Nach Olympia-Sieg der Fußballerinnen: Bundestrainerin Silvia Neid: In Gold gegangen
Bundestrainerin Silva Neid verabschiedet sich mit dem Sieg im olympischen Fußballturnier und kann in neuer Funktion künftig einem neuen Star zuschauen: Dszenifer Maroszan.
Silvia Neid hob die Arme und wollte wohl majestätisch auf den Platz schreiten, wie es sich für einen staatstragenden Abschied gehört. Der Vorsatz hielt ein paar Meter, dann erhöhte sie doch das Tempo, getrieben von den Ersatzspielerinnen und dem Verlangen, einen Platz in der Traube zu ergattern. Dort, wo sich die Frauen der deutschen Nationalmannschaft übereinanderwarfen, es war ein wildes Durcheinander, und Silvia Neid sprang einfach hinein. Irgendwo im diffusen Mittelfeld des Estadio do Maracana, wo gerade das olympische Finale seinen letzten Pfiff gehört hatte.
Sie verweilte noch ein bisschen auf dem Platz und genoss die ersten Momente nach ihrem lange vorher angekündigten Abschied. 34 Jahre und 441 Länderspiele lang hat Silvia Neid diese Mannschaft geprägt, erst auf dem Platz, später auf der Trainerbank, und zum Abschied schenkten ihr die Spielerinnen den letzten Titel, der ihr noch fehlte. Welt- und Europameisterin war sie mehrfach, jetzt bescherte ihr ein 2:1 (0:0) über Schweden olympisches Gold. Zu einer Medaille hat es allerdings nicht gereicht, weil das IOC bei Olympischen Spielen traditionell nur die Athleten beschenkt. „Ach, damit kann ich leben“, plauderte die sonst oft ein wenig steif wirkende Neid, „und natürlich freue ich mich sehr, sehr, sehr für die Mädels.“
Neid tritt einen neuen Job an
Neid übernimmt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) demnächst eine neugeschaffene strategische Position als Nachwuchsscout und übergibt den Trainerjob an ihre Assistentin Steffi Jones. Das falle ihr keineswegs schwer, „denn es ist immer schöner, wenn man den Moment des Abschieds selbst bestimmen kann“. Ganz besonders liebevoll und nachhaltig herzte die scheidende Bundestrainerin ein Küken namens Dzsenifer Marozsan. „Eine hervorragende Spielerin“, sagte Neid, „sie ist technisch noch besser als ich es früher, war, und das will was heißen.“ Kurzes Lachen: „In drei, vier Jahren wird sie eine Granate sein, und das schaue ich mir dann von der Tribüne aus an.“ Die in Budapest geborene Marozsan hatte das erste Tor selbst geschossen und das zweite mit einem Freistoß an den Pfosten vorbereitet.
Es war ein großer Abend für den deutschen Fußball, aber nicht jeder hat das gemerkt. Die Tribünen im Maracana waren anfangs doch sehr luftig gefüllt, was weniger an den Deutschen oder Schwedinnen lag, als an denen, die nicht da waren, nämlich den Brasilianerinnen. Deren Scheitern im Halbfinale hatte das Interesse des einheimischen Publikums doch sehr gemindert. Draußen boten brasilianische Fußballfreunde in Scharen ihre Tickets an, drinnen herrschte ein seltsames Geraune, so ungefähr wie beim 1:7 der brasilianischen Männer gegen Deutschland im Halbfinale der WM vor zwei Jahren in Belo Horizonte. Die Angriffe der deutschen Mannschaft wurden überwiegend von Pfiffen begleitet. Offensichtlich stimmten sich die Brasilianer schon mal auf den nächsten Tag und das Finale ihrer Männer gegen den neuen Angstgegner ein.
Die Deutschen waren von Beginn an dominant, die Schwedinnen aber offensiver als erwartet. In den K.o-Spielen gegen die USA und Brasilien hatten sie sich jeweils torlos ins Elfmeterschießen gemauert. Im Finale vergab Olivia Schough schon nach ein paar Minuten eine erste Chance, beim nächsten Versuch rettete die deutsche Torfrau Almuth Schult im Stile von Manuel Neuer weit vor dem Strafraum mit einem Flugkopfball vor Schwedens Star Lotta Schelin. Die größte Aussicht auf das Führungstor aber hatten die Deutschen. Anja Mittag vergab diese Riesenchance nach einem Abpraller, der vor ihren Füßen landete. Mittag hatte zwar alle Zeit der Welt, jagte den Ball aber mit viel Wucht und wenig Präzision neben das leere Tor.
Maroszan zeigt im Maracana große Kunst
Das Tor machten sie dann mit Kunst. Die Kreide spritzte auf am Strafraumstrich, als Dzsenifer Marozsan mit dem rechten Fuß den Ball ins rechte obere Dreieck zirkelte. „Ich hab’ nicht viel nachgedacht und den Ball gut getroffen“, sagte die Frankfurterin. Es war ein Tor, das sich in seiner Schönheit perfekt in das Ambiente des Maracana fügte und auch des von der Schützin getragenen Trikots mit der Nummer 10 angemessen war. Die zweite Halbzeit war da nicht mal drei Minuten alt und das Spiel zwar noch nicht entschieden, aber doch auf einen guten Weg gebracht. Kurz darauf wurde es noch ein bisschen besser, und dafür war abermals Dzsenifer Marozsan verantwortlich. Diesmal schlenzte sie einen Freistoß an den linken Pfosten. Schwedens Verteidigerin Linda Sembrant wollte klären und semmelte dabei den Ball mit dem linken Knie so schwungvoll ins eigene Tor, wie es keine deutsche Stürmerin besser hinbekommen hätte.
Das Spiel schien gelaufen zu sein und wurde doch noch einmal spannend, als die kurz zuvor eingewechselte Stina Blackstenius einen Moment der Unaufmerksamkeit in der deutschen Abwehr zum Anschlusstor nutzte. Kurz darauf verpasste Alexandra Popp allein vor dem Tor ein zwingendes drittes deutsches Tor. Nervös tigerte Silvia Neid durch ihre Coaching Zone, die Hände in die Hüften gestemmt und die Uhr stets im Auge. Es gab in den Schlussminuten noch ein paar bedenkliche Szenen, in denen die deutsche Abwehr wackelte und der Ball wie eine Flipperkugel durch ihren Strafraum sprang. „Da hab' ich mir gedacht: Oh Gott, bitte lass ihn nicht reingehen“, erzählte Silvia Neid später, und die höhere Macht erhörte das finale Stoßgebet.
„GoldGoldGold!“ kreischten die deutschen Spielerinnen, als es überstanden war. Zur Siegerehrung präsentierte Anja Mittag des Trikot mit der Nummer 6. Es gehörte der verletzten Simone Laudehr, die Rio am Vortag des Finales verlassen hatte. Als erster Gratulant eilte Reinhard Grindel in die Kabine. „Das war der größte Erfolg des deutschen Frauenfußballs und ein perfekter Abschied für die Frau, die ihn am meisten geprägt hat“, sagte der DFB-Präsident, auch er für gewöhnlich ein Freund der staatstragenden Töne. Am späten Freitagabend versuchte er es mal auf lustig mit der abschließenden Bemerkung: „Wir schauen jetzt mal, was die Hockeyjungs vom Deutschen Haus übrig gelassen haben.“
Sven Goldmann