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Belenus und bretonische Flagge.
© AFP

Brest ist anders als der Rest: Asterix bei der EM

In Brest hält sich die Begeisterung für das Nationalteam in Grenzen. Die rebellischen Bretonen haben es nicht so mit dem Rest Frankreichs. Doch ein wenig Patriotismus hat sich auch hierhin geschlichen.

Um kurz vor Mitternacht gibt es endlich einen Autokorso. Zum gefühlt ersten Mal bei dieser Europameisterschaft, sie kommt ja noch nicht so wahnsinnig gefühlig rüber, aber jetzt ist Frankreich Sieger der Vorrundengruppe A, die Autos hupen, vielleicht wird doch noch alles gut. Und das im westlichsten Zipfel des Landes, in der bretonischen Hauptstadt Brest, wo Frankreich so unfranzösisch daher kommt wie nirgendwo sonst. „Die Bretagne ist ein alter Rebell“, hat Victor Hugo mal gesagt.

Die Bretagne ist die Heimat von Asterix und Obelix. Das berühmte gallische Dorf liegt irgendwo in Aremorica, wie Frankreichs Nordwesten in der Antike hieß. Die Wälder rund um Brest sind berühmt für ihre Megalithen, so werden Hinkelsteine in der Fachsprache genannt. Das Département heißt Finistère, Ende der Welt. Die Europameisterschaft ist weit weg. Zu den nächsten Spielorten nach Bordeaux und Paris sind es jeweils um die 700 Kilometer, weiter als von Berlin nach München.

Es ist noch gar nicht so lange her, da haben Bretonen gebombt, um sich von Paris loszusagen. In den Dörfern wird immer noch Bretonisch gesprochen, neuerdings auch von der Regierung gefördert. Der öffentliche Raum ist in Brest zweisprachig ausgeschildert. „Porzh-houarn“ steht für Bahnhof, und ist „Lec’h labour ar Maer“ nicht ein entzückender Hinweis auf das nächste Krankenhaus?

Das Spiel der Franzosen wird wohlwollend verfolgt, aber nicht stürmisch

Frankreich spielt gegen die Schweiz – auf ins Murphy’s, einen englischen Pub, in dem niemand Englisch spricht, aber hier geht es ums Prinzip. Aus dem Fernseher ertönt die Marseillaise, selbstverständlich singt niemand mit. Die Bretonen haben ihre eigene Hymne, „Bro gozh ma zadoù“, die Melodie dazu teilen sie sich mit den Walisern.

Neulich war Stéphane Guivarc’h in der Stadt, er wohnt ein paar Kilometer außerhalb und ist als bretonischer Held ein gern gesehener Gast bei Fernsehübertragungen. Guivarc’h war einer von denen, die 1998 für Frankreich die Weltmeisterschaft gewonnen haben. Er gehörte auch zur Mannschaft im Finale gegen Brasilien und sieht mit seinen 45 Jahren so aus, als könnte er immer noch gleich auf den Platz springen, wenn es pressiert beim Nationaltrainer Didier Deschamps, auch er einer der Veteranen von 1998.

Das Spiel beginnt, mit stürmischen Franzosen, sie werden wohlwollend verfolgt, aber nicht unbedingt leidenschaftlich. Die Bretagne hat selbst eine Nationalmannschaft, sie nennt sich Skipailh Breizh, hat auch mal ein offizielles Länderspiel gegen Kamerun bestritten und dabei immerhin ein 1:1 erreicht. Das bretonische Tor schoss Lionel Rouxel von En Avant Guingamp, wo früher auch Stéphane Guivarc’h stürmte.

Warum gibt es keine EM in der Bretagne? „Weil es kein angemessenes Stadion gibt“, sagt Romuald Nguyen, er ist leitender Direktor im Französischen Fußballverband. „Glauben Sie mir, unser Präsident ist Bretone, wenn es eine Chance gegeben hätte, dann wäre die Bretagne dabei.“ Eben dieser Präsident, Noël Le Graët, stand zuvor dem Klub EA Guigamp vor. Das Städtchen Guingamp, bretonisch: Gwengamp, fasst 7000 Einwohner, es hat zu Le Graëts Zeiten zweimal den Pokal gewonnen und verfügt über ein Stadion, das gut doppelt so viele Menschen fasst, wie Guingamp Einwohner hat. Aber 18.000 Zuschauer sind eben nicht genug für eine Europameisterschaft. Auch Stade Brest war mal in der ersten Liga vertreten, aber das ist schon ein Weilchen her. Franck Ribéry hat mal hier gespielt und nebenbei auf dem Bau gearbeitet.

Im Publikum sitzt auch einer im französischen Nationaltrikot, er bekommt sein Bier immer als Letzter

Im Murphy’s hält sich die Stimmung in Grenzen. Frankreich müht sich, aber nicht mit besonders viel Esprit. Im Publikum sitzt auch einer im französischen Nationaltrikot, er bekommt sein Bier immer als Letzter. Halbzeit, weiter Richtung Hafen, ein zwanzigminütiger Spaziergang durch das Zentrum. Die Innenstadt von Brest ist mit bescheidener Attraktivität gesegnet. Das liegt vor allem daran, dass die deutsche Wehrmacht bei ihrem Abzug Schutt und Asche hinterlassen hat und nach dem Krieg wenig Geld für behutsame Stadtsanierung zur Verfügung stand. Die bretonische Unabhängigkeitsbewegung hat damals mit den Deutschen kooperiert, was ihrer Reputation ebenso wenig förderlich war wie der Terror der linken Seperatisten in den Sechzigern und Siebzigern. Eine selbstständige Bretagne steht im dritten Jahrtausend nicht mehr auf der politischen Agenda.

Raus in den bretonischen Regen, vorbei an der alten Festungsanlage Richtung Hafen. Im L’Arena, dem angesagten Sportpub von Brest, ist trotz des eher langweiligen Spiels die Hölle los. Es gibt sieben Großbildschirme auf den zwei Etagen, und alle sind irgendwie dabei. Großer Jubel bricht aus, als nach einer Stunde Dimitri Payet eingewechselt wird, der französische Held aus dem Überseedépartement La Réunion. Im L’Arena ist es chic, für Les Bleus zu sein. Payet schießt beinahe ein Tor, aber eben auch nur beinahe. Das Spiel geht zu Ende, kein Tor ist gefallen, mit dem Abpfiff wird der Ton abgedreht und die Musik angestellt. Es bleiben auch ein paar Leute sitzen, aber fünf Minuten später ist das L’Arena weitgehend leer. Nationalstolz ist chic, aber irgendwann ist auch mal gut.

Also zurück ins Murphy’s, über die steilen Treppen am Hafen Richtung Zentrum. Es gibt noch ein letztes Bier, ein „Edelweiss blanche“, obergärig bis zum Gehtnichtmehr, und dann kommt der Autokorso. Zum gefühlt ersten Mal bei dieser Europameisterschaft, sie kommt ja noch nicht so wahnsinnig gefühlig herüber, aber jetzt ist Frankreich Sieger der Vorrundengruppe A, die Autos hupen, vielleicht wird doch noch alles gut. Sieben Autos fahren vorbei, die Insassen schwenken rote Fahnen mit schwarzem Adler.

Brests Albanier feiern ihren Sieg gegen Rumänien.

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