Tennis: Das Spektakel Wimbledon - Blick hinter die Kulissen
Die perfekte Verbindung aus Historie und Moderne: 250 000 verkaufte Schalen Erdbeeren, strenge Kleidervorschriften und ein twitternder Falke. Ein Blick hinter die Kulissen des Spektakels Wimbledon.
Der Morgen in Wimbledon gehört Rufus. Rufus ist ein Falke und in Großbritannien ein Star. Er kontrolliert den Luftraum über dem All England Lawn Tennis and Croquet Club und geht jeden Tag zwischen fünf und neun Uhr seiner offiziellen Tätigkeit als Vogelscheuche nach. Besonders für Tauben wird es dann gefährlich, insbesondere am Centre Court. Sich in der Dachkonstruktion des Allerheiligsten von Wimbledon ein Nest bauen zu wollen, ist angesichts der Präsenz des Raubvogels keine gute Idee. Über seine Erfolge bei der Jagd informiert Rufus auf Twitter und Facebook und passt damit perfekt zum Zeitgeist des wichtigsten Tennisturniers der Welt.
Denn Wimbledon steht für Tradition, hat aber längst gelernt mit der Mode zu gehen. Ein twitternder Falke ist dafür nur ein weiterer Beleg. „Wir wollen modern sein, dürfen aber nicht zu viel verändern“, sagt Turnierdirektor Richard Lewis. Dass der Centre Court seit einiger Zeit über ein verschließbares Dach verfügt, ist für Lewis die „größte Veränderung seit dem Umzug des Klubs in den 1920er Jahren“. Und weil sich diese Wetterfestigkeit bewährt hat, wird bis 2019 auch der zweitgrößte Platz der Anlage überdacht und soll dann auch noch 1000 Zuschauer mehr fassen. Lewis geht es gar nicht darum, noch mehr Leute auf die Anlage zu bringen. Wichtiger sei stattdessen, „das Erlebnis Wimbledon noch einzigartiger zu machen“.
Die Anlage gleicht einem Bienenschwarm
Dabei ist Wimbledon schon heute eine Erlebniswelt für Tennisfans. Anders als bei den anderen Grand Slams gibt es auf den Courts praktisch nie freie Plätze. Wimbledon ist immer ausverkauft. Rund 40 000 Besucher sind während der zwei Wochen täglich auf der Anlage, tausende andere stehen an der Church Road in der vielleicht berühmtesten Warteschlange der Welt. „The Queue“ ist längst ein Eigenname, von der nahe gelegenen U-Bahnstation Southfields wird der Fan zielsicher zum Ende der Schlange geleitet. Frühes Erscheinen sichert dabei allerdings nicht unbedingt eine Eintrittskarte.
Wer beispielsweise am besonders beliebten zweiten Turniermontag in die erste U-Bahn am Morgen einsteigt und so der Masse zuvorkommen will, erlebt vor Ort eine kleine Enttäuschung. Die Schlange nämlich ist längst 5000 Menschen lang, die Hoffnung, noch ein Ticket für die großen Plätze zu ergattern, verschwindend gering. Jeweils 500 Karten werden pro Turniertag noch für die drei größten Courts an die Wartenden vergeben – für den Rest bleibt für 25 Pfund nur der Zugang auf die Außenplätze der Anlage. Der Einlass ist allerdings nicht garantiert und bis es soweit ist, vergehen oft Stunden. Trotzdem ist die Stimmung in der Schlange locker, hier zu stehen ist fast schon wieder cool oder wie es Richard Lewis ausdrückt: „Es ist so wie das Warten vor einer angesagten Party-Location. Alle wollen rein, aber keiner weiß, ob das wirklich klappt.“ Also wird schon vor den Toren des Klubs gefeiert. Zelte, Musik und lockere Gespräche prägen „The Queue“ – Zeit dafür ist schließlich genug.
Doch wenn man einmal drin ist, wird man sofort in die Tennis-Erlebniswelt hineingezogen. Die Anlage gleicht nach dem Öffnen der Tore täglich um 10.30 Uhr einem Bienenschwarm. „Bitte nicht rennen“, wird per Lautsprecherdurchsage nachdrücklich freundlich an die Zuschauer appelliert. 700 Sicherheitskräfte sorgen für Ruhe und Ordnung, 1800 Beschäftigte im Verkauf hoffen auf reichlich Umsatz. Und darauf ist in Wimbledon Verlass: 350 000 Tassen Tee und Kaffee werden in den zwei Wochen getrunken, mehr als 200 000 Essen serviert, dazu kommen noch 100 000 Gläser Bier, fast 30 000 Flaschen Champagner und 60 000 Portionen Eiscreme. Und natürlich dürfen auch die traditionellen Wimbledon-Erdbeeren nicht fehlen, die im Klub schon im 19. Jahrhundert mit flüssiger Sahne zum Nachmittagstee gereicht wurden.
Bei der Platzpflege hilft auch die moderne Wissenschaft
Sally Ixer kümmert sich um den Nachschub der in England besonders beliebten Früchte. 250 000 Schalen mit exakt zehn Erdbeeren werden während des Turniers verkauft. „In diesem Jahr sind sie richtig süß“, sagt Ixer, die alle nur Erdbeer-Sally nennen. Stolze 2,50 Pfund kostet eine Portion. Die Erdbeeren kommen aus Kent und werden speziell für Wimbledon angebaut. In einem Lagerraum in den Katakomben des Klubs bringt ein gutes Dutzend Arbeitskräfte die Früchte zwölf Stunden am Tag in Form. Auch hier ist die Stimmung gelöst, obwohl die meist jugendlichen Angestellten zwar Teil des Turniers sind, vom Trubel auf der Anlage selbst aber gar nichts mitbekommen.
Im Mittelpunkt von Wimbledon steht natürlich der Sport. Der soll auf möglichst hohem Niveau ausgetragen werden und dafür braucht es zunächst einmal vernünftige Rasenplätze. Insgesamt gibt es davon auf der Anlage 41 – und alle sollen sich möglichst gleich bespielen lassen. Dafür ist Neil Stubley zuständig. Er ist der oberste Platzwart des Klubs und steht schon seit 21 Jahren im Dienst des Grüns. 2015 war es in der ersten Woche so heiß wie noch nie in der Turniergeschichte. Eine besondere Herausforderung für Stubleys Team. „Die Plätze dürfen nicht austrocknen, also mussten wir viel wässern. Allerdings darf es auch nicht zu rutschig werden“, sagt Stubley. Vor jedem Spieltag wird der Grad der Durchtrocknung gemessen – auf denkbar einfache Art und Weise. Ein Tennisball wird auf den Rasen geworfen und je höher er wieder abspringt, desto mehr Wässerung ist nötig. Allerdings wird bei der Platzpflege auch die moderne Wissenschaft zu Rate gezogen. In einem eigenen Forschungszentrum werden das ganze Jahr über verschiedene Gräser gehegt und gepflegt, damit die Spieler auf bestmöglichem Untergrund ihr Tennis zeigen können. Ganz wichtig ist dabei der erste Sonntag des Turniers. Der ist nämlich nicht etwa aus Gründen der Tradition spielfrei, sondern damit sich das Gras zur Halbzeit des Grand Slams erholen kann.
Die knallig-bunten Sponsorenlogos fehlen in Wimbledon
Kritik am Spiel auf Rasen gibt es allerdings trotzdem. Sie ist auch fast schon Tradition. Ivan Lendl etwa war während seiner aktiven Zeit als Profi der festen Überzeugung, dass Gras nur etwas für Kühe sei. Andre Agassi mied Wimbledon am Anfang seiner Karriere aus einem anderen Grund: Die rigiden Kleidervorschriften passten nicht zum Image des Paradiesvogels. Tatsächlich wird die „All White“-Regel des Klubs auch in diesen Tagen wieder kontrovers diskutiert. Selbst Roger Federer äußerte sich verwundert über die kompromisslose Haltung der Verantwortlichen. So wurde Nick Kyrgios verboten, mit einem Stirnband aus dem Wimbledon-Shop anzutreten, weil der grün-violette Streifen die zulässige Breite minimal überschritten hatte. Spielerinnen wiederum beschwerten sich darüber, dass die Farbe ihrer Unterwäsche noch vor Betreten des Platzes penibel kontrolliert wurde. „Wir müssen hier konsequent bleiben, sonst brauchen wir erst gar keine Regeln aufstellen“, sagt Richard Lewis. Der Turnierdirektor ist der festen Überzeugung: „Weiß passt am besten zum grünen Rasen“. Kleine Farbtupfer – welcher Art auch immer – stören da nur.
So verwundert es kaum, dass in Wimbledon auch die sonst für Sportveranstaltungen typischen knallig-bunten Sponsorenlogos fehlen. Vornehme Zurückhaltung kennzeichnet die „offiziellen Unterstützer“, wie sie Lewis nennt. Diese dezente Werbung bringe allen Beteiligten mehr, glaubt der Turnierchef. Tatsächlich ist Tennis in Wimbledon heute so angesagt wie wohl noch nie in seiner 138-jährigen Geschichte. Vergangenheit trifft Zukunft – diese Mischung aus Historie und Moderne zieht. Und sie ist ein großes Geschäft. Eines, das sich hinter Tradition und Benimmregeln versteckt und dabei so gut funktioniert, dass das Geldverdienen fast schon nebensächlich erscheint.
Die Kosten dieser Pressereise wurden vom TV-Sender Sky übernommen.