Olympia 2016 in Rio: Cathy Freeman: "Druck ist ein Privileg"
Sie entzündete 2000 in Sydney das Feuer und wurde das Gesicht dieser Spiele. Die Sprinterin Cathy Freeman erzählt, was hohe Erwartungen mit einem machen können.
Frau Freeman, in Rio richten sich alle Augen auf Neymar, ganz Brasilien erwartet von dem Fußballstar Olympiagold. In der gleichen Situation waren Sie bei den Spielen in Sydney 2000. Wie schafft man es, die Erwartungen eines ganzen Landes zu schultern?
Den größten Druck habe ich mir immer selbst gemacht. Jeder Champion oder jeder ernsthafte Künstler wird Ihnen sagen, dass er die Dinge auf seine eigene Weise macht. So dachte ich auch. Ich tat das, weil ich das wollte und weil ich es liebte. Es war alles selbstmotiviert und selbstbestimmt. Das ist ein wichtiger Teil eines Champions, glaube ich. Diese externen Faktoren sind kein Teil ihrer Welt, sie kommen eigentlich nicht ins Spiel, wenn es um die eigenen Gefühle geht.
Hatten Sie keine Angst davor, Ihre Landsleute zu enttäuschen?
Nein, ich hatte niemals Angst, nicht eine Sekunde lang. Die Erwartungshaltung hat mich nicht überwältigt, ich sah es nie als Last an, als Möglichkeit des Scheiterns oder der Vernichtung. Es hat die Sache für mich eigentlich nur spannender gemacht.
Sie haben den Druck von außen in positive Energie umgewandelt?
Ja. Tennislegende Billy Jean King hat einmal gesagt: „Druck ist ein Privileg.“ Und ich stimme dem absolut zu. Wenn die Leute hohe Erwartungen an dich stellen, dann geben sie dir etwas. Das ist eine gute Sache, denn die Menschen glauben an dich. Es ist aufbauend. So jedenfalls habe ich es gesehen – und es hat mir geholfen.
Sie haben in Sydney das olympische Feuer entzündet und wurden auch deshalb das Gesicht der Spiele. Hat Sie das aufgebaut?
Nun ja. Wenn ich weniger im Mittelpunkt gestanden hätte, wenn es weniger Aufregung, weniger Reaktionen und Gefühle rund um mein Rennen gegeben hätte, wäre mir das persönlich sicher eher entgegengekommen. Ich bin eigentlich nicht der Typ Spotlight-Girl. Ich bin nicht diese Art Person, ich mag meine Privatsphäre.
Das ist für Sie vorbei. Sie stehen seither ständig im Rampenlicht in Australien, die meisten Ihrer Landsleute sind bestens über Ihr Privatleben informiert. Ist das ein zu hoher Preis für Sie?
Ich höre mich jetzt vielleicht undankbar an, ich möchte nicht, dass das so rüberkommt. Es hat Vorteile und eben auch Nachteile. Aber man kämpft sich durch – es ist nicht so furchtbar.
Boris Becker hat vor Kurzem gesagt, die Deutschen, sogar seine Freunde wollten, dass er der 17-Jährige bleibt. Erleben Sie Ähnliches in Australien?
Boris hat schon sehr viel als junger Mann erreicht. Für ihn ging es vermutlich auch mehr darum, dass er seine Kindheit opfern musste. Ich hatte vermutlich mehr von meiner Kindheit als er. Ich war ja schon viel älter, ich war 27, als ich meinen sportlichen Höhepunkt hatte und Gold holte. Und bei mir passierte das ja nicht über Nacht. Ich war mir unglaublich bewusst darüber, was ich wollte. Ich wollte Olympiagold. Es war eher die Reaktion der Menschen danach, die mir Angst machte – und immer noch Angst macht.
Immer noch?
Manchmal, aber es wird weniger. Ich glaube, die starke Reaktion der Menschen hat auch damit zu tun, dass sie irgendetwas in meiner Geschichte berührt oder dass sie ein Stück weit sich selbst darin wiederfinden. Es erreicht sie, es macht sie glücklich. Ich habe lange versucht, das zu ignorieren, denn das kann ziemlich belastend sein. Aber jetzt, im Alter von 43, bin ich es leid, das immer von mir wegzuschieben. Das ist einfach dumm. Ich sage mir jetzt: Das Leben ist zu kurz, nimm dein Schicksal an, sei einfach glücklich.
Wäre Ihr Leben in irgendeiner Weise besser oder schlechter, wenn es Sydney 2000 nie gegeben hätte?
Ich traue mich gar nicht, darüber überhaupt nachzudenken. Laufen war so lange so ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, mein erstes Rennen lief ich mit fünf. Wenn man mir das weggenommen hätte, das wäre fast so, als würde man mir den Sauerstoff nehmen. Nein, Sydney 2000 gehört zu mir und wird immer zu mir gehören.