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Wollen sich keinen Bären aufbinden lassen: Die bundesweite Interessenvertretung für aktive Fan- und Ultragruppen Pro Fans hat sich mit einem offenen Brief gegen die Öffnung des Spielplans für Neuerungen ausgesprochen.
© dpa

Willmanns Kolumne: Das Märchen vom Hinterhoffußball

Tradition gegen Kommerz: Die Geschäftsleute der DFL überlegen, ob sie den Bundesliga-Spieltag nicht für mehr Geld zerstückeln sollen - gegen den Willen der Fans.

Das Reich des Bösen wird in unserer Zeit von Frankfurt aus beherrscht. Will man apokalyptisch angehauchten Fußballforschern glauben, nimmt die Unterdrückung des deutschen Fußballs in der Guiollettstraße 46-48 ihren Ausgang. Warum heißt die Straße nicht Guillotinenstraße, fragt sich manch abergläubischer Hysteriker. Das wäre doch naheliegend, aber vielleicht zu naheliegend. Wenn etwas zu nah liegt, kann es sehr schnell uninteressant werden. Oder umgekehrt. Also andersrum. Zu nah ist wie zu fern. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Wie ein Regenbogen nach heftigem Gewitter. Ein Regenbogen war für viele Völker ein Zeichen des gütigen Fußballgotts.

Die Märtyrer der Fanorganisation Pro Fans glauben tatsächlich, ohne sie würde kein Kick stattfinden. Sie forderten im Februar 2015, am symbolgeladenen Freitag den 13., Mitspracherecht bei den Ansetzungen der 1. und 2. Bundesliga ein. Am Tag nach Faschingsbeginn setzten sie kurz die Narrenkappe ab. Und verlangten die Abschaffung der Freitagsspiele in den beiden Ligen, die Vermeidung englischer Wochen usw. Sie glauben ernsthaft daran, im deutschen Fußball eine mächtige Stimme zu besitzen. Weil sie Eintrittskarten, Stadionbier und Fankram kaufen. Pietät und Putz – wir sind die Tradition. Fußballromantik pur, fast möchte man sich scheckig lachen. Ihr Hauptfeind: Die DFL.

Diese Worte stehen zweifellos für Demolierung fußballerischer Lebensweisheit. Die DFL-Geschäftsleute schauen sehnsüchtig nach England. Dort gibt es für die Fernsehrechte 2016-2019 satte 6,9 Milliarden Euro. Im Gegenzug wird der Spielplan für Neuerungen „geöffnet“, also häppchenweise der Couchkartoffelfraktion vor der Glotze angeboten. Die deutschen Fußballgeschäftsleute wollen natürlich auch mehr Geld (verdienen). Wachstum an allen Fronten liegt in der Natur der Sache. Was die DFL-Schlingel vorhaben, klingt für die Pro Fans wie eine Anklage wegen Hochverrat mit anschließender Hinrichtung. Die DFL will die Bundesliga noch teurer verkaufen. Um ihren Stars noch mehr Geld in den Rachen zu gießen. Um selbst noch mehr Kohle zu machen. Inklusive der ganzen Bande von Mitessern (Manager, Berater, Familienangehörige).

Wer das bezahlt, ist klar. Der Fan auf der Opferbank. Was trägt man eigentlich beim Opfergang? Die Mode war immer ein wesentliches Element des Fußballs. Die grobe Kutte des einfachen Fans gegen die purpurnen Gewänder seiner heiß geliebten Idole. Besonders putzig finde ich folgende Botschaft der Pro Fans:  „Wir möchten auch darauf hinweisen, dass die Bundesliga trotz des vermeintlichen finanziellen Wettbewerbsnachteil in den letzten Jahren sportlich konkurrenzfähig war und ist, was sich auch durch den Weltmeistertitel zeigte. Riskieren Sie nicht leichtfertig die hier gewachsenen Strukturen, um eine finanzielle Lücke zu schließen, die auch auf Grund der unterschiedlichen Strukturen und historischen Begebenheiten extistiert.“

Wow, sie haben sich getraut, nicht Bitte zu sagen! Was für ein bürokratischer Salm bar jedes revolutionären Pathos! Ich bin möglicherweise der einzige Mensch, der diese Erklärung bis zum Ende gelesen hat. Alle anderen sind vorher eingeschlafen oder gar entschlafen. Auch nach eintägiger Forschung weiß ich noch immer nicht, was sich hinter dem Neuwort „extisiert“ verbirgt. Stress mit Grund? Wollen die Scheinprotestler vielleicht doch etwas zum explodieren bringen? Wasserbomben auf die Guillotinenstraße? Wieso den Fußball retten, wenn man sich auch um die Anstoßzeiten kümmern kann? Ist das aufrichtiger Zynismus?

Der erste Satz („ Wir möchten…“)  stammt von einem geschulten BWLer. Die Buli war und ist konkurrenzfähig. Darum sind „wir“ Weltmeister. Wer hätte das gedacht! Italien wurde erfolgreich der Bart rasiert, der Balkan darf weiterhin Lieferant von juveniler Frischware sein. Gefahr von unten drohte bis vor kurzem höchstens aus der Ukraine und Russland. Wenn da nur nicht England wäre…

Der zweite Satz („Riskieren…“) stammt aus der Predigt des seligen St. Gauckusios zu Konstantinopel kurz vorm Einfall der Osmanen im Jahr 1453. Er ist weder eine Drohung, noch eine Ankündigung aufständischer Wirren. Er ist nicht mal Schmollecke Hinterhoffußball. O du großartige Zeit des unterschätzten Hinterhoffußballs. Als es noch Schellen regnete, wenn wir die Garagentore der Garagenbesitzer mit unseren Lederpillen torpedierten. Kaderschmiede Hinterhoffußball, ich albträume oft von dir. Einmal bekam ich vom Malermeister Fleischhacker dermaßen eine gepellt, dass die linke Backe anschwoll wie ein Fußball. Klar hieß das Rache nehmen. Eine Woche später wollte der gute Mann früh mit seinem Wartburg (Handwerker fuhren in der Zone natürlich keinen Trabant) zur Arbeit düsen. Leider hatte sich jemand in der Garage zu schaffen gemacht und den weißen Wagen mit schwarzen Pimmeln bemalt. Weiß symbolisiert die Reinheit und Freude. Schwarz den Tod und die fortwährende Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts. Deshalb sind „wir“ Weltmeister.

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