MSV-Historie: Das Finale mit dem Foul
Wenn man an das Pokalfinale 1998 zwischen Bayern München und dem MSV Duisburg denkt, kommt einem als erstes ein Foul in den Sinn. Wie die Bayern 1998 Salou und den MSV stoppten.
Bachirou Salou schiebt sein rechtes Hosenbein hoch, die Socke runter. Gleich unterm Abdruck des Bündchens ist eine blanke Stelle auf der Haut zu sehen, daneben eine Beule. „Die Narbe vom Finale“, sagt Salou. „Die vergess’ ich nie.“
Wenn man an ein Pokalfinale denkt, denkt man an entscheidende Tore, Selbsteinwechslungen oder Elfmeterhelden. Wenn man an das Pokalfinale 1998 zwischen Bayern München und dem MSV Duisburg denkt, kommt einem als erstes ein Foul in den Sinn. „Das Spiel ist entschieden worden durch einen unglücklichen Zweikampf von Michael Tarnat gegen Bachirou Salou“, sagt Mehmet Scholl, der damals für die Bayern spielte. Wäre Salou „auf dem Platz geblieben, hätten wir den Pokal nicht gewonnen“.
Es geschah in der Nähe der Mittellinie: Die Duisburger führen 1:0, sie lauern auf Konter, und meistens suchen sie Bachirou Salou, den schnellsten Spieler der Bundesliga. Mitte der zweiten Hälfte setzt der Togolese wieder mal zum Sprint an, Tarnat grätscht von hinten heran, doch da, wo gerade noch der Ball war, befindet sich nun das rechte Bein des Duisburger Stürmers. „Ich war zu schnell“, sagt Salou. Tarnat erwischt ihn und schlitzt ihm die Wade auf. Friedhelm Funkel, damals Trainer des MSV, bringt diese Szene noch heute in Rage. „Das waren drei dunkelrote Karten zusammen“, sagt er. Doch Tarnat sieht nur Gelb und darf weiterspielen.
Die Wunde ist so lang wie Salous Zeigefinger, er wird fünf Mal getackert, minutenlang behandelt, doch es geht nicht mehr. Wenn er auftritt, ist der Schmerz im Fuß unerträglich. Als Salou in der 73. Minute ausgewechselt wird, steht es schon 1:1. Die Bayern haben die zwischenzeitliche Überzahl zum Ausgleich genutzt. Markus Babbel hat das Tor erzielt – Salous Gegenspieler.
Es ist das dritte Mal, dass der MSV im Pokalfinale steht, bisher hat er immer verloren, doch ausgerechnet gegen die großen Bayern sieht es so aus, als würde ihm die Sensation gelingen. „Wir haben den Bayern richtig wehgetan“, sagt Salou. Bis die Bayern ihm richtig wehtun.
Das Finale ist sein Spiel, in jeder Hinsicht. „Baschi war überragend“, sagt Funkel. Als „Schrecken der Bayern“ wird er vom Tagesspiegel bezeichnet. Salou ist an diesem Mai-Abend im Olympiastadion einfach unwiderstehlich. Vor der Pause bringt er seine Mannschaft in Führung: Der Stürmer nimmt dem alternden Libero Lothar Matthäus im Sprint über zehn Meter drei Meter ab und überwindet auch noch Oliver Kahn im Bayern-Tor. Salou selbst sieht gar nicht, wo der Ball hinfliegt, er hört nur, dass er getroffen hat. „Wow“, denkt er. „Ich habe ein Tor geschossen.“
Nach der Führung ist Salou erst recht in seinem Element. Wie auf Schienen rauscht sein 1,90 Meter großer und 89 Kilogramm schwerer Körper übers Feld, vorbei an staunenden Münchnern, immer hinein in den freien Raum. Salou hat das Gefühl: „Keiner von den Bayern kann mich halten.“ Auch deshalb gibt es immer wieder Spekulationen, dass Tarnats Foul ein bewusster Akt der Notwehr war. „Nie“, sagt Salou. Das sei keine Absicht gewesen. Er ist auch nicht mehr böse. Wenn er Tarnat trifft, „lachen wir nur“, erzählt Salou. „Ich sage immer: Du hast unseren Pott geklaut.“
In den ersten Stunden nach dem Spiel fällt es ihm schwerer, die Realität zu akzeptieren – zumal das Schicksal keine Gnade kennt. Das Tor der Bayern zum 2:1 fällt eine Minute vor Schluss, durch einen Freistoß von Mario Basler. Im Hotel, vorm Einschlafen, sieht Salou die entscheidende Szene immer wieder vor seinen Augen ablaufen. „Seelisch war ich total kaputt“, sagt er. „Das war unsere Chance, einmal den Pokal nach Duisburg zu holen. Und es war mein Spiel.“
Wenn die MSV-Mannschaft von damals heute gegen Schalke spielen würde, „dann würden wir den Pokal holen“. Davon ist Salou überzeugt. Er ist heute zumindest als Zuschauer dabei. Der MSV hat ihn eingeladen. Die ganze Mannschaft von 1998? Nein, sagt Salou, nur … Ihm fällt das Wort nicht ein. „Nur – die Legenden“, sagt er. „Alle Legenden sind dabei.“