Sport: Carsten Jancker boxt und ringt und schießt sein Tor
MÜNCHEN .Es war morgens um Viertel nach vier, und nicht nur um diese Zeit bietet sich die Gepäck-Ankunft am Franz-Josef-Strauß-Flughafen kaum als Rahmen für Emotionen oder Elogen dar.
MÜNCHEN .Es war morgens um Viertel nach vier, und nicht nur um diese Zeit bietet sich die Gepäck-Ankunft am Franz-Josef-Strauß-Flughafen kaum als Rahmen für Emotionen oder Elogen dar.Franz Beckenbauer aber stand mitten in einer hundemüden Reisegesellschaft.Und während an ihm vorbei die Koffer auf dem Transportband kreisten, schwärmte der Präsident des FC Bayern München immer noch von Dynamo, so eine wunderbare Mannschaft habe er schon lange nicht mehr gesehen.Kein Zweifel auch, daß Augenzeuge Beckenbauer beim 3:3 ein kleines Fußball-Wunder erlebt hat.Ganz bestimmt zogen in diesem Augenblick nicht nur Reisetaschen und Samsonites vorm Auge des "Kaisers" vorbei, statt dessen ein Spielfilm.Und der würde nächstes Mal nicht mehr so gut ausgehen wie in der ukrainischen Metropole.
Beim Rückspiel im Olympiastadion werde alles noch schwerer, so Beckenbauer, "da stehen die hinten drin und kontern, das ist deren Spiel".Aber wie hält man sich solch ein spielerisch perfektes Überfallkommando vom Hals? Beckenbauer breitet die Arme aus, sein Blick geht nach oben an die Decke und durch die durch.Gesagt hat er es nicht, aber jeder wußte, was diese Geste bedeutet.Nur der liebe Gott könne den deutschen Rekordmeister am ukrainischen vorbei ins Champions-League-Finale von Barcelona bringen.
Nun weiß man bei Franz B.- der "Spiegel" hat ihn deshalb als "Firlefranz" geoutet - ,daß er heute dies sagt und morgen das.Als die Dynamos kurz vor der Pause dank des zweiten Schewtschenko-Treffers 2:0 führten, hat er ein 6:1 oder ähnliches Debakel befürchtet und den FCB als Schülermannschaft verspottet.In ein paar Tagen wird er den Lesern seines Hausblattes in millionenfacher Auflage ebenso erklären, wie die Hürde Kiew übersprungen wird, bevor das beste aller FCB-Meisterteams dann am 26.Mai in der katalanischen Fußball-Kathedrale nach jenem Titel greift, der ihnen nach 23 Jahren längst wieder zusteht.
Im ukrainischen Fernsehen wurde gefragt, ob dies wirklich das wahre Gesicht des deutschen Fußballs sei.Ein Thema, das überall in Europa an diesem ersten Halbfinalabend aufgekommen ist.Die Menschen sind dann ins Bett gegangen mit der Erkenntnis, daß nach einer kurzen Krise im Welt- und Europameisterland die Legende nun doch wieder lebt.Die Stehaufmännchen aus der Bundesliga rappeln sich mit Glück und unbändigem Willen ins Ziel.Doch hinter dem breiten Kreuz, das die Siegesserie in nationaler und internationaler Konkurrenz bewirkt hat, schlägt auch hinter den stolzen Sternen des Südens ein schlechtes Gewissen.Ein kleines zumindest.Und es war gewiß kein Zufall, daß Coach Hitzfeld in der Pressekonferenz erst die ukrainischen Weltklassestürmer Schewtschenko und Rebrow aufgezählt hat, ehe er einen Bayern-Star mit diesem elitären Attribut versehen hat: Giovane Elber.
Der saß um diese Zeit leider vorm Fernseher in München, auch Bixente Lizarazu mußte langzeitverletzt passen.Und mit dem Torjäger aus Brasilien und dem Offensiv-Verteidiger des Weltmeisters fehlen der Übermannschaft der Bundesliga Finesse und Esprit.Als gefährlichster Angreifer entpuppte sich in der Not Stopper Sammy Kuffour aus Ghana.Jancker dagegen ist auf bestem Wege, sich in allen fremden Stadien unbeliebt zu machen.Er spielte mehr Boxer, Ringer und böser Bube als Mittelstürmer, doch kurz vor dem Schlußgong zeigte Jancker Wirkung.Er befreite sich von seinem Gegenspieler, wühlte sich durch den Schlamm - jetzt kennen sie diesen Typ Stürmer, der sich nur über Tore identifiziert auch am Dnjepr.
Man muß diese rohe Gewalt tolerieren.Und man muß den Hut ziehen vor Regisseur Stefan Effenberg, der trotz Fieber und einer ganz schwachen Stunde nie den Kopf verloren hat und hektisch wurde.Effenberg behielt nicht nur beim Freistoßtor zum 3:2 die Übersicht.Und man muß Lothar Matthäus gratulieren zu einer der besten Partien, die der 38jährige überhaupt im Bayern-Trikot absolviert hat.
Der Rekordnationalspieler hat die eigene Leistung zum Maßstab für die Kollegen genommen und deshalb als einziger von rund 80 000 Augenzeugen den FC Bayern als die spielbestimmende Mannschaft gesehen.Ausgeglichen war lediglich die katastrophale Fehlerbilanz; nur waren Babbels Tritt in die Luft und Kuffours Querschläger vor den ersten beiden Toren augenfälliger als Unzulänglichkeiten von Torwart Schowkowski.
Im Fußball gewinnt nicht immer der bessere, aber meistens der mit der größeren Kraft.Mehmet Scholl hat zum Schluß von der Bank aus verfolgt, "daß die eingebrochen sind, weil sie zuvor gerannt sind wie die Hasen".Die Bayern aber konnten das Tempo hoch- und auch durchhalten.Ottmar Hitzfeld hat hinterher gesagt, daß seine Mannschaft auf konditionellem Gebiet keinen Gegner in der Welt zu fürchten habe ....
MARTIN HÄGELE
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