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BL = Bundesliga. Bruno Labbadia rettete bereits den Hamburger SV.
© imago/Christian Schroedter

Neuer Trainer beim VfL Wolfsburg: Bruno Labbadia: Seine Klasse

Vor dem Abstieg hat Trainer Bruno Labbadia einen blanken Horror. Dieses Gefühl wird er auch seinem neuen Team in Wolfsburg einbläuen.

Als Bruno Labbadia Mitte April 2015 das letzte Mal den Helm aufsetzte und die feuerfeste Unterwäsche anzog, da stand es so: Sechs Spieltage vor Spielende, der Hamburger Sportverein war Tabellenletzter, 25 Punkte, und verlor das erste Spiel unter dem neuen Trainer gegen Werder Bremen. Labbadia hatte von Peter Knäbel übernommen, der hatte Joe Zinnbauer abgelöst, der wiederum Nachfolger des entlassenen Mirko Slomkas war. HSV eben. Ungefähr wie jetzt in Wolfsburg, mit drei Trainern in einer Saison: Andries Jonker, Martin Schmidt, Labbadia.

Was dann in Hamburg geschah, begründete den Ruf, der Labbadia nun nach Wolfsburg brachte. Der HSV gewann gegen Augsburg, in Mainz, holte gegen Freiburg ein Remis, verlor gegen den VfB Stuttgart, und besiegte im letzten Saisonspiel Schalke 04 nach Toren von Ivica Olic und Slobodan Rajkovic mit 2:0. Paderborn und Freiburg stiegen ab, der HSV kam in die Relegation und schaffte gegen den Karlsruher SC den Klassenerhalt.

Es geht in diesen Situationen nicht ums bessere Spiel. Läuft es normal, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die bessere Mannschaft gewinnt. Im Abstiegskampf nicht. Sonst wäre der HSV seit langem nicht mehr in der ersten Liga. Alle, und das nicht nur am Ende der Saison 2015, waren besser als der HSV, auch der KSC. Aber draußen tobte ein Trainer, stampfte, warf mit Kleidungsstücken, raufte sich die Haare, ballte die Fäuste, rannte an der Außenlinie entlang, köpfte einen imaginären Ball, schoss einen imaginären Ball, platzte vor Leidenschaft, glühte vor Temperament, hielt die Hände vors Gesicht, jubelte. Der Trainer wollte nicht absteigen. Unter keinen Umständen.

Das steckte die Zuschauer an, die Spieler, alle. Auch den Rasen.

Während der Zeit, in der Labbadia in Hamburg Trainer war, zusammen etwa zwei Jahre, wir wollen da nicht pingelig sein, gerade beim HSV nicht, pflegte der Mann, um die Alster zu joggen. Das Training mit der Mannschaft reichte ihm nicht. Eine Runde sind 7,4 Kilometer. Meistens war er alleine unterwegs, weil er zu schnell rannte. Weit unter fünf Minuten auf den Kilometer. Auch bei Regen. Wer ihn grüßte, wurde zurück gegrüßt. Soviel Luft hatte er immer.

In einem seiner ersten Interviews in Wolfsburg sagte Labbadia, in seinem leichten hessischen Dialekt, über den Abstiegskampf: „Ich kenne das Format.“ Und: „Ich weiß, was auf uns zukommt.“ Er – er kommt auf die Spieler des VfL Wolfsburg zu. Die Fans, den Rasen. Und die Gegner.

Labbadia wird den VfL-Spielern Abstiegskampf-Fußball lehren

Seit eineinhalb Jahren hatte Labbadia keinen Job mehr. Trainer wie er, die nicht in einschlägigen Selbstvermarktungs-Fußball-Talkshows sitzen, drohen in Vergessenheit zu geraten. Labbadia, vor ein paar Tagen 52 Jahre alt geworden, gehört zu einer Generation von Fußballlehrern, die sich der Konkurrenz durch junge Kollegen, die gut ausgebildet, intelligent, eloquent im Umgang mit den Medien sind, gegenüber sehen. Trainer, die nicht, wie er, 328 Erstligaspiele (103 Tore) und 229 Zweitligaspiele (101 Tore) haben. Seine Geste waren die gezogenen Revolver, Labbadia – der Django aus Darmstadt. Er ist der einzige Profi, der sowohl in der Bundesliga als auch in der Zweiten Liga mehr als 100 Tore machte. In der Saison 1998/99 wurde er mit 28 Treffern Torschützenkönig der Zweiten Liga. Für Arminia Bielefeld. Und er sieht sich einem Trainer wie Jupp Heynckes gegenüber: Von vielen Medien hofiert, für unangreifbar erklärt, der Herberger des 21. Jahrhunderts, zu einer Zeit geboren, als Mönchengladbach noch München-Gladbach hieß.

Wahrscheinlich gibt es für Leute wie Wolfsburgs Sportdirektor Olaf Rebbe Trainerdateien, mit Kurzcharakteristierung, hinter Labbadias Namen stehen ein paar Ausrufezeichen und der Satz: „Nur für schwierige/aussichtslose Fälle“, und: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Wie die Verantwortlichen beim VfL Wolfsburg die Lage ihrer Mannschaft einschätzen, zeigt sich daran, dass sie den Mann mit dem Helm und der feuerfester Unterwäsche engagiert haben.

Was kommt auf die Spieler des VfL zu? Labbadia wird ihnen sagen, dass er überhaupt keine Lust auf Relegation oder Abstieg hat. Dass er einen Horror davor hat. Er wird das nicht nur sagen, er wird das im Training vermitteln, beim Essen, beim Videostudium, in Gesprächen. In gewisser Weise sind Spieler, denen das Wasser bis zum Hals steht, von Trainern wie Labbadia gut zu erreichen. Sie wollen da raus, wenn sie ein Seil sehen, nehmen sie es. Vorausgesetzt, sie haben gemerkt, dass Flut ist. Falls es Spieler in Wolfsburg gibt, die das noch nicht mitbekommen haben, hat sich das nach den ersten Trainingseinheiten geändert.

Labbadia hat es nicht geschafft, mal ein paar Spielzeiten bei einem Klub zu bleiben. Am längsten war er in Darmstadt, der Stadt, in der die Eltern gelandet sind, als sie aus der Gemeinde Lenola in der Provinz Latium, etwas mehr als 100 Kilometer südöstlich von Rom, nach Deutschland kamen. Und beim VfB Stuttgart, in der am stärksten von Italienern geprägten Stadt hierzulande. Aber das Italienische ist es nicht. Es liegt ein Problem darin, dass Labbadia dabei Erfolg hat, Mannschaften vor dem Abstieg zu bewahren. Der Fußball, der die Chance bietet, die Spielklasse zu halten, hält nicht die spielerische Klasse. Es ist calcio povere.

Zweikämpfe gewinnen, Fouls, laufen, vor allem hinterher, Fußball arbeiten, nicht spielen, defensiv gut stehen, sicher spielen, nichts zulassen, keine Räume anbieten. Das ist erfolgreich im Abstiegskampf, die Umstellung, wenn die Klasse gehalten wurde, zurück zum offensiven, aktiven, spielstarken Fußball, ist schwer. Der HSV schafft das seit Jahren nicht. Der VfL Wolfsburg ist eine Mannschaft, die anderen Fußball spielen will, die für ein anderes Spiel zusammen gestellt wurde. Labbadia wird sie Abstiegskampf-Fußball lehren. Dabei werden die Spieler Dinge verlernen, die sie nächste Saison brauchen. Je intensiver die Mannschaft Abstiegskampf-Fußball kickt, desto schwieriger wird es nächste Saison, guten Fußball zu spielen, falls Wolfsburg erstklassig bleibt.

In Leverkusen konnte Labbadia den Sturz nicht aufhalten

Dass Labbadia auch anderen Fußball kann, hat er in seiner Trainerkarriere gezeigt. Bei Bayer Leverkusen. Bayer spielte in der ersten Saisonhälfte 2008/09 brillanten Fußball und war Tabellenführer. Offensiv, viele Tore, technisch anspruchsvoll, in der Abwehr Gonzalo Castro, im Mittelfeld: Arturo Vidal, Toni Kroos, im Sturm: Patrick Helmes und Stefan Kießling. Kurzpässe, sich nicht hinten rein drücken lassen, Initiative ergreifen, das Spiel in die Hand nehmen. Es sah nach dem großen Erfolg aus, hinter dem Bayer lange vergeblich her gewesen war.

Dann stürzte Leverkusen ab. Am Ende auf Rang neun. Es war die Saison, in der Wolfsburg unter Trainer Felix Magath Meister wurde. Labbadia konnte den Sturz nicht aufhalten. Es kam zum Zerwürfnis zwischen Trainer und Mannschaft. Bayer-Spieler redeten hinter vorgehaltener Hand nicht gut über den Coach. Es ging um persönliche, sehr persönliche Dinge.

Kurz vor dem DFB-Pokalfinale in Berlin, das Bayer mit 0:1 gegen den SV Werder – Torschütze Mesut Özil – verlor, erschien ein Interview Labbadias mit der „Süddeutschen Zeitung“. Der Trainer klagte über die fehlende Zusammenarbeit mit Präsident Wolfgang Holzhäuser. Sportdirektor Rudolf Völler war sauer, etliche Spieler auch. Der Zeitpunkt, an dem das Interview erschien, war denkbar ungünstig. Für den Zeitpunkt ist die „SZ“ verantwortlich, für den Inhalt Labbadia. Final-Niederlage und Interview führten dazu, dass Labbadia die Freigabe bekam und zum HSV wechseln konnte. Nachfolger bei Bayer wurde – Jupp Heynckes.

Nun also, zusammen mit Eddy Sözer, seinem Assistenten, eine Mannschaft auf dem 14. Tabellenplatz, mit einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz, und sieben Punkten auf den HSV, den Vorletzten der Tabelle. Labbadia weiß, dass es, wenn seine Spieler so denken, schief geht.

Roger Repplinger

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