Dortmund und der Coup gegen Malaga: Das Wunder mit der Brechstange
Ein Siegertyp auf der Bank: Auch wenn wie im Viertelfinale der Champions League gegen den FC Malaga schon alles verloren scheint, gibt Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp einfach nicht auf.
Kurz vor Spielschluss saß Ilkay Gündogan auf der Bank, müde, leer, ausgewechselt, einfach nur tief enttäuscht. Dem Nationalspieler gingen die Bilder durch den Kopf, „von all den vielen Chancen, die wir im Hin- und Rückspiel vergeben haben, von all den Paraden, die dieser unglaubliche Torhüter gemacht hat“. Borussia Dortmund war mausetot, gescheitert im Viertelfinale der Champions League an einem Gegner aus Malaga, der ein taktisches Meisterstück abgeliefert hatte.
Doch dann tobte der Wahnsinn durch das Dortmunder Stadion und fegte über alles hinweg, was in den 180 Minuten zuvor geschehen war. Zwei Tore von Marco Reus und Felipe Santana in der Nachspielzeit, die alles auf den Kopf stellten und Dortmund durch das 3:2 doch noch ins Halbfinale brachten. Kurz danach war Schluss, Gündogan kann sich nur noch daran erinnern, „wie ich losgerannt bin, auf einmal war ich bei Reus in den Armen“, der Rest ging unter in einem Knäuel aus Jubelnden, das kaum mehr zu entwirren war.
Den unglaublichen Schlussakkord wird kein Dortmunder mehr vergessen. Der sonst so coole Michael Zorc berichtet später, wie sehr ihn diese fulminante Nachspielzeit aufgewühlt habe. „Dieses Spiel“, berichtete Dortmunds Sportdirektor sichtlich bewegt, „wird einen Platz in der BVB-Historie erhalten.“ Mehr als das, sie wird auch eingehen in die Geschichte der an großen Momenten so reichen Champions League. Wenige Meter von Zorc entfernt stand Mats Hummels und erinnerte an ein Ereignis von vergleichbarer Strahlkraft. Damals, 1999, erzählte der Manndecker, habe er mit den Bayern mitgelitten, bei denen er in der Jugend aktiv war, und musste vor dem Fernseher hilflos mit ansehen, wie Manchester United seinem damaligen Klub in einer ähnlich dramatischen Schlusssequenz den Pokal noch entriss. Nun war Hummels auf der Seite der Sieger, was sich definitiv besser anfühlte. „Diesen Traum, so etwas mal zu erleben, den habe ich, seit ich Fußball spiele.“ Hummels war einer der Protagonisten der wundersamen Dortmunder Auferstehung.
Über weite Strecken hatte der BVB das abgeliefert, was Trainer Jürgen Klopp als „unser schlechtestes Champions-League-Spiel bisher“ bezeichnete: „Wir wollten unbedingt ins Halbfinale, und das hat dazu geführt, dass wir nicht so locker flockig gespielt haben.“ Im Gegenteil, der Deutsche Meister wirkte verkrampft und machte es seinem Gegner leicht, das Spiel zu beherrschen. Die spanische Führung durch den starken Joaquin und Eliseu war verdient, als Malaga in der 82. Minute das 2:1 erzielte, schien die Sache nach dem 0:0 im Hinspiel gelaufen. Dortmund brauchte nun zwei Tore.
Doch dann entdeckte Klopp die westfälische Brechstange als neues Stilmittel und half seiner Mannschaft, das Schicksal zu wenden. Dortmunds Trainer wechselte Hummels und Nuri Sahin ein, die den Auftrag erhielten, sich vor der aufgelösten Abwehr zu positionieren und die langen Manndecker Neven Subotic und Felipe Santana in der Spitze mit langen Bällen zu versorgen. Das brachiale Mittel funktionierte, weil sich die Männer in Schwarz-Gelb mit jeder Faser ihres Körpers gegen das Ausscheiden wehrten. Es sei „unglaublich, dass diese Mannschaft einen solchen Trotz entwickeln kann“, sagte Zorc kopfschüttelnd. Der Sportdirektor sollte es besser wissen, schließlich hat er vor fünf Jahren den Protagonisten verpflichtet, der die feste Überzeugung vorlebt, dass man mit Willen und Leidenschaft Berge versetzen kann. Wo sich die meisten seiner Kollegen in ihr Schicksal ergeben hätten, tobte Klopp immer noch unermüdlich an der Linie entlang und trieb seine Spieler nach vorn. „Wir mussten das Glück erzwingen“, sagte Klopp.
Es funktionierte, weil mit dieser faszinierenden Mischung aus kühlem Kopf und heißem Herzen offensichtlich Spiele gewonnen werden können, die eigentlich längst verloren sind. „Die größten Spiele in der Geschichte des Fußballs sind nicht deshalb in Erinnerung geblieben, weil sie so fantastisch waren und der eine Gegner total unterlegen war“, philosophierte der Trainer später, „sondern weil es ganz eng war und am Ende noch eine Wendung kam, die man nicht mehr für möglich gehalten hätte.“ Allerdings durften sich die Borussen bei ihrer fulminanten Aufholjagd nicht nur der Unterstützung ihres Übungsleiters gewiss sein, sondern auch der des schottischen Schiedsrichtergespanns. Zumindest ist das die Überzeugung, die Manuel Pellegrini vertrat.
Malagas Trainer beklagte sich bitterlich, „dass es nach dem 2:1 kein richtiges Schiedsrichterwesen mehr auf dem Feld gab“. Konkret monierte er die seiner Meinung nach überharte Gangart des Gegners, die mit Roten Karten für Bender und Schmelzer hätte geahndet werden müssen. Zudem sei dem 3:2 von Santana eine gleich doppelte Abseitsstellung vorausgegangen. Das ist vollkommen richtig, doch dabei verschwieg der 59-Jährige galant, dass auch der zweite Treffer seines Teams aus dem Abseits heraus erzielt worden war. Der Präsident und Klubeigner Abdullah ben Nasser Al-Thani aus Katar drückte sich noch drastischer aus. „Das hat mit Fußball nichts zu tun, das ist Rassismus“, twitterte er und forderte eine Untersuchung durch die Uefa. Die Erfolgsaussichten dahingehend sind gleich null, da es sich um Tatsachenentscheidungen handelt. Diese Niederlage, so Pellegrini, tue weh, doch er halte es für „übertrieben, von Grausamkeit zu sprechen“. Der Chilene weiß, wovon er spricht, am Wochenende gab er in der Heimat seinem verstorbenen Vater das letzte Geleit. Die Niedergeschlagenheit des Gegners konnte Jürgen Klopp nachvollziehen. „Wir haben auch schon große Spiele verloren, man fühlt sich danach häufig ungerecht behandelt“, sagte er. „Aber über beide Spiele gesehen, sind wir verdient weitergekommen.“