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Dunkle Wolken. Die Fans von Hansa Rostock bereiten dem Verein immer wieder Kummer, hier zünden sie Ende September Pyrotechnik im Spiel gegen den 1. FC Magdeburg.
© dpa

Willmanns Kolumne: Bei Hansa Rostock schlägt die Stunde der Komödianten

Hansa Rostock zerlegt sich wieder einmal selbst. Unser Kolumnist leidet mit dem Verein - und auch noch an einem ganz anderen Virus.

Der neue Deutsche Meister ist spätestens seit Sonntag beschlossen. Die „bösen“ Bayern haben die „guten“ Borussen mit Blechblasinstrumenten, Lederhosen und Ochsenknochen eingekleidet. Und sie, zum Gaudi ihrer herrschsüchtigen Fanmassen, über tauige Wiesen gehetzt und in ihr spaßiges Ruhrgebiet zurück getreten. Dreckige Spannung und hässliche Dramen findet der geneigte Fan seit Jahren nicht mehr in der Bundesliga. Da muss er von Liga eins schon ein wenig nach unten lugen.

Die bayerische Machtdemonstration lief weitestgehend an mir vorbei, da ich mit meinen Innersten zu kämpfen hatte. Nein, es war keine Herbstdepression, die mich einholte. Die sich über mich legte wie ein Haufen frischer Kuhscheisse. Mir die Luft zum Atmen nahm und mich in Demut nach Gevatter Tod rufen sah.

Es war viel, viel schlimmer.

Die Berliner hatten Bananen, die Rostocker nur Stinkehering

Männer leiden nicht gern. Außer beim Fußball. Dort ist das Leid eines der wichtigsten Mittel im Kampf um ALLES! 

Vieles am letzten Polizeiruf 110, der ein Zweiteiler war, und in Rostock und Magdeburg (Magdeburg =1. FC Magdeburg) spielte, ist als Wink des Hansa-Rostock-Schicksals zu verstehen. Böse Geschäftemacher aus Hamburg (= FC. St. Pauli). Schlimme Verbrecherbande=Stasi (= Dynamo Dresden & BFC Dynamo). Rudimentäres Selbstvertrauen der Küstenzonis (= wegen BFC Dynamo, die Berliner hatten immer Bananen und die Rostocker nur Stinkehering). Denn in Mecklenburg wächst ja nüscht außer kriminellen Pflänzchen. Und ein einheimischer Kommissar, der schwer an sich und der Würde Mecklenburgs tragend, von einem Fettnäpfchen ins nächste schwabbelt. Aber worin ist dieser Herr gewandet? In eine Bomberjacke mit orangem Futter (= Dynamo Dresden & BFC Dynamo)! Da haben wir es! Der geschmeidige Hansafan wird sofort alle Anspielungen verstehen. Weil alle Rostocker Hauptfeinde darin vorkommen. Und dieser Polizeiruf 110 lief ausgerechnet am entsetzlichsten Wochenende der Hansavereinsgeschichte. Seit Sonntag bleibt den armen Küstenshantys nur die Frage nach dem großen WARUM?

Ein Virus der Marke Megadeath

Die Ouvertüre zur Hansa-Selbstauslöschung büßte ich von Donnerstag auf Freitag in den wundervollen Aufenthaltsräumen der Notaufnahme unserer Charité ab. Es ist nicht gut, wenn die schlechten Dinge des Lebens in unsere Körper geraten und dort ihren miesen Geschäftchen nachgehen. Ich wurde von einem Virus der Marke Megadeath heimgesucht, der mit seinen Freunden eine exzellente Party in meinen Eingeweiden feierte. Viele Stunden geigten mir die Brothers & Sisters of Mercy das Gekröse.

Hansa Rostocks umstrittener Vorstandsvorsitzender Michael Dahlmann.
Hansa Rostocks umstrittener Vorstandsvorsitzender Michael Dahlmann.
© dpa

Doch ich hatte Glück. Da ich in eine Fred-Perry-Jacke gekleidet war und mir die Harre recht wild vom Schädel standen, ließ man mich unbeschwert wimmern. Ich durfte sogar die Schuhe im Bett anlassen. Ein Pfleger schien mich zu mögen. Ein Fußball-, nein ein Hansafan. Der mich über seine Gemeinschaft aufklärte. Hansa hat seine Katharsis noch nicht hinter sich. Keiner traut aktuell dem anderen. Polizei sichert die Geschäftsstelle. Der Aufsichtsrat schmeißt den Vorstandschef Dahlmann raus. Angeblich würde er mit den Ultras kungeln und sich von ihnen in delikaten Angelegenheiten beraten lassen. Andere meinen, er wäre zurückgetreten. Ein offener Brief an Mitglieder und Fans jagt den nächsten. Die Ultras fliegen von ihrer Südtribüne, nach den Vorfällen beim Spiel gegen Magdeburg wird sie gesperrt. Die Alten erklären den Ultras den Krieg: Ihr seid nicht Hansa! Aber wer sind die Ultras? Und wer die Alten? Seid ihr Hansa?

Die Ultras sind ein großer Haufen. Rechte, Linke, unpolitische, alles dabei. Einige sind Gewalttäter, keine Frage. Andere unterstützen den Verein mit kreativen Ideen und uneingeschränktem, fantastischem Support. Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen? Eine Politikerin, von der es heißt, sie möchte gern Bürgermeisterin werden, sendet kryptische Nachrichten. Der Sponsor und Retter des Vereins wird als undurchsichtiger Geschäftemacher enttarnt. Um im nächsten Moment von der anderen Seite als letzter Ritter gefeiert zu werden. Dann meldet er sich selbst zu Wort und verkündet sein Interesse an einem Aufsichtsratsposten. Hansa forever, forever Hansa. Wer sieht noch durch? Einige Ultras demonstrieren für Dahlmann und fordern den Kopf des Aufsichtsratschef Ahrens. Andere planen schon den Überfall am Samstag auf Dresdner Fans an der Autobahn. Die nächsten denken über eine schicke Choreo nach. Von allen Seiten detonieren rote und schwarze Zahlen…

Endlich kamen verschiedene medizinische Geräte zum Einsatz und ich konnte mich ganz den modernen Formen der Menschenrettung hingeben. Jedenfalls war der Hansafan außer Reichweite, eigentlich wollte ich ja am Samstag selbst nach Rostock fahren… Danke EKG, Ultraschall, MRT. Besonders hübsch erschien mir das galgenhumorige Verhältnis des Notaufnahmepersonals zum allgegenwärtigen Tod. Ich nickte kurz weg und träumte von lachenden Fußballfans mit Blumen im Haar.

Ein Urberliner Pfleger holt mich zurück in die Wirklichkeit.

„Ziehn se mal die Botten aus, dit jeht hier aba nich, an ihnen kann man sich ja schmuddelig machen“.

Ich hatte am Morgen meine Fred Perry Jacke ausgezogen. Darunter trug ich das T-Shirt einer Berner antirassistischen Fußballinitiative. Das war bestimmt ein Fehler.

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