Kolumne So läuft es: Bei Depressionen: Laufen für die Seele
Manuel hat Depressionen. Durch das Laufen sind die Momente der Verzweiflung weniger geworden. Eine Kolumne.
Ich kenne Manuel nun seit über dreißig Jahren. Er war stets ein recht sensibler Charakter. Wahnsinnig still. Wahnsinnig witzig. Aber auch wahnsinnig schwer für mich zu erreichen. Sowohl per Telefon, als auch dann, wenn ich ihm gegenüber saß. Manuel lebt in seiner eigenen Welt, hat seinen eigenen Flow, er galt immer als Sonderling. Wenn Manuel im Raum ist, fühlt man sich sofort wohl. Weil er Wärme ausstrahlt. Weil er eine unglaubliche Freundlichkeit gepachtet hat, mit der er Menschen verzaubert.
Manuel ist wohl der beste Zuhörer den ich kenne. Aber er mag es nicht, über sich zu sprechen. Ich fragte mich oft, was da wohl in ihm wohnte. Oft machte ich mir Sorgen, denn ich konnte ihn über Wochen hinweg nicht erreichen. Er reagierte auf keine E-Mail, auf keine WhatsApp, er ging schon gar nicht ans Telefon. Eines Tages dann platzte mir der Kragen. Und ich schrieb ihm, dass ich gerne wüsste woran ich bei ihm sei. Was für eine Bedeutung unsere Beziehung für ihn habe. Dass sie mir zu einseitig sei. Ich für meinen Teil wollte so nicht weiter.
Er hat abgenommen, er wirkt viel frischer
Mich verletzte sein Abtauchen zu sehr. Manuel rief verschüchtert an. „Mike, es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich Dich mit meiner Art verletze. Aber ich will Dir sagen: Ich kann nichts dafür. Es ist kein böser Wille, dass ich wegtauche, dass ich verschwinde, dass ich nicht zu finden bin. Es gibt oft Tage, da wache ich auf. Und habe keine Kraft.
Ich setze mich hin, nehme den Kopf zwischen die Beine, und verharre so über Stunden. Ich habe vielleicht gerade noch die Power zum Job zu gehen. Ich ziehe die 8 Stunden durch. Dann gehe ich wieder nach Hause. Setze mich wieder hin. Nehme den Kopf zwischen die Beine, für Stunden. Ich höre nichts. Kein Telefon, kein Klopfen, nichts. Ich tauche ab in meine Welt, diese Welt, in der nur ich bin.“ Es ist eine tiefe Depression. Immer wieder habe ich dieses Bild seither vor Augen.
Wie Manuel alleine in seiner Wohnung sitzt, den Kopf zwischen den Beinen, ohne sich zu bewegen. Oft habe ich mit ihm über das Laufen gesprochen, ihm einfach nur davon erzählt. Von den täglichen Läufen, vom Marathon, vom Ultramarathon. Ich habe lange nichts von ihm gehört. Vor einigen Wochen dann doch ein Anruf. Manuel läuft seit einiger Zeit. Noch nicht regelmäßig, aber er läuft. Er hat abgenommen, er wirkt viel frischer. Durch das Laufen sind die Momente weniger geworden. Die Momente mit dem Kopf zwischen den Beinen.
„Es hilft wirklich. Recht hattest Du“, sagte er mir. Es ist nicht neu, dass das Laufen gegen Depressionen ein Stück weit helfen kann. Das Laufen ist oft Teil der Therapie, um diese Krankheit in den Griff zu bekommen. Neu war mir aber, dass ich viel zu wenig über Depressionen weiß. Dass beinahe jeder von uns jemanden mit dieser Krankheit im Freundeskreis hat. Dass wir alle keine Therapeuten sind. Dass wir aber das Laufen haben, das wir anderen nur vorsichtig ans Herz legen können. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. So läuft es.
Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.
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