Wolfgang Kubicki im Interview: "Bei Union geht es um Fußball, nicht um Kommerz"
Wolfgang Kubicki sponsert Holstein Kiel, liebt Eintracht Braunschweig – und schwärmt für den 1. FC Union Berlin. Ein Interview.
Herr Kubicki, Sie waren nun schon häufiger im Stadion An der Alten Försterei. Was sucht man dort als FDP-Politiker?
Bei Union Berlin geht es in erster Linie um Fußball und nicht um Kommerz, das sind alles handfeste Jungs hier. Das Stadion hat meiner Frau auch gut gefallen. Und die Stimmung im Stadion ist sensationell, etwa vergleichbar mit St. Pauli.
Wie wurden Sie auf Union aufmerksam?
Wie der Kontakt zustande kam, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war ich zum ersten Mal im Stadion, als Union gegen Kiel gespielt hat. Seither beschäftige ich mich intensiver mit der Geschichte Unions.
Die Hertha interessiert Sie nicht?
Ich bekomme natürlich die Rivalität zwischen Hertha und Union mit; in der Stadt gibt es nur „Eisern“ oder Hertha. Und es ist nicht gerade günstig in Berlin, was die Mehrheitsverhältnisse angeht, zu erklären, man findet Union besser als Hertha.
Dann wissen Sie ja auch, wer sich nicht vom Westen kaufen lässt, wie es in der Union-Hymne heißt.
Das Fanverhalten, sich gegen bestimmte Bestrebungen zu wehren, finde ich voll in Ordnung. Es hat mich beispielsweise fasziniert, dass Unioner und Kieler beim vergangenen Duell die ersten 20 Minuten komplett geschwiegen haben. Der Deutschen Fußball-Liga zu dokumentieren, dass es eigentlich mehr um Fußball gehen sollte und nicht um den Verkauf von Fernsehzeiten, ist ein klares Statement.
Würden Sie sagen, dass Union eine spezielle Ostmentalität auszeichnet?
Union zeichnet zumindest aus, dass die Fans viel für ihren Verein geleistet haben. Ohne sie gäbe es den Klub wahrscheinlich gar nicht. Das ist eine sehr enge Beziehung, die so in kaum einem anderen Verein gelebt wird. Egal, ob das nun den Bau des Stadions betrifft oder das legendäre Weihnachtssingen, das bundesweiten Ruhm erlangt hat.
Wenn der Stadionsprecher die Spielernamen der Unioner ausruft, versehen die Fans jeden mit dem Zusatz „Fußballgott“. Diese Gleichmacherei ertragen Sie?
Ach, das ist nicht mein Problem. In Kiel gibt es allerdings nur einen Fußballgott – das ist Patrick Herrmann, der aber leider weggegangen ist. Wenn der ein Tor geschossen hat – was ja selten vorkam –, wurde der auch gut gefeiert. Ich finde es bei Union für die Spieler schön, dass sie alle in dieser Form gewürdigt werden.
Nina Hagen singt in der Union-Hymne, dass es nur einen geben könne, „Eisern Union“ nämlich. Ist das noch mit ihrer Leidenschaft für Holstein Kiel vereinbar?
Natürlich, weil ich das gut nachvollziehen kann: Für jeden Fan ist sein Verein der größte. Die Zeile ist ja nicht böse gemeint, nicht als komplette Abgrenzung gegenüber allen anderen. Aber dieser Text ist vielleicht in der Geschichte von Union tiefer begründet. Denn hier gab es ja zu Ostzeiten die unmittelbare Konkurrenz zu einem Stasiklub.
Sie schwärmen geradezu. Können Sie wirklich noch guten Gewissens Kieler Fan sein?
Bitte vergessen Sie nie: Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich bei Eintracht Braunschweig gespielt.
Als rechter Läufer, stimmt das?
Rechter Läufer und Vorstopper, die Position gibt’s heute gar nicht mehr.
Hätten Sie auch linke Positionen übernehmen können?
Da ich Rechtsfuß bin, wäre das unpraktisch gewesen.
Haben Sie noch ein paar Erinnerungen an besonders schmerzhafte Niederlagen?
Nicht wirklich. Den Arm habe ich mir mal gebrochen, das Sprunggelenk kaputt gemacht. Und weil ich grundsätzlich ohne Schienbeinschützer spielte, zieren noch heute ein paar Beulen meine Beine.
War’s wirklich so schlimm?
Für mich galt immer: Wahre Männer kämpfen ohne Deckung. Deshalb habe ich auf Schutzmaßnahmen weitgehend verzichtet.
Gab es dafür wenigstens ein paar süß schmeckende Siege?
Als Zuschauer erinnere ich mich vor allem an den Meistertitel der Eintracht 1967. Ich sang zu der Zeit in einem Chor, weil ich eine glockenhelle Stimme hatte. 14 Tage vor einem Auftritt war ich aber im Stadion und habe wie ein Großer gebrüllt. Anschließend konnte ich nicht mehr singen. Der Chor musste kurz vor dem Auftritt in Wolfenbüttel neu besetzt werden – ohne meine Beteiligung.
"Bei mir galt die Devise: An mir kommt keiner vorbei!"
Und Ihre Spielerkarriere haben Sie so früh beendet, weil man das als FDP’ler einfach konnte?
Der Grund war einfach: Ich bin aus Braunschweig weggezogen und habe ein Studium begonnen. Aber mein Talent hätte auch nicht ausgereicht, um in die erste Mannschaft zu kommen. Dann kam noch die erste große Liebe – und plötzlich will man die Zeit nicht mehr auf dem Trainingsplatz verbringen. In Kiel habe ich später noch ein bisschen im Rahmen der Uni gespielt und noch später beim FC Landtag. Da war dann mit 50 oder 55 Jahren aber Schluss.
Welchem politischen Gegenspieler wollten Sie auf dem Platz besser nicht begegnen?
Diejenigen, die ich im Kopf habe, sind so ungelenkig, dass sie nie Fußball spielen könnten.
Nur mal angenommen.
Anton Hofreiter nenne ich dieses Mal nicht. Aber ich bin sicher: Wenn Siggi Pop, also Sigmar Gabriel, heute aufs Fußballfeld gehen würde – oder Gerhard Schröder –, wäre das sicher interessant.
Schröder nannte man Acker. Und Sie?
Das weiß ich nicht mehr. Bei mir galt nur die Devise: An mir kommt keiner vorbei! Ich war ein robuster Zweikämpfer.
Wenn Sie rechter Läufer waren, hätte dann Christian Lindner die 10 bekommen müssen?
Ja, er wäre wohl einer wie Pierre Littbarski oder Günter Netzer gewesen.
Welche Politikerinnen und Politiker würden Sie in eine Kubicki-Traumelf schicken?
Puh. Franz Josef Strauß wäre wahrscheinlich der alte Müller der Bayern gewesen, durchsetzungsstark, fackelte nicht lange. Gerhard Schröder hätte bestimmt den Acker auch umgepflügt. Mit dem hätte ich gerne eine Verteidigung aufgebaut. Ich bin mir sicher, dass Sigmar Gabriel in seinen jungen Jahren auch recht gut war, aber eher so der Mittelfeldmotor.
Oder als Edeljoker?
Aktuell könnte ich der SPD dazu raten, eine solche erfahrene Kraft wieder einzuwechseln – aber das ist nicht mein Beritt.
Wenn Sie Eintracht Braunschweig im Herzen haben, wo steckt dann Holstein Kiel?
Habe ich im Kopf. Ich bin seit fast 50 Jahren in Kiel, bin Kieler und unterstütze den Verein auch als Sponsor. Für Holstein setze ich mich ein; und die Mannschaft verdient das auch. Die letzten drei Jahre war sie richtig gut.
Wären Sie auch bereit, bei Union als Sponsor einzusteigen?
Meine finanziellen Aktivitäten begrenzen sich auf Holstein Kiel.
Das heißt, Sie nehmen am Freitag eindeutig Partei für Holstein?
Ich werde leider nicht im Stadion sein, weil ich dienstlich in Südafrika bin. Aber ich werde das im Livestream verfolgen. Natürlich soll der Bessere gewinnen.
Typisch Politiker.
Quatsch! Der Bessere am Freitag wird Holstein sein. Das ist auch gar nicht schlimm, weil Holstein in Berlin schon 0:2 verloren hat.
Wie lautet Ihre Prognose für Unions restlichen Saisonverlauf?
Ich gehe davon aus, dass Union die Chance hat, ernsthaft um den Aufstieg mitzuspielen.
Die Marktwirtschaft hat Holstein radikal zugesetzt. Die zwei besten Spieler und Trainer Anfang wechselten nach Köln. Die Rezession blieb aus. Wie schafft es Kiel, sich den Gesetzen des Marktes zu widersetzen?
Es ist nicht alles mit Geld zu machen. Das sehen wir auch woanders, bei Schalke zum Beispiel. Es hat auch was mit Leidenschaft zu tun, mit Empathie, mit Teambildung, mit Überzeugung. Und mit Tim Walter haben wir einen Trainer, der absolut erstklassig ist. Aber wenn wichtige Spieler ausfallen, ist es für eine Mannschaft oft ein Problem, das zu kompensieren. Auch bei uns. Wenn Kingsley Schindler fehlt, funktioniert im Sturm nicht mehr alles, obwohl Mathias Honsak so langsam in seine Rolle hineinwächst.
Wird in Kiel noch pragmatisch, nordisch, kühl gearbeitet – oder warum ist der Klub in den letzten Jahren so erfolgreich?
Die Vereinsführung und die beteiligten Großsponsoren haben immer den Blick fürs Machbare behalten. Wir sind kein verschuldeter Verein, wir konnten mit dem Geld, das wir hatten, immer gut auskommen. Wir haben eine extrem gute Jugendabteilung mit einem Nachwuchsleistungszentrum.
Obwohl Kiel lange eher als Handballhochburg wahrgenommen wurde.
Es stimmt, Kiel ist eigentlich eine Handballstadt. Es war für Holstein deshalb schwierig, überhaupt Menschen ins Stadion zu bekommen. Dass wir jetzt immer 10 000 bis 12 000 Zuschauer haben, ist erst in den vergangenen beiden Jahren Standard geworden. In der Stadt ist etwas ausgelöst worden, auch im Team. Das lag in dieser Runde so häufig zurück, hat sich aber nie unterkriegen lassen.
Früher galten mal die Stuttgarter Kickers als FDP-Klub. „In unserem Verein ist der gehobene Mittelstand zuhause“, betonte deren Präsident Dünnwald-Metzler gerne. Fällt Ihnen spontan ein Team ein, das Ihrer Partei heute am nächsten stehen könnte?
Da bin ich wirklich überfragt.
Haben sogenannte Investoren-Klubs wie Hoffenheim oder RB Leipzig eine geistige Nähe zur FDP?
Ob Personen wie Dietmar Hopp oder Dietrich Mateschitz eine geistige Nähe zur FDP haben, weiß ich nicht. Aber sowohl unter politischen wie unter sportlichen Aspekten bin ich äußerst skeptisch, wenn Unternehmen beginnen, sich Vereine zu kaufen. In Leipzig wird Fußball kommerzialisiert, es geht nur noch um Kohle, um nichts anderes. Hopp indes hat für die TSG sehr viel getan, den Verein gäbe es ohne ihn in der Form gar nicht. Dass man ihn brandmarkt, finde ich falsch.
Wolfgang Kubicki, 66, ist FDP-Vize und seit 2017 Bundestagsvizepräsident. Zuvor saß er 25 Jahre im schleswig-holsteinischen Landtag. Kiels Fußballern jubelte er schon davor zu. Am Freitag kommt es in Kiel zum Spitzenspiel zwischen Holstein und Union.
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