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Mit einer Größe von 1,79 Meter ragt Dafne Schippers aus dem Feld der Sprinterinnen heraus.
© AFP

Leichtathletik-WM: Dafne Schippers: In zweifelhafter Gesellschaft

Die Niederländerin Dafne Schippers gewinnt die 200 Meter bei der Leichtathletik-WM in wundersamer Europarekordzeit. Nur Florence Griffith-Joyner und Marion Jones liefen diese Distanz bisher schneller.

Manchmal wird Leichtathletik zur Glaubensfrage. Manchmal reißt ein Sportler oder eine Sportlerin das Publikum im Stadion von den Sitzen – und lässt nach dem Rennen doch viele ratlos zurück. Die niederländische Sprinterin Dafne Schippers hat am Freitagabend im Vogelnest von Peking WM-Gold über 200 Meter gewonnen, mit einem fulminanten Schlussspurt verwies sie die beiden Jamaikanerinnen Elaine Thompson und Veronica Campbell-Brown auf die Plätze zwei und drei. Im Ziel blieb die 23-Jährige eine ganze Weile auf dem Rücken liegen und hielt sich die Hand auf die Stirn – halb aus Erschöpfung, halb aus Fassungslosigkeit, so schien es. Auf der Anzeigetafel leuchtete Schippers’ Siegerzeit auf: 21,63 Sekunden, die beste Zeit seit 17 Jahren.

Die Fakten zu diesen Ziffern lesen sich so: Dafne Schippers hat ihre persönliche Bestzeit auf einen Schlag um vier Zehntelsekunden verbessert, im Sprint ist das ein Riesensprung. Nur zwei Frauen waren jemals schneller als die Niederländerin, Florence Griffith-Joyner und Marion Jones. Griffith-Joyner wurde zwar nie des Dopings überführt, gilt mit ihren Höchstleistungen Ende der 80er Jahre aber als höchst verdächtig und starb mit nur 38 Jahren unter mysteriösen Umständen. Marion Jones verlor ihre fünf olympischen Medaillen wegen nachgewiesenen Steroid-Dopings. Deutlich hinter sich gelassen hat Schippers gestern Abend die besten hellhäutigen Sprinterinnen über 200 Meter, zum Beispiel Marita Koch, Heike Drechsler, Marlies Göhr, Silke Gladisch oder Katrin Krabbe – alles Namen, die heute noch in den Rekordlisten geführt werden, aber keinen guten Klang mehr haben.

Von der Sonderposition Bolts ist Schippers noch weit entfernt

Ob sie will oder nicht, ob sie sauber ist oder nicht: Das ist die Gesellschaft, in der sich Schippers seit gestern Abend befindet. Und mit dieser Gesellschaft kommen die Fragen. Was sie dazu zu sagen habe, dass nur Jones und Griffith-Joyner schneller waren als sie, wollte ein Reporter auf der Pressekonferenz von ihr wissen. „Ich bin sehr glücklich mit meiner Zeit und dem europäischen Rekord“, lautete ihre Antwort. „Ich kann es noch nicht glauben, ich bin überglücklich und werde eine Weile brauchen, um es zu verstehen.“ Und was könne sie jenen Leuten sagen, die Zweifel an ihren Leistungen hätten? „Ich weiß, dass ich sauber bin und sehr hart für das hier gearbeitet habe“, sagte Schippers. Bereits nach ihrer Silbermedaille über 100 Meter und im Vorfeld der Weltmeisterschaft hatte sie gesagt, sie sei „zu hundert Prozent“ sauber, „man kann doch einfach nur Talent haben. Mich macht so etwas wirklich wütend.“

Die junge Frau aus Utrecht hat wegen Knieproblemen erst vor wenigen Monaten beschlossen, sich ganz auf den Sprint zu konzentrieren. Zuvor trat sie auch im Siebenkampf an, ebenfalls äußerst erfolgreich, 2013 wurde sie Vizeweltmeisterin. Bei der EM 2014 in Zürich gewann sie aber bereits Gold über 100 und 200 Meter, am vergangenen Montag kam WM-Silber über 100 Meter dazu. Seitdem ist sie eine nationale Berühmtheit in den Niederlanden wo sie bereits mit Fanny Blankers-Koen verglichen wird, die 1948 bei Olympia in London viermal Gold gewann.

Mit einer Größe von 1,79 Meter ragt Schippers aus dem Feld der Sprinterinnen heraus, ihre Schritte sind länger als die ihrer Konkurrentinnen. Beides gilt auch für Usain Bolt, dessen Aufstieg ähnlich verlief. Auch Bolt wurde zunächst verdächtigt und ausgefragt, mittlerweile hat sich die Leichtathletik-Welt an seinen Sonderstatus gewöhnt – und würde gerne an den Jamaikaner glauben. Von der Sonderposition Bolts ist Schippers noch weit entfernt, gestern waren das Erstaunen größer als der Jubel.

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