zum Hauptinhalt
Zweifel statt Zuversicht. Echte Aufbruchstimmung vermochte Schalkes neuer Trainer Christian Gross bei seinem Debüt nicht zu verbreiten.
© imago images/RHR-Foto

Auch der neue Trainer wirkt noch nicht: Bei Schalke 04 wachsen nur die Zweifel

Mit Christian Gross darf sich bei Schalke 04 in dieser Saison bereits der vierte Trainer versuchen. Der Effekt bleibt aus. Statt Zuversicht wächst der Zweifel.

Christian Gross blieb auch in diesem kritischen Moment ganz bei sich. Er machte einen halben Schritt nach hinten, schaute sich kurz um, ging wieder nach vorne, die Arme verschränkt, den Blick gesenkt. Dabei beließ er es.

Hertha BSC hatte gerade das 2:0 erzielt, und es war der Moment, in dem Gross, der neue Trainer des FC Schalke 04, mehr als geahnt haben dürfte, dass seine Mission nicht mit dem erhofften Erfolgserlebnis beginnen würde. Am Ende hieß es für den Schweizer und seine neue Mannschaft 0:3, was angesichts der Verhältnisse auf dem Platz noch eine ziemlich gute Nachricht für die Schalker war. Drei, vier oder fünf Gegentore mehr wären durchaus möglich gewesen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]

„Sobald wir in Rückstand geraten, gehen bei uns die Köpfe runter“, sagte Schalkes Mittelfeldspieler Alessandro Schöpf. „Man hat das Gefühl, dass wir dann nicht mehr dran glauben.“

Genau deshalb hat Schalke 04, der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga, noch einmal den Trainer gewechselt, einen Mann mit frischem Mut verpflichtet, der nicht von der Last der jüngeren Vergangenheit erdrückt wird. Christian Gross, 66 Jahre alter Schweizer, ist bereits der vierte Trainer der Schalker in dieser Saison. Mit seiner Erfahrung, seiner Gelassenheit sollte er beruhigend auf die Mannschaft einwirken. „Er weiß, wie man die Spieler anpacken muss“, sagte Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider. „Er wird den richtigen Schlüssel finden.“

Trotz allein wird nicht genügen

In Berlin ist der erhoffte Effekt des Trainerwechsels erst einmal ausgeblieben. „Das war natürlich eine Enttäuschung, aber wir geben nicht auf“, sagte Schneider am Sonntag in der Sendung „Sky 90“. „Ich weiß: Uns haben alle abgeschrieben. Das ist okay, das gibt uns nochmal eine besondere Kraft, dass wir das schaffen.“ Die Eindrücke aus dem Spiel im menschenleeren Olympiastadion nährten aber eher die Zweifel als die Zuversicht. Mit Trotz allein werden die Schalker ganz sicher nicht den vierten Abstieg der Vereinsgeschichte verhindern können.

Vermutlich war es immer schon ein Irrglaube, dass das Leben mit 66 Jahren erst richtig anfängt. Es mag Menschen geben, die es mit dem Eintritt ins Rentnerdasein noch mal richtig krachen lassen. „Ich fühl’ mich voller Energie“, sagte auch Christian Gross nach seiner Rückkehr in den Berufsalltag. Tatsächlich aber wirkte der reaktivierte Rentner am Samstag in Berlin eher wie ein alter Mann ohne die nötige Spannung für die unmögliche Mission, die ihm von seinem alten Bekannten Jochen Schneider angetragen worden ist. „Er versucht uns ein gutes Gefühl zu vermitteln“, sagte Schalke Offensivspieler Mark Uth über seinen neuen Trainer.

Als hätte sich alles gegen Schalke 04 verschworen

Der Versuch wird kaum reichen. Der FC Schalke scheint längst ein hoffnungsloser Fall zu sein, und jeder Anflug eines guten Gefühls wird umgehend durch einen neuen Tiefschlag gekontert – als hätte sich alles gegen Schalke verschworen. In Berlin wurde zu Beginn der zweiten Halbzeit Steven Skrzybski eingewechselt. Gleich bei seiner Aktion verletzte er sich so schwer am Knie, dass er nach nur zehn Minuten wieder ausgewechselt werden musste.

Schalkes Probleme sind längst viel zu groß, als dass sie ein Einzelner lösen könnte. Der Verein befindet sich in permanenter Aufruhr, die finanzielle Situation ist dramatisch, der Kader wild zusammengestoppelt und letztlich nicht bundesligatauglich. Dass noch immer und immer wieder das Märchen von der hohen Qualität der Einzelspieler bemüht wird, ist längst Teil des Problems. In Schalkes Mannschaft stimmt es hinten und vorne nicht. „Es fehlen Qualität, Energie, Spielfreude“, sagte Alessandro Schöpf.

Gegen Hertha reichte es für 25 gute Minuten, die Gross großzügig auf 40 aufrundete. Dann machten die zuletzt selbst nicht allzu gefestigten Berliner ernst und ließen Schalke nicht mehr ins Spiel zurück. „Der Elan war weg“, sagte Gross über den Effekt von Herthas Treffer zum 2:0 unmittelbar nach der Pause. „In der Defensive zu wenig konzentriert, zu wenig konsequent und in der Offensive zu wenig effizient“, so beschrieb Schalkes neuer Trainer den Auftritt seiner Mannschaft. „Ich habe bei dem einen oder anderen Spieler schon gewisse Defizite gesehen.“

Schalke setzt auf Neuzugänge

Mark Uth klagte sogar, dass Schalke in einer Verfassung wie in der zweiten Hälfte nicht wettbewerbsfähig sei. Auch deshalb ruhen die Hoffnungen auf weiteren Verpflichtungen. „Wir brauchen jetzt Spieler, die uns sofort weiterhelfen“, sagte Uth. Spieler wie Sead Kolasinac, 27, der nach einem Intermezzo beim FC Arsenal zum S04 zurückkehrt und dem neuen Trainer Gross schon am kommenden Samstag gegen die TSG Hoffenheim zur Verfügung stehen wird. „Er ist mit seiner Erfahrung, seiner Persönlichkeit und seinem Spirit jemand, der positiv vorangeht“, glaubt der Schweizer.

Doch mit Kolasinac alleine wird es nicht getan sein. „Wir brauchen mehr Torgefahr“, sagte Gross. Dazu druckvolle Spieler für die Außenpositionen. Sportvorstand Schneider arbeite Tag und Nacht an Lösungen, erklärte Schalkes Trainer: „Er versucht das Unmögliche.“

Nicht anderes wird in den Monaten bis zum Saisonende auch von ihm, dem Trainer, erwartet werden. „Der Mensch wächst grundsätzlich am Widerstand“, sagte Gross. In knapp zwei Wochen jährt sich zum ersten Mal der Tag des bisher letzten Schalker Sieges in der Bundesliga. 30 Mal haben sie es seitdem vergeblich versucht. Mit einem weiteren Spiel ohne Sieg am Samstag gegen Hoffenheim würde Schalke den Fabelrekord der ewigen Loser von Tasmania Berlin einstellen.

Was das für ihn, seine Arbeit und seine Mannschaft bedeuten würde, wurde Christian Gross am Samstagabend in Berlin gefragt. „Das wird nicht der Fall sein“, antwortete er.

Zur Startseite