Champions League: Borussia Dortmund muss seine Form beweisen
Die Dortmunder zeigen gegen Atletico, dass sie in Höchstform sind. Nun muss die Mannschaft ihr Niveau im Liga-Alltag gegen Hertha BSC beweisen. Ein Kommentar.
Später am Abend hatte Borussia Dortmunds Trainer Lucien Favre seine Spieler aus der Kabine gescheucht: „Sie müssen jetzt schlafen, meine Herren, unbedingt schlafen, am Samstag haben wir ein wichtiges Spiel.“ Es geht dabei gegen Favres alte Freunde von Hertha BSC. Noch später rühmte er „diese hervorragende Mannschaft mit ihren großartigen Individualisten“. Was man halt so sagt nach einem Abend, den in Dortmund niemand so schnell vergessen wird. Dortmund hat zuletzt einiges erlebt in der Champions League, aber dieser Mittwoch war schon etwas Besonderes. So besonders, dass der sonst so zurückhaltende Favre ins Schwärmen geriet. Über diese hervorragende Mannschaft mit den großartigen Individualisten. Über den Club Atletico de Madrid, der gerade 0:4 in Dortmund verloren hatte.
Nun ließe sich das Kompliment des Monsieur Favre leicht abtun als kalkuliertes Understatement. Als elegante Form, den Vortrag der eigenen Mannschaft zu erhöhen und sie zugleich auf dem Boden zu halten. Aber so tickt Favre nicht. Jenseits des Fußballplatzes sind ihm alle taktischen Finessen fremd, und auch am Mittwochabend war seine Analyse mehr als nur freundlich, sondern zutreffend.
Atletico spielte in Dortmund lange Zeit mit jener verwegenen Guerilla-Grandezza auf, die den Klub in der bald acht Jahre währenden Regentschaft des Argentiniers Diego Simeone zweimal zum Gewinn der Europa League geführt hat und zwei weitere Male ins Finale der Champions League. Eine Halbzeit lang gestalteten die Spanier das Spiel zurückhaltend-kontrolliert, erhöhten in der Folge stetig den Druck und vermittelten bis tief in die Schlussphase hinein den Eindruck, als hätten sie alles im Griff. „Ich kann meiner Mannschaft nichts vorwerfen“, sprach Simeone, aber ein 0:4 sei nun mal ein so deutliches Resultat, als dass da etwas zu relativieren sei. „Dortmund hat das wunderbar gemacht. Diese Mannschaft ist auf einem sehr guten Weg.“
Das trifft es ganz gut. Borussia Dortmund hat von zwölf Spielen in dieser Saison keines verloren, zehn gewonnen und dabei 37 Tore erzielt. Und doch ist diese Mannschaft keineswegs ein schon vollendetes Kunstwerk. Sondern immer noch auf dem Weg. Die Dortmunder Fans mögen von einer Renaissance als Großmacht träumen. Von einer ernsthaften Bedrohung für den FC Bayern und einem neuen Höhenflug in Europa – so wie jener, der den BVB vor zwanzig Jahren zum Sieg der Champions League getragen hat und vor fünf Jahren ins Finale von Wembley. Aber der Perfektionist Favre weiß nur zu gut, wie weit der Weg dorthin noch ist. Seine jungen Spieler, angeführt vom grandiosen Axel Witsel, erfreuen sich gerade einer Phase, in der ihnen alles, aber auch alles gelingt. Auf dass niemand mehr zurückdenkt an die schwächeren Phasen, aber auch die prägen das Dortmunder Spiel. Trotz der zehn Siege in zwölf Spielen, garniert mit 37 Toren.
Wer weiß schon, welchen Lauf die Dinge am Mittwoch genommen hätten, wenn Atleticos drückender Überlegenheit über weite Strecken der zweiten Halbzeit der Ausgleich gefolgt wäre. Am vergangenen Samstag war beim 4:0 in Stuttgart jeder Schuss ein Treffer, aber es hätte ebenfalls zu Beginn der zweiten Hälfte auch drei Gegentore geben können. In den vergangenen vier Monaten hat Favre aus Dortmunds Rasselbande das vielleicht spannendste Projekt Europas gemacht. Aber die Feiertage von gestern sind nur dann von Wert, wenn sie im Alltag bestätigt werden. Wenn die Dortmunder dem Rausch vom Mittwoch gegen Atletico einen ausgeschlafenen Samstag gegen Hertha BSC folgen lassen.