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Sensationell im Ring, außerhalb weniger: Christoph Harting
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Olympische Spiele: Christoph Harting: "Das war nicht wirklich toll"

Nach seinem sensationellen Olympiasieg im Diskuswerfen verspielt Christoph Harting gewonnene Sympathien. Wenige Stunden danach startet er einen Erklärungsversuch.

Christoph Harting ist Olympiasieger im Diskuswerfen. Doch schon bald nach diesem sensationellen Erfolg rückt sein Verhalten bei der Siegerehrung in den Mittelpunkt. Andere Mitglieder der deutschen Olympia-Mannschaft kritisieren den 26-Jährigen für das Wippen und Schaukeln während der Hymne und die verschränkten Arme vor der Brust. Im Deutschen Haus in Rio de Janeiro erklärt sich der Bruder von London-Olympiasieger Robert Harting dann spätabends doch noch - in aller Ausführlichkeit.

Haben Sie im Vorfeld daran geglaubt, dass am Ende eine Goldmedaille um ihren Hals baumelt?

Ich bin ganz ehrlich: Ich habe das weder realisiert noch irgendwie greifen können. Bei allen Tagträumen, die man als Teenager, als Sportler hat, malt man sich natürlich aus: Wie geil wäre das eigentlich, Olympiasieger zu werden. Es ist ein Olympiasieg! Ich bin völlig übersteuert. Ich habe so viele Gefühle, ich weiß gar nicht, wohin damit. Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Aber: Ich wusste, dass ich gewinne. Einfach, weil es ein Bauchgefühl war.

Sie wussten vor dem letzten Wurf, dass der zu Gold reicht?

Ich wusste, dass ich gewinne. Wie sich das ergibt, wusste ich nicht. Aber als dann nur noch ein Versuch übrig war, war mir klar: Der muss es sein.

Woher kam dieses Gefühl, diese Sicherheit?

Es ist viel Glaube an das, was man erreichen möchte und erreichen kann. Worauf man Jahre, fast Jahrzehnte hingearbeitet hat. Man hat diese Chance. Das lässt man sich von niemandem wegnehmen.

Wie nimmt man einen Wettkampf wahr? Bekommt man viel mit oder sind Sie so im Tunnel und merken nicht, was links und rechts ist?

Ehrlich gesagt bin ich noch immer nicht aus dem Tunnel draußen. Ich bin so übersteuert. Der Wettkampf war für mich eingeläutet, als die brasilianische Drumline, diese Sambadrumline, begann. Das war Rhythmus pur. Dieser Flair, das Stadion, die Leute, das Publikum - das war Energie pur. Ich war sofort im Tunnel. Ich bin nicht mehr rausgekommen. Bis jetzt nicht.

Ist das gut, oder wären Sie gerne draußen, um mehr wahrnehmen zu können?

Ich wäre gerne nach dem Wettkampf sofort draußen gewesen. So, wie ich noch im Tunnel war, ist hinterher einiges... Ich war völlig übersteuert. Es war eine Mischung aus Wettkampfmodus, der Frage: „Was hast du getan“ und der Frage: „Wo bin ich hier überhaupt“. Ich wäre gerne früher draußen gewesen, wegen der Siegerehrung und der Pressekonferenz, wo ich glaube ich einigen Leuten auf die Füße getreten bin.

Haben Sie die Szenen inzwischen selbst mal gesehen?

Nein. Ich habe nur von vielen Seiten inzwischen gehört, dass da was los ist.

Können Sie sich denn im Nachhinein erklären, wieso Sie sich so verhalten haben bei der Hymne und gegenüber den Medien?

Fangen wir an bei der Siegerehrung. Es sind meine ersten Olympischen Spiele. Und ich stand das erste Mal ganz oben bei internationalen Wettkämpfen. Das erste Mal wurde die Nationalhymne nur für mich gespielt. Egal, wie man versucht, sich das vorzustellen - man ist darauf nicht vorbereitet und so überwältigt von allen Gefühlen. Ich wäre gerne früher aus dem Wettkampf rausgekommen. Dieser Flow, den man da findet, der hält sich noch relativ lange danach. Deswegen habe ich da versucht, auf die Nationalhymne zu tanzen. Das war nicht wirklich toll. Muss man sagen. Das ist natürlich völlig falsch angekommen. Das war in keiner Weise Missachtung. Ich wollte es genießen, auf meine Weise.

Wann haben Sie erstmals mitbekommen, dass das falsch angekommen ist bei manchen Menschen?

Im Deutschen Haus. Ich habe mich mit Herrn Vesper (Chef de Mission) unterhalten und Herrn Kurschilgen (DLV-Sportdirektor). Die kamen und wollten, dass ich erzähle. Und meinten dann, dass die Außenwirkung eine andere war.

Stunden nach dem Wettkampf hat Ihr Vater erzählt, er habe noch nicht mit Ihnen sprechen können. Konnten Sie das nachholen?

Da habe ich mich bei der Pressekonferenz vermutlich auch etwas unglücklich ausgedrückt. Aber ich war so traurig. Man hat so einen Erfolg. Und dann vergehen sechs bis acht Stunden, bis ich meine Familie sehe. Die Leute, die einem das ganze Jahr Kraft geben, diese Personen sieht man als letztes. Das finde ich ungerecht. Ich wollte nur zu ihnen und den Moment teilen. Das durfte ich nicht, und das fand ich sehr schade. Inzwischen haben wir das zelebriert.

Sie haben direkt nach dem Wettkampf im ZDF kein Interview geben wollen, auch dafür gab es Kritik. Was war der Grund?

Da kommt viel zusammen. Ich habe seit Anfang des Jahres kein Interview mehr gegeben. Ich bin in erster Linie Sportler und verstehe mich auch als solcher. Ich bin keine PR-Figur, kein Medienmensch und Profi, ich möchte kein Kapital aus meinem Namen schlagen und medial omnipräsent sein. Ich bin Sportler. Mein Job, meine Bühne ist das Stadion. Dieser Linie bin ich treu geblieben. Es wird keiner bevorzugt. Auch keine Freunde. Denen habe ich auch erklärt, dass ich dieses Jahr keine Interviews geben möchte. Deswegen wäre es auch trotz dieses Erfolgs nicht fair gewesen allen anderen gegenüber. Deswegen bin ich vorbeigegangen.

Aber jetzt sprechen Sie ja. Ist diese Phase damit vorbei?

Ich spreche mit Ihnen aus zwei Gründen. Ich möchte allen Leuten, die sich auf den Schlips getreten fühlen, den Zuschauern, die zu Hause geklatscht und mitgefiebert haben, bei denen möchte ich mich entschuldigen und ihnen erklären, dass ich diesen Erfolg weder verarbeitet habe noch in dem Moment verarbeiten konnte. Punkt zwei: Ich möchte diese Plattform dazu nutzen, mich bei allen, die mich auf dem Weg hierher begleitet und unterstützt haben, zu bedanken.

Wie geht es jetzt weiter für Sie?

Ich genieße jetzt erstmal. Das ist eine blöde Floskel, aber sie trifft zu: Ich muss es erstmal sacken lassen. Olympiasieger wirst du nicht alle Tage. Den Titel hast du dein Leben lang. Ich weiß nicht, was ich da fabriziert habe. Aber es ist verdammt geil. (dpa)

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