Boateng-Brüder besuchen die Panke in Wedding: "Das ist unser Wohnzimmer"
Zurück zu den Anfängen: Die drei Boateng-Brüder besuchten den alten Bolzplatz in Wedding, auf dem sie ihre ersten Pässe gemacht haben. In der "Panke" warteten nicht nur die Medien auf sie, sondern auch die jungen Fans.
9 Uhr, 20 Grad, Berlin-Wedding. Unweit der vierspurigen Osloer Straße liegt zwischen Bäumen und wirren Steinkonstrukten einer der sagenumwobenen Orte der jüngeren deutschen Fußballgeschichte: die Panke. Fußballkäfig. Mystischer Pilgerort der Generation »Vier gegen Vier«. Fixpunkt der Geschichte der Gebrüder Boateng – George, Kevin-Prince, Jerome. Alle drei sind heute das erste Mal seit zwölf Jahren gemeinsam zurückgekehrt auf die Steinplatte, auf der sie sich einst blutige Knie holten. Tränen weinten. Scheiße bauten. Sie galten einst als drei der größten Talente des deutschen Fußballs. Hier haben sie alles gelernt, was sie später auf dem Rasen oder im Gefängnis zum Überleben brauchten.
Beats drücken aus den Boxen. Die drei Brüder sitzen in ihrem Käfig und überstrahlen alles. Vor ihnen: 200 Journalisten aus ganz Europa. Um sie herum: der Wedding von heute. Migrantenkinder, Hunderte, die jedes ihrer Worte inhalieren. Ein paar sind auf die umstehenden Bäume geklettert. Die VIP-Logen der Problembezirke. »Geboren auf Beton« hat jemand auf den Boden gekritzelt. Und natürlich wissen die Boatengs ganz genau, wie man diesen Ort mit noch mehr Nostalgie belädt. »Hier sind wir Männer geworden«, sagt Kevin-Prince, wasserstoffblonde Haare, quietschgrüne Schuhe, Frechdachsgrinsen. »Das ist unser Wohnzimmer«, sagt George, der Älteste. Und auch Jerome, der nur 20 Stunden zuvor noch Lionel Messi in der Münchener Allianz-Arena zur Weißglut getrieben hatte, hat so einen Satz parat: »Das ist ein Familientreffen« Sie sitzen auf schwarzen Regiestühlen. Kein Wunder, es ist schließlich ihr Film, den sie hier leben.
Die drei Wedding-Legenden und das Fußballmärchen
Dass sich die Brüder hier wiedersehen, hat einen guten Grund, denn ihr Ausstatter Nike stellt hier seine neuesten Fußballschuhe vor. »FSC247« heißt die Reihe. Drei Hightech-Schuhe, allesamt leichter als ein Raum voller Topmodels, wie gemacht für Fußball auf kleinstem Raum. Für Panke-Fußball. Zur Präsentation der kleinen Wunderwerke wurden den drei Brüdern im Gebäude nebenan kleine Wohnzimmer eingerichtet. Jerome bekommt ein Sneaker-Museum, George ein Tattoostudio, Kevin-Prince einen Friseursalon. Doch ganz so einfach lassen sich die Geschichten der drei Wedding-Legenden eben doch nicht erzählen. Dazu ist zuviel passiert. George landete im Knast, Jerome beim FC Bayern und Kevin-Prince am Knöchel von Michael Ballack, später tanzte er im ausverkauften Mailänder San Siro eine perfekte Michael-Jackson-Imitation. Es das moderne Fußballmärchen von den Jungs, die auszogen, um die Welt zu erobern. Popcornkino mit Asphalt-Geschmack.
Auch deswegen sind Journalisten, Fotografen, Videokünstler und Fans an die Panke gereist. Sie alle werden in kleinen Reisegruppen, durch die heiligen Boateng-Zimmer geführt werden. Dann geht es raus in den Käfig. »Uns wurde gesagt, wir sollen uns ganz normal verhalten. Aber das geht nicht mehr. Man sieht ja, dass sich in den letzten zwölf Jahren einiges verändert hat«, sagt George. Er hat sich gerade aus einer Traube von Wedding-Kids geschält, die die Brüder auf Schritt und Tritt verfolgen.
Dann stellt eine Viva-Moderatorin ein paar Viva-Moderatorinnen-Fragen. Und als Kevin-Prince in fließendem Englisch von seinem ersten Spiel in der Panke erzählt, dem Tag, an dem George ihn nach einer Flugeinlage anraunzte: »Steh auf, hier gibt es keinen Schiedsrichter«, ruft einer Jungs von draußen: »Please speak Germany.«
Jetzt noch ein bisschen Ball hochhalten, ein paar Fotos, ein paar Autogramme, dann ziehen die Boatengs von dannen. Der Tross zieht hinterher. Der DJ macht die Musik aus. Helfer fangen mit dem Abbau an. Was bleibt, ist eine Staubwolke.
Im Käfig stehen noch ein paar Jungs und zeigen sich ihre Handyfotos. Einer fragt einen Helfer, ob er einen der Bälle behalten dürfe, mit dem die Boatengs gerade noch ein bisschen gedaddelt haben. Er darf. Er grinst. Er rotzt. Und fängt mit seinen Kumpels an zu kicken. Am Zaun hängt ein Plakat. Darauf steht die goldene Regel, die den Boateng-Wedding und den Rotze-Wedding für immer verbindet. Da steht: »Nicht Bitte. Nicht Danke. Panke!«
Der Originaltext erschien am 25.04.2013 bei 11 Freunde.
Benjamin Kuhlhoff