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Zeiten ändern sich: Bernd Hoffmann (links) und Marcell Jansen.
© Imago

Alles neu – nichts Neues beim Hamburger SV: Das alte Rein-Raus-Spiel

Der HSV-Aufsichtsrat entlässt Boss Bernd Hoffmann. Warum der Klub selbst in dieser existenzbedrohenden Krise nicht zur Ruhe kommt.

Auf den Hamburger SV ist einfach Verlass. Während der komplette Profifußball in ein künstliches Koma versetzt scheint, geht am Volkspark das Ränkespiel in der Führungsetage weiter als hätten die Verantwortlichen vom Coronavirus nie etwas gehört. Während sich andernorts Fußballfunktionäre sorgenvoll Gedanken über die Aufrechterhaltung des Betriebs oder über Kurzarbeit machen, verfahren die Rothosen weiter nach dem jahrzehntelang erprobten (und so gut wie nie von Erfolg gekrönten) Prinzip, rasant jeden Entscheidungsträger vorzeitig zu entlassen, der nicht mehr in die aktuelle Sachlage passt. Und zementiert einmal mehr öffentlichkeitswirksam sein Image vom ​„Jedem-das-Seine, mir-das-Meiste“-Klub.

Prominentes Opfer der neuesten Entwicklungen: Bernd Hoffmann. Der Vorstandschef wurde am Wochenende vom Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Hoffmanns Vertrag läuft noch bis 2021, wieder einmal kommt auf den HSV also eine saftige Abfindungszahlung zu. In Stellingen aber war sich die Mehrheit des Aufsichts­rates einig, dass die Demission zu diesem Zeitpunkt noch das kleinere Übel darstellt, als mit dem Boss weiterzuarbeiten, obwohl der Klub derzeit nur eine Liquidität bis zum Saisonende sicherstellen kann.

Warum Hoffmann ausgerechnet jetzt gehen muss, ist schwer zu durchdringen. Dass der scheidende Vorstandschef ein Alphatier ist, das im Zweifel zu Ichbezogenheit und Alleingängen neigt, war schon nach dessen erster Amtszeit beim HSV zwischen 2003 und 2011 am Volkspark bekannt. Auch seine Rückkehr im Mai 2018 auf den Chef­posten war umstritten. Hoffmann machte sich eine Satzungslücke zunutze, um über den Posten als ehrenamtlicher Präsident des Vereins an die Spitze der Profiabteilung – und damit zu einem üppigen Vorstandsalär – zurückzukehren. Als Interimsboss setzte er gleich eine erste Duft­marke und entließ im Handstreich mal eben die damaligen Vorstände Heribert Bruch­hagen und Jens Todt.

Hoffmanns radikale Pläne scheiterten – ohne Konsequenzen

Als der ​„Dino“ kurz darauf erstmals aus der Bundesliga abstieg, knüpfte er seine Rehabilitierung in der Führungsetage des HSV an den direkten Wiederaufstieg. Hoffmann machte keinen Hehl daraus, dass er seit März 2011 darauf gewartet hatte, noch einmal beim HSV ans Ruder zu dürfen. Und den Beweis zu erbringen, dass Menschen, die ihn rausschmeißen, per se falsch liegen.

Entsprechend radikal ging er vor, nachdem er im Sep­tember 2018 einen neuen Vertrag als Vorstandschef unterschrieben hatte. Als es mit dem beliebten Coach Christian Titz im Unterhaus sportlich nicht auf Anhieb funktionierte, ersetzte der Vorstand diesen durch Hannes Wolf. Als neuer Sportdirektor verpflichtete Hoffmann Ralf Becker aus Kiel. Doch sowohl Wolf als auch Becker durften sich nach Saisonende und dem Verbleib in der Zweiten Liga ihre Papiere wieder abholen – und sitzen derzeit ihre laufenden Verträge ab. Wer davon ausgegangen war, dass auch Hoffmann aus der Misere Konsequenzen für sich ableitet, sah sich indes getäuscht.

Warum der Aufsichtsrat erst jetzt und nicht bereits im vergangenen Sommer handelte, ist die große Frage. Schon länger war bekannt, dass Hoffmanns Durchregieren für Verwerfungen in der Führung der KGaA sorgte. Finanzchef Frank Wettstein, der vor ihm zeitweise kommissarisch den Vorstandsvorsitz innehatte, war nie als dicker Kumpel des 57-Jährigen bekannt. Der im Sommer verpflichtete Sportvorstand Jonas Boldt lehnte es von Beginn an ab, sich vom nassforschen Diplom-Kaufmann ins Handwerk pfuschen zu lassen. Was sich dieser aber in bewährter HSV-Tradition wiederkehrend anzumaßen versuchte. Kurzum: Die Zwi­schenmenschlichkeit in der HSV-Führung zeitigte schon seit Längerem beträchtliche Defizite, die sich selbst in Zeiten der Corona-Achtsamkeit und –Solidarität nicht mehr kitten ließen.

Von Kompetenzüberschreitungen und Alleingänge war die Rede

Bei Einzelgesprächen mit dem Aufsichtsrat machten Wettstein und Boldt nun deutlich, dass sie sich eine weitere Zusammenarbeit mit Hoffmann nicht mehr vorstellen mochten. Von Kompetenzüberschreitungen und Alleingänge war die Rede. Am Ende einer vierstündigen Sitzung wurde dem Vorstandboss per Mehrheitsentscheid das Vertrauen entzogen. Der Aufsichtsratvorsitzende Max-Arnold Köttgen sowie Thomas Schulz, zwei Unterstützer Hoffmanns, traten anschließend direkt zurück. Köttgens Nachfolger als Vorsitzender des nun von sieben auf fünf Personen dezimierten Kontrollgremiums wird e.V.-Präsident Marcell Jansen, der nach der Sitzung bekanntgab: ​„Wir können uns in dieser schwersten Krisenzeit des gesamten Profifußballs keine Energieverluste und belasteten Vertrauensverhältnisse leisten. Der volle Fokus muss auf die HSV-Interessen gerichtet sein.“ Den Posten des Vorstandschefs schloss Jansen am Montag nach einer digitalen Pressekonferenz für sich aus.

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Jansen gilt als Vertrauter des mondänen HSV-Gönners Klaus Michael Kühne. Der 34-jährige Ex-Nationalspieler verfügt nun über noch mehr Macht in der Leitung des Klubs. Vielleicht gelingt es dem juvenilen Ex-Kicker mit seiner konzilianten Art, dem betagten Milliardär weitere nicht rückzahlbare Darlehen für dessen kleines Fußball-Hobby aus dem Kreuz zu leiern. Der Klubkasse hätte es bitter nötig. Denn sollte die lau­fende Saison nicht zu Ende gespielt werden, fehlten dem HSV weitere 20 Millionen Euro in der Bilanz. Welche Konsequenzen dies in der ohnehin höchst angespannten wirtschaftlichen Lage haben könnte, können auch Fans mit beschränkten Fähigkeiten im Bereich ​„Kleines Ein­mal­eins“ locker berechnen.

Dieser Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von 11FREUNDE.

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