Gaby Papenburg über das EM-Debüt: Claudia Neumann: Angenehm unaufgeregt, niemals geschwätzig
Die erste weibliche Live-Kommentatorin bei einem Männerturnier bekommt von einer erfahrenen Kollegin viel Lob - und ein wenig sachliche Kritik.
Samstag, 18 Uhr, Wales gegen Slowakei. Ich sitze mit fünf mir unbekannten Männern vor dem Fernseher. Wir haben uns bei einem Sommerfest in das Wohnzimmer der Gastgeber gestohlen und verfolgen das Debüt der ersten weiblichen Live-Kommentatorin bei einem bedeutenden Männerturnier – ein Stück TV-Geschichte bei dieser Europameisterschaft.
Ich weiß das, aber wissen das auch die Anderen?
Es passiert nämlich erst mal nichts. Die Reporterin ist gut vorbereitet, hat viele Hintergrundinformationen parat, das Spiel beginnt. Die männlichen Partygäste gucken und schweigen. Nach gefühlten zehn Minuten der erste Kommentar: „Das ist doch aber nicht der Béla Rethy, oder?“
Nein, ist er nicht. Es ist Claudia Neumann, langjährige Sportreporterin, Fußballexpertin und Profi am Mikrophon. Den Einsatz hat sie sich verdient, hat ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz gesagt. Wie wahr, aber warum hat das so lange gedauert?
Frauen im Fußball-Fernseh-Business sind auch nach 40 Jahren immer noch nicht selbstverständlich. „Haben Sie auch Fußball gespielt?“ Diese Frage wurde mir in beinahe jedem Interview gestellt, meistens von den männlichen Kollegen, die es für meine Qualifikation als Sportmoderatorin als unerlässlich ansahen, gegen den Ball getreten zu haben. Das war in den 90ern, als die Bundesliga-Berichterstattung mit „ran“ technisch und dramaturgisch ein völlig neues Gesicht bekam. Und als Reinhold Beckmann als Sportchef den Mut hatte, eine Frau mit ins Team zu nehmen und Fußball moderieren zu lassen, zu bester Sendezeit. Heute – und da machen wir uns mal nichts vor – ist der Fortschritt überschaubar, aber mit deutlichen Lichtblicken.
Neben der Handvoll etablierter Moderatorinnen, mischt eine Riege junger, ehrgeiziger und talentierter Sportjournalistinnen mit zunehmender Selbstverständlichkeit das Feld auf. Sie stehen im Studio oder am Spielfeldrand und glänzen mit Fachwissen, mutigen Fragen, Charme und Schlagfertigkeit. Und – ja – natürlich auch mit Optik. Denn das steht im Anforderungsprofil der ausschließlich männlichen Sportchefs im TV nach wie vor ganz oben. Während Zuschauerinnen – und die werden immer mehr – die Clooneys mit der Lupe suchen, nimmt die Attraktivität auf der anderen Seite kontinuierlich zu.
Hinter den Kulissen ist die Gesamtentwicklung durchaus beachtlich. Filmemacherinnen, Redakteurinnen, Reporterinnen, Chefinnen vom Dienst, diese Positionen werden mehr und mehr von Frauen besetzt, ohne dass es eine Gender-Diskussion auslöst. Ein Stück Normalität in der oft überdrehten und hitzigen Fußballwelt.
Und jetzt endlich eine Frau am Mikrofon. Für Claudia Neumann nun wirklich nichts Neues, denn schon 2011 und 2015 hat sie bei der WM der Frauen live kommentiert. Und trotzdem betritt sie eine andere Dimension, was man allein schon an den widersprüchlichen Bewertungen im Netz erkennen kann.
Für mich war sie angenehm unaufgeregt, niemals geschwätzig oder gar schulmeisterlich, top vorbereitet und souverän im Umgang mit kleinen Unsicherheiten. Allerdings war die Bereitschaft, etwas anders zu machen, eigene Akzente zu setzen, begrenzt, Sicherheit ging vor. Hier würde ich mir für die Zukunft mehr Profil wünschen.
Die männlichen Partygäste, die zu Beginn mehr über Gareth Bale und seinen Privatfriseur abgelästert hatten, erholten sich schnell von ihrer Verblüffung über die weibliche Stimme. Die aber bleibt der Knackpunkt, denn das Gehirn aller Fußballfans ist nun mal auf männliche Stimmen konditioniert. Da umzulernen braucht Zeit.
Und Geduld. Aber die haben wir Frauen ja.
Gaby Papenburg, langjährige Sat1-Moderatorin, hat in den 90ern mit „ran“ als erste Frau eine Bundesligasendung moderiert. Heute gibt sie ihre 30-jährige TV-Erfahrung als Trainerin und Mediencoach an Moderatoren und Führungskräfte weiter. Mehr dazu: www.rightsnfaces.de
Gaby Papenburg