersatz. „Natürlich hatte ich manchmal keinen Bock zu laufen“, sagt Lenz. Dann habe er eben die Playstation vorgezogen und den Lauf später als geplant absolviert. „Man kann nicht über Monate individuell trainieren“, findet er, die Intensität sei nicht dieselbe.
In den kommenden Wochen wollen die Berliner nun wieder gemeinsam arbeiten, mit klarem Fokus, auch was den Terminplan betrifft: „Damit wir ein Ziel haben, ist es wichtig, dass im Mai in der ersten oder zweiten Woche wieder gespielt wird“, sagt Lenz.
Und falls die Saison doch vorzeitig beendet würde? „Ich denke, wir würden dann erstmal normal bis zur Sommerpause weitertrainieren, auch wenn keine Spiele sind“, sagt Lenz.
Aber so genau weiß das derzeit wohl niemand. Das Virus hat die gewohnten Abläufe der Kicker ordentlich durcheinander gebracht. „Es ist die skurrilste Situation überhaupt in meinem Leben“, findet Lenz. Den Rhythmus geben in diesen Wochen eben Keimzellen vor, die auch der Fußball nicht greifen kann.