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Fußball in Ostdeutschland: Brasilien ruft nicht mehr an

Vor dem 20. Jahrestag der deutschen Fußball-Vereinigung fällt die ostdeutsche Bilanz bescheiden aus. Nur Aue, Cottbus und Union spielen heute im Profifußball.

Wie das war mit der Auflösung des DDR-Fußballs? Dazu kann Hans-Georg Moldenhauer eine hübsche Geschichte erzählen. Sie beginnt im Frühjahr 1990 mit einem Anruf aus Südamerika, am Apparat ist Ricardo Teixeira, Präsident des Brasilianischen Verbandes. Teixeira sagt, seine Mannschaft wolle zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Italien unbedingt gegen die starken Deutschen testen. Moldenhauer erwidert, er stehe nur dem gerade abzuwickelnden Verband aus dem gerade abgewickelten Deutschland (Ost) vor, aber das weiß Teixeira nur zu gut. Gegen die ebenfalls für die WM qualifizierten Westdeutschen mag Brasilien keineswegs spielen.

Teixeira trägt alle Kosten, also fliegt die von Moldenhauer angeführte DDR-Delegation zwischen dritt- und vorletztem Spieltag der Oberliga nach Rio. 80 000 Zuschauer empfangen die im Maracana weitgehend unbekannten futebolistas namens Rainer Ernst, Hendrik Herzog, Heiko Peschke und Uwe Weidemann. Es wird ein großartiges Spiel. Die Brasilianer bieten alles auf, was sie haben: Alemao und Bebeto, Careca, Dunga und Jorginho. Es reicht nicht, jedenfalls nicht zum Sieg. In der letzten Minuten gleicht die DDR aus zum 3:3, der Torschütze heißt Rico Steinmann und kommt aus Karl-Marx-Stadt, das im Mai 1990 schon wieder Chemnitz heißt.

Wahrscheinlich ist der DDR-Fußball nie so gut gewesen wie in diesen Wochen der Wendewirren zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. In einer Zeit, als die Sachsen und Thüringer, Mecklenburger und Preußen ihr Talent frei von ideologischen Verpflichtungen einbringen konnten und zudem um Verträge bei den großen Klubs im Westen spielten. „Später haben immer alle erzählt, Eduard Geyer hätte die Mannschaft in Form gebracht“, sagt Moldenhauer, aber das sei ein ziemlicher Blödsinn, „die Jungs sind wie von alleine gelaufen, weil sie alle um ihre Zukunft gespielt haben, und der Ede Geyer wollte natürlich auch, dass ihm irgendein Verein aus dem Westen einen Vertrag gibt.“ Alle 13 beim 3:3 in Rio eingesetzten Spieler (und auch Trainer Geyer) schaffen später den Sprung in die Bundesliga. Als der Dresdener Matthias Sammer nur ein paar Monate später im letzten DDR-Länderspiel beide Tore schießt zum 2:0-Sieg über Belgien, steht er schon beim VfB Stuttgart unter Vertrag.

Hans-Georg Moldenhauer hat den DDR-Verband behutsam in den DFB überführt und steht immer noch dem Nordostdeutschen Fußball-Verband vor. Aus Magdeburg, Dresden und Jena spielt heute niemand mehr gegen Brasilien. Zum Kreis der Nationalmannschaft zählen neben dem Langzeitverletzten Michael Ballack nur noch zwei: Toni Kroos, der erst im Einheitsjahr 1990 in Greifswald geboren wurde. Und René Adler, der mit 15 Jahren aus Leipzig nach Leverkusen ging. Die einst führenden Klubs BFC Dynamo, Dynamo Dresden, Lok Leipzig, Carl Zeiss Jena und 1. FC Magdeburg spielen überregional keine Rolle mehr. Von den 14 Klubs der letzten Oberligasaison stehen nur noch die Zweitligisten Energie Cottbus und Erzgebirge (früher Wismut) Aue im Licht einer breiteren Öffentlichkeit, dazu noch der zum Ende der DDR zweitklassige 1. FC Union aus Berlin.

Das ist ein betrübliches Zeichen zum 20. Jahrestag der deutschen Fußball-Vereinigung, sie wird am 21. November in Leipzig begangen. Moldenhauer spricht dennoch von einer „Erfolgsgeschichte“, er macht sie fest an der „großen Leistung, 4600 Betriebssportgemeinschaften in Vereine umzuwandeln“, an der Sportschule Kienbaum bei Berlin, „der modernsten in ganz Deutschland“ und an den „92 Leistungsstützpunkten, 15 sportbetonten Schulen und neun DFB-Eliteschulen, die wir im Osten haben“.

Und natürlich an Matthias Sammer.

Der Querkopf aus Sachsen hat es immerhin geschafft, als Sportdirektor im zuvor breitensportlich orientierten DFB das in der DDR gepflegte Denken der Elitenförderung mehrheitsfähig zu machen. Sammer sagt, er wolle die Zeit in der DDR nicht missen. Die Kinder- und Jugendsportschulen hält er immer noch für vorbildlich, und auch die zentrale Organisation des Sports habe einiges für sich gehabt. Und in den Pleiten vieler früherer Oberligaklubs sehe er ohnehin nur bedingt ein Ost-West-Problem. „Union Berlin, Cottbus und Aue haben doch heute das solide Potenzial von 1990, auch wenn es nicht ganz für die Spitze reicht“, sagt Sammer, und dass Klubs wie Hansa Rostock und Dynamo Dresden heute in der dritten Liga spielen, „hat doch 20 Jahre danach nichts mehr mit der Wiedervereinigung zu tun“.

In Dresden ist Sammer nur noch gelegentlich zu Gast, aber das reicht, um einen Überblick zu bekommen über das, was schief gelaufen ist im Osten. Der aus Hessen zugereiste Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto habe bei Dynamo ein Chaos hinterlassen, „an dem hat der Verein bis heute zu knabbern, was seine Struktur und Satzung betrifft, aber auch das Verhältnis zur Stadt Dresden“. Dynamo hält sich seit Jahren mehr schlecht als recht in der Drittklassigkeit, und es gibt wohl keinen Anderen im Westen Deutschlands, den das so sehr schmerzt wie den Neu-Münchner Matthias Sammer, der 1990 die letzten zwei Länderspieltore für die DDR schoss.

Sven Goldmann

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