1. FC Union vor dem Relegations-Rückspiel: Das achte Köpenicker Weltwunder
Unser Autor ist seit seiner Kindheit Fan des 1. FC Union und träumt vom Aufstieg in die Bundesliga. Eine Liebeserklärung an einen besonderen Klub.
Ab Montag, 22 Uhr 22, könnte die Welt in Köpenick eine ganz andere sein. Naja, das Schloss bleibt stehen, das Rathaus auch, der sagenhafte Hauptmann spukt weiter durch die Gassen der Altstadt und die Ausflugsschiffe ankern an der Spreepromenade.
Nein, all das bleibt den Köpenickern erhalten. Aber es kommt etwas Neues dazu. Früher sprach man von den „sieben Weltwundern Köpenicks“: Es gab dort einen Lehrer, der Dummer hieß, einen Bürgermeister namens Borgmann, einen Arzt namens Todt, ein altes Fräulein, das im Alter von 80 Jahren den Köpenicker Jungmännerverein gründete, das Krankenhaus am Friedhof, das Gefängnis an der „Freiheit“, den Ratskeller im ersten Obergeschoss.
Nun könnte ein achtes Weltwunder dazukommen: Der Aufstieg des An der Alten Försterei beheimateten 1. FC Union in die höchste deutsche Fußball-Liga. Die Unioner sind, nach mehreren vergeblichen Versuchen, ganz nah dran: „Hallo, wir sind die Neuen“, werden sie sagen, wenn sie in Köln und Düsseldorf, Paderborn oder Freiburg, in Bremen, München und Wolfsburg gastieren, einen ganzen Tross gefürchteter Anhänger und Anhängerinnen im Schlepptau.
„Det wird jut, da lernen wir endlich mal andere deutsche Städte samt Stadien und Ordnungshütern kennen“, sagt einer aus der reisefreudigen Fan-Szene, „nix mehr Heidenheim, Aue, Darmstadt oder Bochum, weißt Du, Alter, wat det heeßt? Höhere Eintrittspreise, auch in den Hotels, die sofort reagieren, wenn wir mit unseren Hymnen im Anmarsch sind“. Man wird ja wohl noch träumen dürfen?!
Union war immer ein Arbeiterverein
Nachdem es unsere rot-weißen Jungs mit ihrem Schweizer Uhrwerk Urs Fischer als Trainer an der Spitze so weit wie heute gebracht haben, sollte auch der letzte Schritt mit dem seit den Zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts berühmten eisernen Kampfgeist gegangen werden. Union war immer ein Arbeiterverein, in der Industrielandschaft von Oberschöneweide lebten die Fans und verehrten ihre Stars, die es mal bis zum Endspiel um die deutsche und Berliner Meisterschaft gebracht hatten, aber ebenso bittere Abstiege verkraften mussten. Dieses Gespenst tauchte immer mal wieder in den Waldungen von Sadowa in Köpenick auf, auch zu DDR-Zeiten, wo Union als „Fahrstuhlmannschaft“ galt: mal rauf, mal runter.
Oder auch als Verein mit politisch vollkommen unzuverlässigen Menschen, die, wenn ein Lokalderby gegen den BFC Dynamo im Stadion der Weltjugend zu Ende war und die Massen an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der Hannoverschen Straße vorbeizogen, kräftig „Deutschland, Deutschland!“ riefen – um die Volkspolizisten zu ärgern. Oder man intonierte im Chor „Die Mauer muss weg!“, wenn es einen Freistoß in Tornähe gab. Der Underdog wusste, wie man sich wehrt. Die Fußball-Kenner Jörn Luther und Frank Willmann zitieren in ihrem Buch „Eisern Union!“ den Chefredakteur der Satire-Zeitschrift „Eulenspiegel“ mit den Worten: „Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind, aber jeder Staatsfeind ist Union-Fan“.
"Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind"
Lange her. Damals sollte sich die Ordnungsmacht auch über die Fanfreundschaft zwischen Herthanern und Unionern ärgern. So gehörten zur Kriegsbemalung der Fans von Union auch Hertha-Devotionalien. Union-Fan Crille sagt: „Sportlich war ja Hertha auch nicht gerade eine Leuchte, wodurch die Assoziation zu Union nahe lag. Und vielleicht auch ein Stück Widerspruch und Provokation. Na klar, das wurde ja immer gesungen: „Wir halten zusammen wie der Wind und das Meer, die blau-weiße Hertha und der FC Union“. Aufnäher wurden gedruckt: „Hertha und Union – eine Nation“.
Das hat sich ja nun erledigt, aber dennoch: Für den Fall der Fälle bekommen wir wieder ein Stadtderby, das sich gewaschen hat. Wozu braucht Hertha ein neues Stadion, wenn sie schon ein schönes – vielleicht das schönste in Deutschland! – haben? Hertha gegen Union – ein ganz heißes Ding, für beide Seiten. Und für die Fans. Rote Wand gegen blaue Wand. All das könnte gelingen, wenn...
Und wenn nicht? Der Hauptmann lebt weiter, Unions Ritter Keule stirbt nie, und der Verein, für den die Fans einst geblutet, Geld gespendet, Aktien gekauft und ein Stadion gebaut haben, versucht es wieder, eisern, wie schon so oft. Und einmal wird es gelingen. Vielleicht schon am Montagabend?