Frauentennis-Chefin Barbara Rittner: „Boris gibt mir das Gefühl, dass wir auf Augenhöhe sind“
Deutschlands Frauentennis-Chefin Barbara Rittner über Gleichberechtigung im Tennis, hinkende Männervergleiche und das neue Rasenturnier in Berlin.
Barbara Rittner, 46, ist seit 2017 die Chefin des deutschen Frauentennis, zuvor war sie acht Jahre lang Fed-Cup-Teamchefin. Beim neuen Berliner Rasenturnier ist sie Direktorin. Darüber und mehr haben wir mit ihr gesprochen.
Frau Rittner, haben Sie eigentlich den Film „Battle of the Sexes“ gesehen?
Ja, das habe ich. Im Kino sogar. Und ich fand ihn wirklich sehenswert und würde den Film jedem empfehlen.
Darin geht es um das legendäre Tennismatch 1973 zwischen Billie Jean King, einer der besten Spielerinnen dieser Zeit, und dem alternden früheren Wimbledonsieger Bobby Riggs. Der erklärte vor laufender Kamera, dass er Frauen lieber im Bett und in der Küche sehen würde. Dinge, die heute eigentlich niemand mehr sagen würde.
Ach, das weiß ich gar nicht. Machos sind sicher nicht ausgestorben. Natürlich würde ein Mann dafür heute viel mehr angegriffen werden. Aber es gibt immer noch diese Leute, die zum Beispiel extra provokant behaupten, die Nummer 1000 bei den Männern würde die Nummer eins der Frauen locker schlagen. Ein Vergleich, der natürlich hinkt, weil generell einfach unterschiedliche körperliche Voraussetzungen existieren.
Trotzdem sind die Zeiten heute natürlich andere als früher. Wie haben Sie das während Ihrer aktiven Karriere empfunden?
Als Spielerin habe ich mir darüber weniger Gedanken gemacht. Aus heutiger Sicht haben wir damals natürlich auffällig weniger Geld verdient. Deswegen finde ich, dass wir in Sachen Gleichberechtigung im Tennis auf einem guten Weg sind.
Tatsächlich gibt es seit 2007 bei allen Grand-Slam-Turnieren gleiches Preisgeld für Frauen und Männer. Das passt aber nicht jedem. Unter anderem Novak Djokovic und Rafael Nadal haben das kritisiert, weil die Leute angeblich ihretwegen überhaupt Eintrittskarten für Turniere kaufen.
Das kann ja jeder so sehen, wie er will. Sie sind ja auch Topleute. Und natürlich ist es gefühlt unfair, wenn ein Nadal fünf Stunden lang ein Halbfinale spielt und eine Serena Williams vielleicht dafür nur 43 Minuten braucht. Das mag in dem Moment in keinem Verhältnis stehen, aber man muss das in der Gänze sehen, und da kenne ich auch Menschen, die sich lieber ein Frauenmatch anschauen, weil da die Ballwechsel in der Regel länger und somit interessanter sind. Und es ist auch nachgewiesen, dass die Turniere am besten besucht sind, bei denen sowohl Frauen als auch Männer spielen.
Es gibt bei den Männern auch Unterstützer für die finanzielle Gleichberechtigung.
Roger Federer hat sich öffentlich für die Gleichberechtigung bei der Bezahlung eingesetzt. Das finde ich sehr wichtig. Generell bin ich auch dafür, dass bei großen Turnieren im gleichen Format gespielt wird, also jeweils zwei Gewinnsätze bei Frauen und Männern. Das wäre dann absolute Gleichberechtigung.
Welche Rolle spielen denn die Typen im Tennis? Täuscht der Eindruck, dass es bei den Männern davon aktuell mehr gibt als bei den Frauen?
Es ist unumstritten, dass es im Moment bei den Männern mehr bekannte Namen gibt, die ziehen. Deswegen hat natürlich ein Nadal auch leicht reden. Denn da, wo er spielt, ist es immer voll. Das kann sich in drei, vier Jahren aber auch wieder ändern. Denn wie oft hat man das, das über fast 20 Jahre drei, vier Spieler so dominieren und absolute Zuschauermagneten sind? Im Frauentennis herrscht derzeit ein Generationswechsel. Zuletzt waren Serena Williams oder Maria Scharapowa die großen Ticketseller, aber bei den jungen Spielerinnen gibt es viele, die diese Lücke schließen können. Denken wir nur an Naomi Osaka, Bianca Andreescu oder Coco Gauff, die eine werden kann.
In Berlin gibt es im nächsten Juni mit dem Rasenturnier wieder ein bedeutendes Tennisevent. Was können Sie denn als Turnierdirektorin tun, damit das Interesse daran möglichst groß ausfällt?
Ein Turnier auf Rasen in Berlin – das hat noch mal einen ganz anderen Stellenwert. Es ist eine andere, eine neue Geschichte. So eine Veranstaltung wirkt elitär, gediegen und traditionell. Und so etwas gab es in Berlin noch nicht, früher wurde Mitte Mai auf Sand gespielt. Man sollte beide Turniere nicht miteinander vergleichen. Das war damals die Steffi-Graf-Ära, sie war dort immer Favoritin auf den Turniersieg. Heute ist es eine andere Zeit, auch das Spiel auf Rasen ist anders. Schon allein für Augen und Ohren der Zuschauer ist das wahnsinnig spannend, so etwas live zu erleben. Unsere Aufgabe ist jetzt, ein möglichst hochklassiges Teilnehmerfeld zu präsentieren – allen voran so viele deutsche Spielerinnen wie möglich. Damit steigt und fällt so ein Event, aber angesichts der Bedeutung des Turniers in der besten Woche vor Wimbledon wird die Besetzung in jedem Falle sehr gut sein. Wir werden uns sicher noch einiges einfallen lassen, vielleicht gibt es wie früher in Berlin wieder einen Ladies Day. An der Planung arbeiten wir, und ich bin gespannt, wie die Berliner das annehmen werden.
Sie haben Steffi Graf angesprochen. Ihre Erfolge wurden in Deutschland immer bewundert, bei Boris Becker allerdings herrschte fast sogar landesweiter Ausnahmezustand. Weil er ein Mann ist und Männer sportlich noch mehr im Fokus stehen als Frauen?
Klar wurden die Siege damals unterschiedlich wahrgenommen. Das liegt aber vor allem daran, dass beide verschiedene Typen sind. Boris hat seine Fans immer durch Emotionen gepackt, durch das Extrovertierte. Er steht ja auch heute noch gern in der Öffentlichkeit und spielt damit auch. Steffi Graf hingegen war immer sehr zurückhaltend und stand eigentlich nie gern im Mittelpunkt. Sie wirkte vermeintlich ruhig und kühl und hat einen emotional nicht so teilhaben lassen. Obwohl sie so unglaublich erfolgreich war, ja noch viel erfolgreicher als Boris Becker. Für mich ist sie eine absolute Jahrtausendspielerin, und dass sie sich jetzt so zurückgezogen hat, sollte man respektieren. Genauso, dass Boris Becker viele Leute an seinem Leben über die sozialen Kanäle teilhaben lässt.
Als Becker 2017 als Head of Men’s Tennis im DTB vorgestellt wurde, gab es in Frankfurt einen riesigen Medienauflauf. Auf derselben Veranstaltung wurden Sie zur Frauenchefin ernannt, es schien nur niemanden zu interessieren. Verbandspräsident Ulrich Klaus war so aufgeregt, dass er Sie Barbara Becker nannte. Wie haben Sie das damals empfunden?
Ich bin ja auch realistisch und habe vorher auch nichts anderes erwartet. Man darf auch nicht vergessen, dass es damals der erste öffentliche Auftritt von Boris Becker für den Verband seit etlichen Jahren war. Deswegen war mir klar, dass das nichts mit mir zu tun hatte und auch nicht despektierlich mir als Frau gegenüber war. Für mich war es einfach ein tolles Erlebnis, nebendran zu sitzen – trotz des Versprechers. Und Boris gibt mir stets das Gefühl, dass wir in unserer Arbeit immer auf Augenhöhe sind. Das ist mir viel wichtiger.
Die Triumphe einer Angelique Kerber in den vergangenen Jahren wurden in Deutschland eher routiniert zur Kenntnis genommen. Wäre die Begeisterung womöglich größer ausgefallen, wenn ein Mann vergleichbare Erfolge wie einen Wimbledonsieg vorweisen könnte?
Das glaube ich nicht. Letztendlich ist das auch wieder typbedingt. Angie ist eher ruhig und introvertiert. Und 2018 wurde sie gerade am Jahresende für ihren Wimbledonsieg überall gewürdigt. Da war sie schon am Limit der möglichen Aufmerksamkeit. Dazu kommt, dass der Deutsche nun einmal erfolgsverwöhnt ist. Das war bei den vielen Siegen von Steffi Graf doch auch schon so, dass nur noch gesagt wurde: „Ach, schon wieder ein Grand-Slam-Titel.“ Das war gar nicht mehr so etwas Besonderes. Durch die vielen Grand-Slam-Siege hatte es aber natürlich eine andere Nachhaltigkeit. Es wäre interessant zu sehen, was passiert, wenn Alexander Zverev vielleicht das eine oder andere Grand-Slam-Turnier gewinnt.
Preisgeld und Aufmerksamkeit sind eine Sache, aber zuletzt gab es auch schon Kritik daran, dass Frauenmatches bei wichtigen Turnieren stiefmütterlich behandelt und auf den großen Plätzen Spiele von Männern bevorzugt werden würden. Wie haben Sie diese Diskussion verfolgt?
Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so stimmt. Es hängt ja auch immer vom Land ab, in dem gerade gespielt wird. Zudem sind die Veranstalter auch angehalten, das in etwa gleich zu verteilen. Die Namen spielen auch eine Rolle, und da kommt man an den Überspielern Federer, Nadal und Djokovic einfach schwer vorbei. Und übrigens wird auch eine Serena Williams auf keinem kleinen Platz dieser Welt mehr angesetzt.
Serena Williams hat sich stets für die Gleichberechtigung der Geschlechter eingesetzt. Wie wichtig ist sie für die Frauen-Tour und ihre Kolleginnen?
Sie ist ein absoluter Superstar und deshalb unglaublich wichtig. Wenn sie etwas sagt, dann hört man ihr zu. Und sie setzt sich für andere ein, sie ist keine Egoistin. Sie ist feministisch unterwegs und will etwas bewegen.
Manchmal schießt sie allerdings auch über das Ziel hinaus, wie bei ihrem Ausraster 2018 im Finale der US Open. Wie haben Sie das erlebt?
Ich habe damals als Eurosport-Expertin direkt am Platz gesessen und das hautnah mitbekommen. Das war schon beängstigend, und da hat sie sich absolut nicht im Griff gehabt. Das habe ich seinerzeit sehr kritisch gesehen, und es ist für mich auch so ein kleiner Makel in ihrer Karriere.
Insgesamt hat sich seit 1973 und dem „Kampf der Geschlechter“ zwischen King und Riggs in puncto Gleichberechtigung sicher viel zum Positiven gewandelt. Wo steht das Frauentennis ihrer Meinung nach fast 50 Jahre später, gerade auch im Vergleich zu anderen Sportarten?
Ich glaube, wir können uns im Tennis nicht beschweren. Natürlich sollte die WTA immer daran interessiert sein, noch mehr in Sachen Gleichberechtigung zu tun. Im Vergleich zu anderen Sportarten stehen die Frauen bei uns sehr gut da, die Spielerinnen verdienen ordentlich Geld und können froh sein, ein Teil des Geschäfts zu sein.
Dennoch gibt es sicherlich immer Raum für Verbesserungen. Wo sehen Sie konkret Handlungsbedarf?
Es gibt immer noch eine wesentlich höhere Anzahl an Männerturnieren. Daran kann man noch arbeiten. Außerdem ist der Stellenwert des Fed-Cups deutlich niedriger als der des Davis-Cups, auch wenn der Weltverband zuletzt alles getan hat, um diesen Wettbewerb zu zerstören. Aber warum spielt man nicht einfach eine gemeinsame Mannschafts-WM? Vielleicht als fünften Grand Slam über 14 Tage? Das fände ich spannend. Da müssten sich die verschiedenen Verbände mal an einen Tisch setzen, wie man einen Teamwettbewerb richtig stark macht. Da ist noch viel Potenzial.