Pokalfinale im Berliner Olympiastadion: Das deutsche Wembley
Der Finalort Berlin war umstritten. Doch letztlich hat sich das DFB-Pokalendspiel nach britischem Vorbild etabliert – und dem Wettbewerb seine Faszination verliehen.
Zweiunddreißig Jahre sind recht knapp bemessen für eine Tradition, aber was noch nicht ist, wird schon noch werden. Seit 1985 richtet der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein Pokalfinale in Berlin aus. Als vor ein paar Wochen wegen der Stadionbaupläne von Hertha BSC geraunt wurde, das Olympiastadion könnte seine Zukunft bereits hinter sich haben und das betreffe mittelfristig auch das Pokalfinale, da meldete sich sofort Reinhard Grindel zu Wort. „Der DFB-Pokal gehört nach Berlin und ins Olympiastadion“, sprach der DFB-Präsident, und von einer Auslagerung des Endspiels zu Marketingzwecken nach Asien, wie sie der Adidas-Chef Kasper Rorsted angeregt hatte, halte er gar nichts.
Das Bekenntnis zu Berlin ist so selbstverständlich nicht für einen Verband, der seine Zentrale in Frankfurt am Main unterhält, dort auch ein millionenschweres Leistungszentrum plant und seine Länderspiele gern breit über das ganze Land verteilt. Auch das Pokalfinale war seit seiner ersten Ausspielung im Jahr 1935, damals im Düsseldorfer Rheinstadion, als jährlich wandernde Veranstaltung konzipiert. Als der DFB 1984 in Berlin so etwas wie ein deutsches Wembley schaffen wollte, war das ein ehrgeiziges und keineswegs unumstrittenes Projekt. Vor allem aber auch eine politische Entscheidung.
Große Freude hat das damals nirgendwo ausgelöst, nicht mal in Berlin. Das Finale war nicht mehr als ein Trostpreis, eine Kompensation für die Nichtberücksichtigung der Stadt bei der Europameisterschaft 1988. Mit Spielen in der nach östlicher Lesart „selbständigen politischen Einheit Westberlin“ wäre die deutsche Bewerbung am Widerstand des Ostblocks gescheitert. Der DFB gab nach und wollte Berlin mit der zunächst für fünf Jahre geplanten Vergabe des Pokalfinales besänftigen.
Das Pokalfinale nach Berlin zu vergeben, war vor allem eine politische Entscheidung
Das gab einen hübschen kleinen Skandal in der Mauerstadt, in der sich damals keiner vorstellen konnte, welche Symbolkraft das heute in ganz Deutschland angestimmte „Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!“ einmal haben würde. Viel schwerer wog der Zorn über die verpassten EM-Spiele. DFB-Präsident Hermann Neuberger war in Berlin trotz seiner Morgengabe Zeit seines Lebens eine Persona non grata. Beim ersten Finale, das mit einem sensationellen 2:1-Sieg Bayer Uerdingens über den FC Bayern München endete, blieb sein Platz auf der Ehrentribüne des Olympiastadions leer.
Neubergers späterer Nachfolger Grindel rühmt den DFB-Pokal als den „erfolgreichsten Verbandspokal in Europa“, und daran ist das Berliner Finale wohl nicht ganz schuldlos. Was sie wohl in England dazu sagen? Der seit 1871 ausgespielte Football Association Challenge Cup, wie der FA Cup offiziell heißt, ist immerhin der älteste Fußball-Wettbewerb der Welt, sein jährliches Finale im Wembleystadion gilt als heilige Prozession. Allein der Berliner Anspruch, ein deutsches Wembley auszurichten, steht für den englischen Vorbildcharakter. In den Nordwesten Londons ist der Pokal übrigens erst ein halbes Jahrhundert nach seiner Inauguration gekommen. Vorher fand das Finale meist in wechselnden Londoner Stadien statt, alle Jubeljahre auch mal in Manchester, Liverpool oder Sheffield. Erst 1923 wurde mit dem Bau des Wembleystadions eine feste Heimat gefunden.
Gleich beim ersten Mal kam es zu heftigen Turbulenzen. Das Duell zwischen Bolton Wanderers und West Ham United zog die unfassbare Menge von 250 000 Zuschauern an, dabei bot das neue Stadion nur halb so viele Plätze. Nach Boltons Führungstor fluteten Zuschauer den Platz, der Legende nach wurden sie vom Polizisten George Scorey und seinem Pferd Billy zurückgedrängt. Billy war ein grauer Hengst, leuchtete auf den retuschierten Fotos allerdings weiß wie ein Schimmel, weshalb das erste Endspiel in Wembley bis heute als „White Horse Final“ bekannt ist.
Danach hat das Cup Final Wembley nur noch zu drei Gelegenheiten verlassen. Zwischen 1940 und 1945 wurde der Pokal wegen des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt. 1970 musste nach dem 2:2 zwischen dem FC Chelsea und Leeds United ein Wiederholungsspiel angesetzt werden. Weil sich der Rasen im Wembley in einem erbärmlichen Zustand befand, erlebte das Old Trafford von Manchester Chelseas 1:0-Sieg. Und dann waren da noch die sechs Jahre währende Pause zwischen dem Abriss des alten und dem Bau des neuen Wembley. Von 2001 bis 2006 gastierte das Finale außerhalb Englands. Das hatte keine politischen Gründe, sondern höchst pragmatische. Das Millennium Stadion in der walisischen Hauptstadt Cardiff war damals mit einer Kapazität von 74 500 Zuschauern das größte im Vereinigten Königreich. Am kommenden Samstag ist es die Bühne für das Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und Juventus Turin.