zum Hauptinhalt
Drei Wochen wach. Chiles Nationalmannschaft begeisterte seine Anhänger bei der Copa America. Am Ende feierten sie zusammen den ersten Titel.
© dpa

Nach Sieg über Messi bei der Copa América: Chile: Ein zerrissenes Land im Rausch

Gastgeber Chile gewinnt 25 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur erstmals die Copa América. Lionel Messi scheitert mit Argentinien erneut.

Später am Abend kaperten sie noch die Moneda. Den Palast der Präsidentin an der Alameda, der riesigen und prächtigen Magistrale, die Santiago von Ost nach West zerschneidet. Die verschwitzten Männer in den roten Leibchen lachten und tanzten und sangen immer wieder „Feriado!“, eine ganz und gar nicht dezente Forderung nach einem landesweiten Feiertag für das, was sie gerade vollbracht hatten. Campeones de America!

99 Jahre lang wird die Copa América jetzt ausgespielt, und am Samstag hat Chile sie nun endlich zum ersten Mal gewonnen, standesgemäß daheim im Estadio Nacional. Und das gegen Argentinien, den ungeliebten Nachbarn auf der anderen Seite der Anden. Es hatte schon einen symbolischen Wert, dass Chile, diese auch 25 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur immer noch zerrissene Nation, den Triumph in der Moneda feierte. 1973 hatte Augusto Pinochets Luftwaffe den Palast des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende bombardiert. Eine Generation später nun besiegelt Chile durch den Fußball sein Zusammenfinden.

Für Argentinien traf nur Lionel Messi

Kein Tor fiel in der regulären Spielzeit, keines in der Verlängerung, aber im Elfmeterschießen trafen vier Chilenen und nur der argentinische Kapitän Lionel Messi, auf dass am Ende ein 4:1 auf der Videotafel leuchtete. Und ganz Chile zwischen Arica in der Atacamawüste und Puerto Williams auf Feuerland war selig. „Wir haben das verdient, und ganz Chile soll diesen Tag genießen“, sprach Mannschaftskapitän Claudio Bravo, er durfte sich zudem über die Auszeichnung als bester Torhüter des Turniers freuen.

Was nun den Feiertag betraf, zeigte sich die Präsidentin immerhin kompromissbereit. „Können wir mal drüber nachdenken, ihr habt es ja verdient“, sagte Michelle Bachelet. Drei Wochen lang hatte Chiles erste Dienerin ihr Amt als erste Hincha des Landes definiert, als Groupie mit rot-blau-weißem Schal. Nachdem Alexis Sanchez am Samstag den finalen Elfmeter verwandelt hatte, mit einem frechen Chip in die Mitte des Tores, hüpfte die Señora Presidente so ausgelassen auf der Tribüne, als seien damit auch die Proteste der Studenten befriedet und die Korruptionsaffäre um ihre Familie beendet.

Chile berauscht sich an sich selbst in diesen Tagen. Mit 13 Toren hatte sich die „Roja de todos“, die rot gekleidete Nationalmannschaft für alle Chilenen, ihren Weg ins Endspiel gebahnt. Dass im Finale keines dazukam, war ein Verdienst der großartigen argentinischen Defensive. Ja, verteidigt haben sie sehr gut, aber nach vorn ging wenig bei Lionel Messi, Sergio Agüero oder Angel di Maria, dem traurigen Außenstürmer, der schon vor einem Jahr das WM-Finale gegen Deutschland verletzungsbedingt verpasst hatte. Di Maria schied schon nach einer halben Stunde mit einer Zerrung aus, und mit ihm verabschiedete sich auch der Anspruch Argentiniens, dem vogelwilden Angriffsfußball ein Äquivalent entgegenzusetzen.

Lionel Messi, der derzeit wahrscheinlich beste Fußballspieler der Welt, trat im Estadio Nacional kaum einmal in Erscheinung, und danach war er für niemanden zu sprechen. Bei der Siegerehrung ließ der Kapitän ein paar Ersatzspielern den Vortritt, bevor er sich die Silbermedaille abholte. „Leo ist am Boden zerstört“, sagte Javier Mascherano, Messis Klubkollege beim FC Barcelona. „Das ist eine Folter, die wir hier erleiden müssen. Ich will jetzt irgendwohin gehen, wo ich niemanden sehen muss. Warum können wir mit dieser Mannschaft keinen Pokal gewinnen?“

Die Argentinier verschwanden schnell in den Katakomben des Estadio Nacional. Die Bühne gehörte den Chilenen, den Spielern und ihren Frauen und Kindern. Auch Gonzalo Jara feierte mit, der Verteidiger, der nach seinem Pograbscher im Viertelfinale im Viertelfinale gegen den Uruguayer Edinson Cavani verstoßen worden war. Gemeinsam mit Gary Medel und Eduardo Vargas kletterte Jara auf die Latte jenes Tores, in dem Alexis Sanchez gerade den entscheidenden Elfmeter versenkt hatte. Vargas, das kleine Bürschchen mit dem Bürstenhaarschnitt, sprach aus, was viele Chilenen dachten: „Heute haben wir Geschichte geschrieben. Aber ich weiß nicht, ob ich das schon verstanden habe.“

Zur Startseite