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Bundestrainer Dagur Sigurdsson hat mit der Nationalmannschaft noch viel vor.
© dpa

Bundestrainer der Handball-Europameister: Dagur Sigurdsson: In 16 Monaten ganz nach oben

Wie zuvor bei den Füchsen Berlin hat der isländische Trainer Dagur Sigurdsson auch in der Nationalmannschaft Talente zu Spitzenspielern geformt.

Die Feierlichkeiten müssen jetzt erstmal hinten anstehen, auch wenn das Bier wahrscheinlich abgöttisch gut schmecken würde. Während die Spieler der Handball-Nationalmannschaft am Sonntagabend in den Katakomben der Arena von Krakau bereits Champagner- und Kronkorken knallen lassen, kommt ihr Trainer zunächst seinen Pflichten nach. Dagur Sigurdsson erledigt das mit der Verlässlichkeit, die ihn im Verlauf der gesamten Europameisterschaft ausgezeichnet hat. Der Isländer erscheint selbst nach dem siegreichen Finale gegen Spanien (24:17) wieder mal überpünktlich zur Pressekonferenz, wirft einen kurzen Blick auf das Spielprotokoll, scannt den Raum, er wartet und wartet und wartet, bestimmt zehn Minuten lang, so dass die Frage erlaubt sein muss, ob er denn gerade nichts Besseres zu tun hat. Zum Beispiel mal so richtig auszurasten nach diesem sensationellen Triumph, dem zweiten EM-Titel in der Geschichte des Deutschen Handball-Bundes (DHB), seinem größten Erfolg als Coach.

„Isländer können natürlich auch richtig feiern“, sagt Sigurdsson später, „aber die Frage ist, ob ich ein typischer Isländer bin.“ Das ist ein ziemlich kluger, wenn auch nicht ganz ernst gemeinter Einwand. Gerade in den letzten Wochen hat sich nämlich der Eindruck bestätigt, dass an Sigurdsson ein verkappter Deutscher verloren gegangen ist, bei der EM sang er sogar die Nationalhymne mit. Und die klassischen Tugenden bringt er auch mit: Pünktlichkeit, Gründlichkeit, aber auch eine gewisse Gnatzigkeit, etwa wenn ihm eine Frage nicht passt. Andererseits gehören kleine Macken zum Profil großer Trainer, und dieser Kategorie muss Sigurdsson spätestens seit Sonntag zugeordnet werden.

Egal, was er mit seinem perspektivisch so vielversprechenden Team noch erreichen wird bei den nächsten Turnieren – sein Name steht schon jetzt in einer Reihe mit den Trainern, die sich in der DHB-Geschichte mit Titeln verewigt haben. Mit Vlado Stenzel, dem kauzigen Coach der legendären Weltmeister-Mannschaft von 1978, oder mit Heiner Brand, der nach der Jahrtausendwende ein Team entwickelte, das in den Jahren darauf so ziemlich alles abräumte: EM-Titel, WM-Titel, Olympia-Silber.

Zugegeben, so weit wie Brand ist Sigurdsson noch nicht, wie auch? Es ist schließlich keine 16 Monate her, dass er zum neuen Bundestrainer ernannt wurde, und in dieser kurzen Zeit hat er die deutsche Mannschaft wieder zurück in die Weltspitze geführt. Auch wenn das bis zum Finalsieg von Krakau niemand in dieser Deutlichkeit auszusprechen wagte. „Was jetzt kommt, ist mir eigentlich vollkommen egal. Ich will im Moment einfach nicht über die nächsten Aufgaben sprechen und sagen, dass wir fokussiert bleiben müssen“, erzählte Sigurdsson nach dem Endspiel. „Fakt ist, dass wir im Moment die beste Mannschaft Europas sind. Das kann man schon sagen, wenn man diesen Titel gewonnen hat.“ Vor einem Jahr wäre er für diese Prognose womöglich noch für verrückt erklärt worden.

Deshalb war zuletzt immer wieder die Formulierung zu lesen, Sigurdsson sei ein Glücksgriff für eine in Deutschland lange Zeit am Boden liegende Sportart gewesen. Aber das ist natürlich Unsinn. Beim DHB haben sie sich ja nicht ohne Grund für einen Neustart mit einem Trainer entschieden, der seine Qualitäten im Umgang mit talentierten Nachwuchskräften auf der Schwelle zum Profitum in sechs Jahren beim Bundesligisten Füchse Berlin hinreichend nachgewiesen hat. Im Grunde hat Sigurdsson jetzt im Großen, also im Nationalteam, das gemacht, was er vorher schon im Kleinen als Vereinstrainer gemacht hat. Olympia-Qualifikation, WM-Qualifikation – hinter diese beiden Punkte kann er dank des EM-Titels einen Haken setzen.

„Für mich persönlich ist das eine Riesensache, weil die Teilnahme an Olympia eines meiner zentralen Ziele war“, sagt Sigurdsson. „Bei solchen Turnieren wächst man auch als Team.“ Angenehm aufgefallen ist der Bundestrainer in Polen – bei allem sportlichen Erfolg – aber vor allem durch seinen Umgang mit dem deutschen Stab und allen dazugehörigen Personen. Nach der Aufholjagd gegen Schweden in der Vorrunde, die den Lauf des DHB-Teams bis ins Endspiel erst einleitete, war sich Sigurdsson nicht zu schade, seine Co-Trainer Alexander Haase und Axel Kromer lobend hervorzuheben, die ihm eine Änderung der Taktik nahegelegt hatten. Wer gesehen hat, wie sich die drei am Sonntag nach der Schlusssirene in den Armen lagen, konnte den Satz von Co-Trainer Alexander Haase nur zu gut nachvollziehen: „Niemand in dieser Mannschaft hat sich zu wichtig genommen“, sagte der Potsdamer, „und das ist jetzt der Lohn dafür.“

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