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© dpa

100-Meter-Sprint: Auf Berlins blauer Bahn siegt Usain Bolt mit Weltrekord

Das größte Duell dieser Leichtathletik-WM ist entschieden: Im Berliner Olympiastadion, der Stätte der Olympiasiege des großen Jesse Owens, schlägt Usain Bolt seinen Widersacher Tyson Gay im Finale über 100 Meter in Weltrekordzeit von 9,58 Sekunden.

War das noch Laufen, Rennen oder schon mehr als Rasen? Und war die Erschütterung auf der blauen Bahn des Berliner Olympiastadions überhaupt zu messen, die Usain Bolt mit seinen 86 Kilo verursachte? Die Zeit, die er brauchte, falls man es brauchen nennen darf, also die wenige Zeit, die er sich nahm für dieses 100-Meter-Rennen, spricht jedenfalls eher dafür, dass Bolt eine neue Form der Bewegung entdeckt haben muss.

9,58 Sekunden, noch einmal elf Hundertstel weniger als bei seinem ohnehin schon nahezu unglaublichen Weltrekord bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking.

Vom Duell gegen den Amerikaner Tyson Gay blieb auch nur noch die Hälfte übrig, weil Bolt nach fünfzig Metern einfach auf und davon zog. Einen kurzen Blick zur Seite leistete er sich, dann rauschte Bolt durchs Ziel, diesmal ohne zu bremsen, ohne seine Feierlichkeiten schon vorzuziehen vor die Ziellinie wie noch in Peking. Und er verlängerte seinen Lauf mit nahezu unveränderter Geschwindigkeit bis weit in die Kurve hinein, bis fast auf die Gegengerade.

Das Stadion, gefüllt mit 52.000 Zuschauern und vorher schon heiß geworden durch zwei deutsche Silbermedaillen, begann zu brodeln. Es hätte genauso gut mit stillem Staunen reagieren können angesichts dieses Moments. Usain Bolt, 22 Jahre alt, aus Jamaika, ist in neue Dimension vorgestoßen, zu der er in Peking schon die Türe aufgestoßen hatte. Auch wenn nur er selbst und seine Vertrauten wissen, ob es allein sein Talent und sein Training waren, die ihn dahin geführt haben.

„Ich war definitiv bereit für den Weltrrekord“, sagte Bolt nach seinem Lauf der Unglaublichkeit. Er hätte gar nicht gedacht, dass er sich auch nur noch eine Hunderstelsekunde verbessern würde können. „Aber bei mir ist alles möglich.“

Und das sahen alle. Denn es war nicht nur ein schneller Bolt unterwegs am Sonntag, dem zweiten Wettkampftag dieser WM. Selbst wenn Tyson Gay am Ende nicht Schritt halten konnte mit seinem Konkurrenten, so lief er doch so schnell wie nie zuvor, 9,71 Sekunden, die drittschnellste Zeit, die bisher überhaupt erst in der Statistik geführt wird. Und hinter ihm spielte sich noch eine kleine Versöhnung ab, weil Asafa Powell aus Jamaika wenigstens ein bisschen Frieden geschlossen haben dürfte mit großen Meisterschaften durch seine erste WM-Einzelmedaille, erlaufen in 9,84 Sekunden.

Die Coolness hatte Bolt aus dem Halbfinale mitgenommen, als er erst einen Fehlstart verursachte und dann trotzdem lässig über die Bahn rauschte, bis die Uhr im Ziel bei 9,89 Sekunden stehen blieb. Die letzten zwanzig, dreißig Meter schien er dabei jedoch nur gejoggt zu sein.

Seine neue Bewegung deutete Bolt jedoch am Start des Finales an, er schwebte mit seinen Armen nach vorne über die Bahn, als wenn er sie gar nicht berühren musste, um nach 100 Metern wieder im Ziel aufzusetzen. Neben ihm stand Tyson Gay, nahezu ebenso euphorisch vom Publikum begrüßt. Gay ist schließlich auch in historischer Mission nach Berlin gekommen, auf den Spuren seines Landsmanns Jesse Owens will er im Olympiastadion rennen und trägt dazu wie auch seine Teamkollegen dessen Initialen JO auf dem Trikot.

Gay also wirkte neben Spaßmacher Bolt am Start fast ein wenig brav, der Jamaikaner lächelte, tänzelte und nahm dann seine Lieblingspose ein mit seinen Armen zum Himmel zeigend, als wolle er Blitze schleudern. Als der Startschuss fiel und das Feld sich erhob zum Sprinten, war Bolt noch fast ein Schlusslicht, mit der drittschwächsten Reaktionszeit, doch dann nahm er sich die Bahn vor mit seinen Schritten, die einen Meter nach dem anderen einfach verschluckten.

Heraus kam ein Weltrekord. Angeblich ein ungeplanter. „Eine besondere Zeit kann ich mir vielleicht nächstes Jahr vornehmen, wenn keine Meisterschaften stattfinden. In diesem Jahr zählt nur der Weltmeistertitel“, hatte Bolt vor dem Rennen gesagt. Es könnte noch mehr kommen, wenn die Forscher Recht hätten, dass Bolt schon in Peking 9,54 oder 9,55 Sekunden gelaufen wäre, hätte er nur nicht seinen Schritt verlangsamt auf den letzten Metern.

Im Ziel angekommen klopfte er sich aufs Herz. Es dauerte wenigstens gar nicht so lange, bis Bolt wieder ganz menschliche Züge annahm, bis er sich von einem Kampfrichter sagen lassen musste, wohin er jetzt zu gehen habe. Er schien auch tatsächlich etwas schwerer zu atmen, und sein Gesicht war bedeckt von Schweißperlen. Außerdem hatte er vorher angekündigt, etwas ganz Neues zeigen zu wollen für den Fall, dass er tatsächlich Weltmeister werden. Doch es war überwiegend bekannte, wenn auch beim Publikum beliebte Programm, nur dass er diesmal auf der Gegengeraden mit Bronzemedaillengewinner Powell noch einen Tanzpartner dabei hatte. Bolt hatte vorher auch genug geboten, ob es nun noch Sport war oder schon eine außergewöhnliche Abendunterhaltung. „Das ist ein großer Moment der Geschichte“, sagte Usain Bolt in die Nacht hinein. „Aber du weißt nie, was morgen ist.“

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