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 Nicht immer nur Jubel und Heiterkeit: Fans der Eisbären jubeln ihrer Mannschaft zu. Beim Spiel in Wolfsburg gab es auch Pöbeleien gegen die Wolfsburger.
© Sophia Kembowski/dpa

Fankultur: Berliner und Wolfsburger: Traditionell abgeneigt

Beim Eisbären-Spiel zeigt sich: Sportfans aus Haupt- und Autostadt haben ein kompliziertes Verhältnis. Ein Ortsbesuch.

Später am Abend kommt es zu einer ebenso spontanen wie kuriosen Verbrüderung, aber um kurz nach sechs macht sich Daniel Didavi erst mal um die Berlin-Wolfsburger Feindschaft verdient. Er will gerade zur Exekution eines Eckstoßes schreiten, da fliegt aus der Berliner Fankurve vor seine Füße, mutmaßlich ein Feuerzeug, so was darf man ja im dritten Jahrtausend noch ohne Sanktionen ins Stadion schmuggeln. Didavi bricht seinen Anlauf ab, er hebt das Minigeschoss auf und – wirft es zurück in die Kurve. Wütendes Geheul in der blau-weißen Abordnung, hämischer Beifall von den Grün-Weißen.

Nein, so richtig gern haben sie sich nicht in Wolfsburg und Berlin. Das ist an diesem nasskalten Sonntag im November gleich von doppelter, ja sogar dreifacher Bedeutung. Erst duellieren sich die Eishockeyspieler von den Grizzlys Wolfsburg und den Eisbären Berlin. Durch die traditionelle Abneigung beider Städte schon problematisch genug. Aber im konkreten Fall kommt für die Wolfsburger Polizei hinzu, dass auch die Fans von Hertha und den Eisbären nicht gerade eine Liebesbeziehung unterhalten.

Gut 1000 Eishockey- und noch mal doppelt so viele Fußballfans machen sich aus Berlin auf den Weg. Überraschend viel Hertha-Publikum bevölkert schon zur Mittagsstunde die Wolfsburger Innenstadt, nutzt die Stunden bis zum Spiel aber lieber zum Vorglühen als zu einem Besuch beim Eishockey. Egal, für die Eisbären fühlt sich der Auswärtstermin auch ohne die lokale Unterstützung der anderen Art wie ein halbes Heimspiel an. Das Wolfsburger Eisstadion im Allerpark wirkt wie eine kleine Ausgabe des Wellblechplastes in Hohenschönhausen, wo der EHC vor den Umzug in den Glitzerpalast am Ostbahnhof zu Hause war.

Die zugleich schäbige und heimelige Atmosphäre inspiriert die Berliner Fans zu einer 60 Minuten währenden Party. Sie bemühen sich dabei nicht weiter um Höflichkeit. „Wir sind eure Hauptstadt, ihr Bauern“ gehört nicht zum Exklusivprogramm bei Gastspielen in Wolfsburg, anders als „Niedersachsen, hässlich und verwachsen“. Vom gegnerischen Anhang ist herzlich wenig zu hören, was sehr gut mit dem Geschehen auf dem Eis korrespondiert. Nach fünf Berliner Toren ist um kurz vor fünf Schluss.

Eine gute Stunde noch bis zum Beginn des Fußballspiels. Vom Eisstadion bis zur VW-Arena sind es zu Fuß nicht mal zehn Minuten, aber die Eisbären-Fans fahren nach Hause. Das ist schade für den Schwarzhändler, der nur 20 Euro für ein Ticket verlangt, „ist auch ein Sitzplatz, Mann!“ Es hat zwar aufgehört zu regnen, ist aber so unangenehm kühl, dass vor dem Stadion niemand Lust auf Provokationen hat. Wolfsburger und Berliner Fans ignorieren sich und leben ihre Antipathie erst wieder aus, als ein Wurfgeschoss aus der Berliner Kurve auf den Rasen und von dort wieder zurückfliegt.

Kurze Zeit später aber haben sich beide auf einmal richtig lieb. Das ist dem Videobeweis zu verdanken, er bringt die Wolfsburger in der ersten Halbzeit um zwei Tore, die der Schiedsrichter schon anerkannt hatte. Da haben sogar die Berliner Fans Mitleid. Nach anfänglichem Zögern singen sie gemeinsam mit den Wolfsburgern „Ihr macht unseren Sport kaputt!“ Die Solidaritätsaktion gipfelt in perfekt abgestimmten „Scheiß DFB!“-Rufen zwischen den rivalisierenden Fanblöcken, quer über den ganzen Platz. Das kommt in der Bundesliga auch eher selten vor.

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