Interview: Bernhard Peters: „Nur mit Schwiegersöhnen werden Sie nie Erster“
Hoffenheims Sportdirektor Bernhard Peters im Tagesspiegel-Interview über Hierarchien in Teams, Ballacks Sicht der Dinge und die Veranlagung zum Führen.
Herr Peters, Ihr Verein Hoffenheim empfängt am Sonntag den Hamburger SV zum Spitzenspiel der Bundesliga. Sie sind Zweiter, mit einer Mannschaft, die keine Stars hat und die jüngste der Liga ist. Sind junge Spieler besser, weil sie leichter zu führen und zu begeistern sind?
Generell sind jüngere Spieler für einen Trainer einfacher zu führen. Aber das heißt nicht, dass man nicht auch erfolgreich sein könnte, wenn man zwei oder drei erfahrene Spieler in den Reihen hat, die in den entscheidenden Situationen ein bisschen belastungsresistenter sind. Man benötigt eine Hierarchie und eine Mischung aus erfahrenen Spielern und einer guten Handvoll oder noch mehr jungen Spielern, wie wir es in Hoffenheim haben.
Anders gefragt: Ist bei älteren Spielern das Ego irgendwann stärker als Leistung?
Um mit erfahrenen Spielern umzugehen, braucht man eine sehr konsequente Führungsphilosophie – die lassen sich nicht mehr ausschließlich von Emotionen und Motivationen ansprechen. Andererseits muss man auch den Anspruch haben, mit schwierigeren Typen zurechtzukommen. Die sind zwar etwas extravagant, aber eben oft auch die genialen Typen, die die Spiele entscheiden.
Nur mit pflegeleichten Schwiegersöhnen holt man keine Titel?
Nee, mit denen werden Sie vielleicht Zweiter, aber nie Erster. Denen fehlt etwas, das ich konstruktiven Ungehorsam nenne. Die Frechheit, im entscheidenden Moment etwas Geniales oder Überraschendes auf dem Platz zu machen, was der mit dem Schwiegersohnimage sich nicht trauen würde. Sie müssen eine gewisse Schläue haben, Regeln auszutesten, an die Grenze zu gehen, auch mal das Gegenteil des Üblichen zu machen. Das muss aber immer auch zielführend sein.
Aber nur mit Genies funktioniert es auch nicht.
Nein, der Mix macht’s. Sie brauchen die strategischen Denker, die Kämpfer, die Künstlertypen, die Jüngeren, die Führungsspieler. Generell gilt, nicht die besten Einzelspieler bilden das beste Team, sondern die am besten aufeinander abgestimmten. Die Spieler müssen neben ihrem Miteinander im Spiel von ihren Motiven und Charaktereigenschaften zueinander passen.
Diese These vertreten Sie auch in Ihren Referaten und in Ihrem Buch „Führungsspiel“. Gilt sie Ihrer Meinung nach sportartenübergreifend?
Ich glaube, dass diese Prinzipien von Führung und Teambildungsprozessen bei Teams funktionieren, die interagieren und miteinander spielen – egal ob im Hockey, Wasserball, Fußball oder Volleyball. Bei einer Skisprungstaffel ist das vielleicht was anderes.
Also müssen in einem Fuß- oder Volleyballteam am besten alle den gleichen Charakter und die gleiche Körpergröße haben?
Nein, nein, um Gottes Willen. Sie brauchen verschiedene Typen, die verschiedene Motive in sich tragen. Und Sie brauchen eine Hierarchie – die kann flacher oder steiler sein, je nachdem, wie diese Gruppe zusammengewachsen ist.
Nun gibt es derzeit um Michael Ballack…
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich zu der Problematik nicht äußern möchte.
Aber Ballack sagt, bei der EM 2000 sei die deutsche Nationalelf gescheitert, weil sie zwar gute Spieler, jedoch keine Hierarchie hatte.
Da ist sicher was dran. Sie brauchen auf jeden Fall eine positive Gruppendynamik. Die wird durch leitende Typen vermittelt. Sie müssen Spieler in der Mannschaft haben, die Führungsmotive haben – Typen, die sowohl nonverbal als auch verbal leiten, mitreißen und andere begeistern und die Leidenschaft eines Trainers auf den Platz projizieren können. Wenn es zu wenige Typen gibt, die diese positiven Werte leben, dann können Sie’s vergessen.
Gibt es noch weitere Motive?
Nun, einige Menschen haben eher soziale Motive, einige eher Machtmotive. Da gibt es verschiedene Modelle, um das zu beurteilen. Ich habe nie nach wissenschaftlichen Modellen Spieler gesucht, sondern über die Kommunikation mit den Spielern versucht herauszuarbeiten, ob sie zu uns passen.
Sind Intelligenz und Bildung für einen Sportler wichtig oder doch eher hinderlich?
Hinderlich ist es nicht. Auch da muss eine Mannschaft von allem etwas haben – von den kognitiven Typen bis hin zu denen, die ihre Leistung eher intuitiv abrufen.
Wie nahe kommt die momentane Mixtur in Hoffenheim Ihrem Bild von der perfekten Mischung in einer Mannschaft?
Die perfekte Mischung gibt es nie. Wir sind auf einem guten Weg. Aber das ist sicher noch kein Idealbild, das kann es auch gar nicht sein. Es wäre naiv das zu glauben, nur weil wir momentan erfolgreich sind.
Werden Sie in Hoffenheim in die Spielerbeurteilung eingebunden?
Meine Rolle bei Hoffenheim ist nicht die des Scouts, aber ich habe das als Hockey-Bundestrainer lange gemacht. Ich werde manchmal um meine Meinung gefragt, was diesen Komplex angeht, aber da haben wir mit Ralf Rangnick, Jan Schindelmeiser oder Helmut Gross genug kompetente Leute, die diese Einordnung vornehmen.
Gibt es in Hoffenheim eine Tabelle mit Kriterien für Spielertypen, die abgehakt werden?
Nein, die Praxis sieht anders aus. Man hat ein gewisses Gerüst einer Mannschaft und sucht meinetwegen für die Position des rechten Verteidigers einen Spielertypen, der die sportlichen Prinzipien beherrscht oder die Veranlagung in sich hat, die der Trainer einfordert und die dieser in der Mannschaft in der Lage ist zu spielen. Das muss dieser Spieler auf der fachlichen Ebene ausfüllen, also technisch, taktisch und athletisch. Aber es geht auch darum, dass er von seinen charakterlichen Eigenschaften, von seiner Emotionalität und von der Fähigkeit, geführt zu werden, in diese Gruppe passt.
Wenn ein Spieler gut spielt, aber charakterliche Defizite hat, passt es nicht?
Wenn Sie mit Spielern zwei oder drei Wochen in einem Trainingslager sind, vielleicht noch im Ausland und auf engem Raum, wird das Sozialverhalten auf eine harte Probe gestellt. Man muss sich einordnen und gewissen Zwängen und Bedingungen unterordnen. Da lernen Sie Leute kennen. Da gibt es dann Ausschlusskriterien: Wenn Spieler mit diesen Bedingungen nicht umgehen können, wenn sie nicht stressresistent oder belastbar sind, wenn sie nur immer auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, dann sind sie ab einem gewissen Grad für eine Gruppe nicht tragbar.
Ist in Hoffenheim auch das Alter ein Ausschlusskriterium?
Ausschlusskriterium ist ein bisschen hart. Unsere Idee war, mit hungrigen, interessanten, entwicklungsfähigen Spielern diesen Weg zu beschreiten und so Step by Step ein gut funktionierendes Team aufzubauen. Wir wollen junge Führungspersönlichkeiten entwickeln. Für uns spielt neben dem Talent des Spielers auch eine Rolle, wie jung er ist und ob er noch formbar ist.
Kann man Führungsspieler formen?
Die Motive eines Menschen liegen mehr auf der genetischen Ebene und sind nur bedingt noch entwickelbar. In Hoffenheim suchen wir Spieler, die diese Motive schon in sich haben, und provozieren sie und fordern sie zur Führung auf. Das muss sich weiter herausschälen, auf dem Platz und neben dem Platz.
Es gibt Menschen, die eine Veranlagung zum Führen haben, aber nicht wollen?
Ja, die wollen und trauen sich noch nicht so, oder das steht noch nicht im Verhältnis zu ihrer Leistung auf dem Platz.
Dürfen diese Führungstypen dann ihren eigenen Kopf haben oder müssen sie bedingungslos dem Trainer folgen?
Nein, die dürfen nicht ohne Nachdenken dem Trainer folgen. Die müssen ihren eigenen Kopf haben und in der kritischen Reflexion mit dem Trainer sein. Aber der Trainer muss sich natürlich auf sie verlassen können, dass sie in die Richtung gehen, die für das Team verabredet worden ist.
Das Gespräch führte Christian Hönicke.