Sport: „Bietet England, sind wir raus“
Dortmunds Chef-Scout Sven Mislintat über den Kampf um Talente und die Finanzkraft internationaler Top-Klubs.
Herr Mislintat, wie viele Kilometer haben Sie bei der EM in Polen und der Ukraine schon zurückgelegt?
Bis zum Viertelfinale haben ich und mein Team alle Partien gesehen, abgesehen von den Partien in Donezk und Charkiw. Die Kilometer haben wir allerdings nicht gezählt.
Kann Sie in Zeiten „gläsener“ Profis überhaupt noch etwas überraschen?
Bei einer A-Europameisterschaft kennt man tatsächlich die meisten Spieler. Aber trotzdem können sie einen überraschen – manche spielen überraschend schlecht, andere spielen stärker als erwartet. Aber es stimmt schon: Überraschungen sind selten. Dass man Spieler findet, die man noch nicht auf dem Radar hat, ist bei so einem Turnier eigentlich ausgeschlossen.
Welchen Stellenwert hat eine Europameistschaft dann noch für Sie?
Borussia Dortmund ist kein Verein, der sich erst bei einem Turnier mit Spielerverpflichtungen auseinandersetzt. Es ist doch so: Wenn sich ein Spieler bei der EM in den Vordergrund spielt, dann treten sofort die Klubs mit sehr viel Geld auf den Plan – insbesondere die Vereine aus England.
Und dann hat der BVB keine Chance mehr?
Ja, wenn es soweit kommt, sind wir eigentlich raus. Deshalb müssen wir unseren Job vorher erledigen. Es ist aber nicht so, dass das Turnier deshalb völlig uninteressant wäre. Es kann immer passieren, dass ein Spieler, zu dem man schon seit zwei Jahren Kontakt hat, plötzlich explodiert.
Klingt trotzdem so, als Sie nicht zu viel Energie auf die EM verwenden...
Das stimmt, die letzten Qualifikationsrunden einer U-17- oder U-19-EM sind für uns wesentlich interessanter. Bei diesen „Eliterunden“ sehen wir sämtliche Top-Talente auf einem Haufen, auch aus den Ländern, die man nicht so häufig bereist.
Es gibt Spieler, die im Nationalteam ein anderes Gesicht zeigen als im Verein, Lukas Podolski galt lange Zeit als so ein Fall. Wie bewerten Sie das?
Als Scout muss man das Spiel beurteilen, das man sieh, nicht mehr und nicht weniger. Einige Spieler sind sehr konstant, andere schwanken in ihren Leistungen noch. Das trifft natürlich insbesondere auf junge Spieler zu, ist aber auch in Ordnung. Schließlich geht es uns bei jungen Talenten in erster Linie um Potenziale und nicht um komplett entwickelte Spieler.
Wie muss man sich das Verhältnis in der „Scout-Familie“ vorstellen? Sind Sie erbitterte Konkurrenten? Oder tauscht man sich auch aus?
Das ist wie in jedem anderen Job auch. Mit einigen Kollegen findet man einfach keine Ebene, mit anderen versteht man sich dafür prima. Das heißt aber lange noch nicht, dass ich über die Spieler spreche, die ich beobachte. Wir reden zwar nicht über das Wetter, aber welchen Spieler ich gerade beobachte, das bleibt mein Geheimnis.
Trotzdem, bei der EM treffen Sie vermutlich bei jedem Spiel auf dieselben Gesichter, oder?
Tatsächlich sitzen die Scouts in den Stadien direkt nebeneinander. Ich suche aber nicht gezielt Kontakt. Es ist nicht so, dass ich mir Sonnenbrille und Baseball-Kappe aufsetze, damit man mich nicht erkennt, ich suche aber auch nicht gezielt Kontakt. Meine Konzentration soll voll und ganz auf dem Spiel liegen.
Herr Mislintat, läuft man bei einer EM Gefahr, einen gehypten Spieler zu verpflichten?
Das kann schon vorkommen, aber meist passiert das Vereinen, die nicht so sehr aufs Geld schauen müssen. Wir würden jedenfalls nie einen Spieler verpflichten, den wir nur drei Mal bei der EM gesehen haben. Wir wollen kein „One-Hit-Wonder“.
Werden Sie von Ihren ausländischen Kollegen eigentlich über die deutschen Spielern ausgefragt?
Das passiert, aber sie brauchen keine Antwort erwarten (lacht). Das ist Wissen von Borussia Dortmund – und das geht niemanden etwas an.
Die Fragen stelle Jörn Lange.
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