Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger: "Ausgrenzung prägt einen"
Der frühere Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger spricht über Vielfalt, sein Engagement nach dem Coming-Out und einen Schock in Russland.
- Lorenz Maroldt
- Ronja Ringelstein
Herr Hitzlsperger, Sie haben 52 Länderspiele für Deutschland bestritten, sind mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister geworden und haben als Profi auch in England und Italien gespielt. Anfang 2014 hatten Sie als einer der ersten deutschen Profis Ihr Coming-Out. Das hat Mut erfordert. Woher haben Sie den genommen?
Ich habe eine Zeitlang darüber nachgedacht und mit Freunden im Vorfeld gesprochen. Am Ende habe ich einfach gespürt, dass es richtig und wichtig war, eine Diskussion über Homosexualität im Profifußball anzustoßen.
Wie hat sich die Situation seitdem verändert?
Für mich persönlich hat sich nicht viel verändert. Mein Freundeskreis ist in etwa derselbe geblieben. Erfreulich sind die Veränderungen, die sich in der Politik vollzogen haben hinsichtlich der „Ehe für alle“. Der größte Einschnitt in meinem Leben war, als ich meine Fußballerlaufbahn beendete. Mittlerweile bin ich beim VfB Stuttgart tätig und als Experte im Fernsehen. Die Vielzahl an Aufgaben konnte ich vor vier Jahren nicht vorhersehen.
Seit Ende Mai sind Sie nun auch Botschafter für Vielfalt beim DFB. Diese Stelle gab es vorher nicht. Was bedeutet diese Rolle?
Ich war mit dem DFB ein paar Jahre im engen Austausch bezüglich einer Botschafterrolle. Nun bin ich froh, dass ich meine Erfahrung einbringen kann, vor allem vor dem Hintergrund der bevorstehenden EM-Bewerbung, in der Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt. Auch hinsichtlich der WM 2018 in Russland können wir im Bereich Vielfalt wichtige Impulse liefern. Wichtig ist, dass die Mannschaft dafür steht. Und dass gerade die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Vielfalt repräsentiert, das steht ja außer Zweifel.
Sie hatten Ihr Coming-Out nach dem Ende Ihrer aktiven Karriere. Macht das einen Unterschied?
Unterschied wozu? Ich habe keinen Vergleich. Im Rückblick gibt es aber auch keine Entscheidung, die ich bereue.
Sie nennen sich selbst Antidiskriminierungsinfluencer. Was meinen Sie damit?
Ich engagiere mich und setze meine Bekanntheit für ein gesellschaftspolitisches Thema ein und nicht für ein Produkt.
Beim VfB arbeiten Sie im Management...
Genau, ich bin Mitglied des Präsidiums und zusätzlich zuständig für die Talente im Nachwuchsbereich. Ich möchte auch bei unseren Spielern ein Bewusstsein dafür schaffen, was es bedeutet, Vorbild zu sein. Es ist eine Bereicherung, sich zu engagieren, das will ich weitergeben.
Mit dieser Rolle ist verbunden, dass Ihre Sexualität im Mittelpunkt steht. Kann das auch nerven?
Wenn ich sie in den Mittelpunkt stellen würde, könnte das nerven. Aber ich tue das nicht.
Sie waren mit dem DFB bereits in Russland, kein leichtes Pflaster, was Homophobie angeht. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Vor meinen Reisen zum Confed-Cup für die ARD und als Botschafter für den DFB dieses Jahr war ich, zugegeben, ein bisschen skeptisch. Im Nachhinein war ich froh, persönlich in Moskau und Sankt Petersburg gewesen zu sein. Vor allem der Austausch beim Petersburger Dialog war eine besondere Erfahrung. Ich hatte die Möglichkeit, über meine Rolle als Botschafter für Vielfalt zu sprechen und darüber hinaus mehr über die deutsch-russischen Beziehungen zu erfahren.
Wie wurde das aufgenommen?
Die Anwesenden haben aufmerksam zugehört, sind aber nicht näher auf das Thema eingegangen. Sie wollten lieber über die Sicherheitsaspekte der kommenden WM und ihre Probleme mit Hooligans sprechen. Der prägendste Satz, den dort jemand gesagt hat, war für mich: Die Mehrheit hat Recht. Denn das heißt automatisch auch, die Minderheit hat Unrecht, und im Umgang mit Minderheiten ist man dort nicht zimperlich. Das fand ich heftig. Ich habe dadurch besser verstanden, warum Minderheiten ausgegrenzt werden. Dieser Umgang hat mich schockiert.
Wenn man von Diversity spricht, geht es auch immer um Rechte von Minderheiten, um ethnische, kulturelle, sexuelle Vielfalt, um Menschen mit Behinderung. Was verbindet diese Minderheiten miteinander?
Die meisten Menschen, die einer Minderheit angehören, machen irgendwann die Erfahrung von Ausgrenzung. Ausgrenzung und Zurückweisung prägen einen. Entscheidend ist, wie man mit dieser Erfahrung umgeht.
Kevin-Prince Boateng ist mal mit seinen Kollegen von AC Mailand während eines Spiels vom Platz gegangen, als er rassistisch beleidigt wurde. Das kennt man aus Deutschland nicht. Ist das nicht ein Weg für Teams, die Stadien zu befrieden?
Natürlich. Das gilt für jede Form von Diskriminierung. Es war ein starkes Zeichen, dass die Mannschaft damals geschlossen mit Kevin den Platz verlassen hat.
Die Fans Ihres früheren Klubs Lazio Rom sind bekannt für ihren offenen Rassismus...
Ich habe es hautnah erlebt. Im Störungsmelder…
…einem Blog der Zeit…
…habe ich über meine ersten Erfahrungen geschrieben, selbst Ausländer zu sein. Einer meiner Teamkollegen wurde während eines Spiels rassistisch beleidigt, aber es ist nichts geschehen. Es wurde einfach weitergespielt. Das hat mir die Augen geöffnet.
Sie hatten ja auch Einblicke in den englischen Fußball. Wie ist es dort im Vergleich zu Deutschland?
Der englische Verband ist sehr bemüht und bezieht die Spieler mit ein. Aber auch hier sind es oft zwei Schritte nach vorne und ein Schritt zurück. Innerhalb der Mannschaft habe ich Rassismus nicht erlebt.
Besonders heftige Fälle gab es schon im Berliner Amateur-Fußball. Was würden Sie Eltern raten, deren Kinder diskriminiert werden?
Kevin-Prince Boateng hat neulich in einem Interview gesagt, dass er immer dazu rät, sich bei rassistischen Beleidigungen zu wehren. Er hat es als Jugendlicher in sich hineingefressen und kann aus guter Erfahrung sagen, dass es besser ist, sich zu wehren.
Ihr Ziel ist es, dass ein Umgang mit Homosexualität Normalität wird. Das ist übertragbar auf alle Dinge, die Menschen von anderen Menschen unterscheiden. Was kann Fußball dabei leisten?
Die Nationalmannschaft ist das Aushängeschild des DFB. Wenn weiterhin Vielfalt und Toleranz gelebt werden, ist das ein gutes Signal. Je mehr Spieler sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich engagieren, desto größer ist die Wirkung. Die Bedeutung des Fußballs wird in den nächsten Jahren nicht nachlassen.