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Bildsprache. Trimmel (l.) zeigte bei Rapid Wien gerne seine Tattoos her.
© dpa

Neuzugang beim 1. FC Union Berlin: Christopher Trimmel will Tätowierer werden

Christopher Trimmel wechselt in diesem Sommer von Rapid Wien zum 1. FC Union Berlin. Der Österreicher wurde spät Profi – nach der Karriere will er als Tätowierer arbeiten.

Der österreichische Maler Oskar Kokoschka hat mal gesagt, das Leben ist wie Zeichnen, nur ohne Radiergummi. Christopher Trimmel hat sich sein Leben unter die Haut zeichnen lassen. Eingeritzte Wegmarken der Vergangenheit, Ziele der Zukunft. Über seinen rechten Arm erstreckt sich ein Gewirr aus Seerosen mit roten Blüten. Dazwischen schimmert die schuppige Haut eines Koi-Karpfens hindurch. „Beim asiatischen Stil ist der Koi sonst das zentrale Motiv“, sagt er und streicht mit der linken Hand über den Unterarm, „aber hier ist er unter der Wasseroberfläche, komplett im Hintergrund.“ Es passt zu dem österreichischen Fußballer, der über sich selbst sagt: „Ich bin nicht so der Mittelpunktmensch, ich bin lieber im Hintergrund.“

Das Klischee vom tätowierten Fußballer, der nichts mit seiner Freizeit anzufangen weiß und sich deshalb ein Tattoo nach dem anderen stechen lässt, passt nicht zum 27-Jährigen. Schon seit seiner Kindheit zeichnet er, irgendwann will er selbst als Tätowierer arbeiten. Als er noch bei Rapid Wien gespielt hat, war er schon nah dran an diesem Ziel. Ein befreundeter Tätowierer hat ihm eine Lehrstelle angeboten. Ein paar Mal hat er auch schon andere tätowiert. Doch nun ist ihm mit dem Wechsel zum 1. FC Union der Fußball in die Quere gekommen. Wieder einmal.

Damals, mit Anfang 20, studiert er in Wien Sport und Geografie auf Lehramt, nachdem er sich vergeblich an der Kunstakademie beworben hat. Fußball ist nur ein Hobby. Um sein Studium zu finanzieren, spielt er nebenbei in der vierten Liga in seiner Heimat im Burgenland. 70 Kilometer hin, 70 Kilometer zurück. Dreimal in der Woche.

Trimmel hat sich schon mit 16 Jahren gegen 35-jährige behaupten müssen

Dort, auf irgendeinem Fußballplatz nahe der ungarischen Grenze, muss es gewesen sein, erinnert sich Fritz Riedmüller. Irgendwo zwischen Wurstbude und Vereinsheim hat der Talent-Scout von Rapid Wien den Namen aufgeschnappt: Christopher Trimmel. Der ist damals noch Mittelstürmer und schießt in einer Halbserie 16 Tore. Anderthalb Jahre lang beobachtet Riedmüller ihn. Er ist sich anfangs nicht sicher. Um den Sprung in den Profifußball zu schaffen, ist es für Trimmel fast schon zu spät. Als er mit 21 Jahren im Sommer 2008 zu den Rapid-Amateuren wechselt, ist er dort mit Abstand der Älteste. Was den Talenten in den Nachwuchsakademien bereits mit zehn, elf Jahren an Technik beigebracht wird, muss er aufholen, ausgleichen. Doch wenn es einer schafft, davon ist Riedmüller überzeugt, dann Trimmel. „Christopher war wie ein Schwamm“, sagt er heute, „er hat alles aufgesogen, was man ihm gesagt hat.“ Und Trimmel hat noch einen Vorteil. Während die anderen Nachwuchsspieler immer nur gegen Gleichaltrige gespielt haben, hat er sich schon mit 16 Jahren gegen 35-jährige Dorfkicker behaupten müssen, die nur zu gerne einem Jungspund im Zweikampf zeigen, wie der Hase läuft.

Mit 16 hat er sich auch seine erste Tätowierung stechen lassen: ein schwarzes Tribal aus Kreisen und Schweifen über dem linken Knöchel. Ohne große Bedeutung, nichts Individuelles. „Das war damals Mode, genau wie das Arschgeweih bei den Frauen“, sagt er, „das haben bestimmt 50 andere auch.“ Dennoch würde er es nie wegmachen lassen. „Das gehört zu mir. Wenn ich da herunterschaue, erinnert mich das an meine Jugendzeit.“

Bei Rapid bleibt Trimmel keine Zeit zum Zurückschauen – bereits nach acht Monaten schafft er den Sprung zu den Profis. Vier weitere Monate später schießt er beim 5:1 gegen Austria Kärnten drei Tore in sechs Minuten. Zehn Tage später spielt er erstmals fürs Nationalteam. „Es ging alles sehr schnell“, sagt er, „zu schnell vielleicht.“ Das Studium hat er abgebrochen.

Er ist kein typischer österreichischer Fußballer - sondern eher deutsch

Er ist kein typischer österreichischer Fußballer, glaubt Riedmüller. „Viele Talente sind ein bisschen wie Gauner – talentiert, aber faul. Er ist sehr deutsch.“ Bei seiner Vertragsverlängerung 2011 hat der damalige Rapid-Trainer Peter Schöttel zu Trimmel gesagt: „Du bist nicht gerade der Edeltechniker, aber du bringst Dinge mit, die kein anderer hat. Deine Trainingseinstellung, Disziplin und Dynamik.“ Für Trimmel ist das ganz normal: „Das gehört für mich dazu, jeden Tag, wie in jedem Beruf“, sagt er. „Für mich ist das ein Wahnsinn, wenn Spieler ihr Talent einfach so wegschmeißen.“ Denn Talent ist einfach nicht genug. Worauf es wirklich ankommt, ist das Stehvermögen – Kokoschka hat das mal gesagt.

Trimmel gehört zu einer selten gewordenen Art von Spielern – er ist ein Allrounder. Im Laufe seiner Zeit bei Rapid wurde der kopfballstarke, schnelle Mittelstürmer zum rechten Mittelfeldspieler, dann zum Außenverteidiger. Diese Position mag er: „Du musst jeden Zweikampf gewinnen und solltest oft vorne dabei sein. Du brauchst eine Riesenausdauer und musst schnell sein. Du musst Flanken können und kopfballstark sein. Da bleibt ja nichts, was du nicht können musst.“

Sein Entdecker Fritz Riedmüller sagt: „Er braucht Platz, um seine Geschwindigkeit auszuspielen. Und einen Trainer, der Pressing oder Konter spielen lässt – auf jeden Fall kein Tiki Taka.“

Der Wechsel zum 1. FC Union war wohl die letzte große Chance für Christopher Trimmel, noch einmal im Ausland zu spielen. „Ich glaube, ich kann weiterhelfen“, sagt er auf Union bezogen.

Was die Zukunft bringen soll, prangt auf seinem Rücken – in Form eines riesigen Oktopus. Denn unter Tätowierern sagt man, er habe Tinte im Blut. „Er ist ein Zeichen dafür, dass ich weiter ins Künstlerische gehen will und alles versuche, Tätowierer zu werden. Auch wenn es nur ein Hobby bleibt.“ Über den Fußball hat Christopher Trimmel das auch mal gesagt.

Nach einem der letzten Trainings in Wien wird er von einer Horde Kindern umzingelt. Immer mehr kommen dazu, strecken ihm ihre Hände entgegen. Trimmel steht inmitten des drängelnden Pulks mit einem Kugelschreiber in der Hand. Und dann hat er sich hinuntergebeugt und mit blauer Tinte seinen Namen auf ihre Unterarme geschrieben.

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