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25 Jahre später: Ben Johnson und das Verschwinden der Unschuld

Vor 25 Jahren rannte Ben Johnson bei Olympia zu Gold in Weltrekordzeit. Kurz darauf war er beides wieder los. Doping gab es auch schon vorher, doch erst dieser Fall machte der ganzen Welt die Dimension klar.

Es war eine 9,79 Sekunden dauernde Explosion. Der aus Jamaika stammende kanadische Sprinter Ben Johnson katapultierte sich am 24. September 1988 beim 100-Meter-Finale der Olympischen Spiele von Seoul zu einem atemberaubenden Start-Ziel-Sieg. Weltrekord für den nur 1, 78 Meter großen dunkelhäutigen Irrwisch, den alle Welt als „Muskelbündel“ bezeichnete. Was eher eine Untertreibung war. Ben Johnson hatte den Bizeps eines Bodybuilders, das Kreuz eines Boxers, und die Schenkel des menschlichen Kraftpakets waren rasende Dampfhämmer.

Ein Jahrhundertlauf, wie wir alle dachten. Bis heute erinnere ich den Blick des geschlagenen Zweiten, des großen eleganten Carl Lewis. „King“ Carl hatte Johnson, den bulligen Underdog, vier Jahre zuvor in Los Angeles noch im ersten olympischen Finale unter 10 Sekunden mit 9,99 klar besiegt (Johnson war damals nur Dritter). In Seoul schaute Lewis auf seinen Rivalen nun wie ein waidwundes Tier, im Blick hilfloses, ungläubiges Entsetzen.

Zwei Tage später jedoch die Bombe. Ben Johnson enttarnt als Dopingsünder, in seinem Urin reichlich Spuren eines anabolen Steroids, die Goldmedaille und der Weltrekord aberkannt, der Olympiasieger hieß nachträglich wieder Carl Lewis.

Seitdem, seit diesem Rennen vor 25 Jahren und seinen Folgen, ist die Sportwelt nicht mehr wie zuvor. Natürlich hatte es das Thema Doping schon früher gegeben. Bei den Olympischen Spielen von Rom 1960 war ein dänischer Radfahrer, aufgeputscht wie sein gesamtes Team (was man zunächst nicht wusste), beim Mannschaftswettbewerb einem Hitzschlag erlegen. Und sieben Jahre später der grausame Tod des Engländers Tom Simpson bei der Tour de France, im Steilhang des Mont Ventoux, vor den Augen der Radsportwelt.

Doch das schienen Einzelfälle zu sein. Der Preis für Exzesse, auch wenn man die Methodik dahinter schon ahnte. Die Unschuld des internationalen Leistungssports war im Blick des großen Publikums erst mit dem Fall Ben Johnson dahin.

Ben Johnson (vorn), rechts der geschlagene Carl Lewis.
Ben Johnson (vorn), rechts der geschlagene Carl Lewis.
© Reuters

Dieses Debakel, in der Königsdisziplin der Leichtathletik, traf den Herzschlag nicht nur der Olympischen Spiele. Es wirkte wie ein Menetekel. Denn in Seoul hatte neben Johnson auch die schrille, schöne Florence Griffith-Joyner im Frauensprint triumphiert. Sie, die zuvor nicht so aufgefallen war, wirkte auch erst 1988 wie entfesselt über 100 und dann die 200 Meter, die sie mit einem sagenhaft stolzen, für viele auch bezaubernden Lächeln und allen anderen davongeflogen gewann. Mit dem Weltrekord von 21,34 Sekunden. Diese Marke hat bis heute Bestand, also seit 25 Jahren. Aber unglaublich, ja: unglaubhaft wirkte das schon damals, ein jäher Leistungssprung gleich um mehr als eine halbe Sekunde in einer Saison. Und wenige Tage zuvor gerade das Ding mit Johnson.

Flo-Jo ist anderes als BJ nie des Dopings überführt worden. Allerdings fast auf den Tag zehn Jahre nach ihrem Gold-Segen ist Griffith-Joyner 1998 mit nur 38 Jahren gestorben, angeblich an einer Hirnkrankheit.

Der Schatten bleibt. Seitdem gibt es unzählige prominente Dopingfälle, bis hin zum siebenmaligen Tour-Sieger Lance Armstrong. Auch der bundesdeutsche Sport, der sich gegenüber dem DDR-Doping so scheinbar sauber präsentiert hatte, offenbart inzwischen ein schmutziges Unterfutter. Und bei jedem sagenhaften neuen Rekord im Sport lauert auch der Verdacht. Umso mehr sucht das Publikum nach wahren Lichtgestalten.

Die vermutlich größte und noch immer hellste ist bislang Usain Bolt. Bei ihm läuft die Hoffnung mit, dass es das Außergewöhnliche auch als Kunstwerk der Natur geben möge, ohne das Machwerk der Labore und Drogenärzte. Der lange Bolt war schon als Jugendlicher der schnellste Schlaks der Welt, seine frühen Rennen und seine Figur wurden gefilmt, seine Muskeln, seine Haut, seine Augenreflexe gescannt. Kurzum (und frei nach Peter Handke): Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Laufwunders liegt hier sichtbar zutage. Man denkt sich, Usains Schrittlänge kann keiner dopen, sein Knochenbau ist angeboren, und die Muskeln sehen ganz anders aus als die anabolischen Kraftpakete des berüchtigten Vorläufers.

BJ aber hält sich bis heute auch für das Opfer einer Intrige. Und Ben Johnson war der Name auch jenes britischen Dichters, den manche für den echten Autor hinter der Maske des ominösen Mister Shakespeare halten. Das immerhin wäre dann: eine wahre Täuschung.

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