Radprofi John Degenkolb: „Armstrong die Siege abzuerkennen, ist lächerlich“
Radprofi John Degenkolb spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über seine Chancen bei der Rad-WM, den Fall Armstrong und nervende Dopingfragen „Der Blick auf Idole verändert sich mit dem Älterwerden“.
Herr Degenkolb, Sie haben fünf Etappen bei der Spanien-Rundfahrt Vuelta gewonnen und gelten als neuer Sprintstar des deutschen Radsports. Ist der Druck vor dem Rennen bei der Straßen-WM in Valkenburg größer geworden?
Nein, das nicht. Ich habe noch viele Jahre Zeit, um vielleicht einmal Weltmeister zu werden. Ich freue mich über die Ehre, das Nationaltrikot tragen zu dürfen. Wenn ein Platz unter den ersten zehn dabei herausspringt, wäre das super.
Wie sind Sie zum Radsport gekommen?
Mein Vater war auch Radrennfahrer. Und irgendwann hat er mich gefragt, ob ich nicht auch mal ein Radrennen fahren möchte. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch viel Fußball gespielt. Aber über die Jahre hinweg wurde ich immer begeisterter. Mein erstes Radrennen bin ich dann 1997 gefahren – es ging über zwei Kilometer.
Fußball ist eine klassische Mannschaftssportart, Radfahren dagegen viel individueller. Fühlen Sie sich dennoch als Teamplayer?
Radsport hat ein bisschen was von beidem. Im Nachwuchsbereich spielt der Teamgedanke keine große Rolle. Zu Beginn bin ich viel alleine gefahren, große Trainingsgruppen hatte ich nicht. Aber je älter ich geworden bin, desto höher wurde die Leistungsdichte und desto wichtiger wurde ein gutes Team, auf das ich mich verlassen konnte. Ohne eine Mannschaft geht es irgendwann nicht mehr.
Sie starteten Ihre Karriere zu einer Zeit, als der Radsport in Deutschland mit dem Team Telekom einen nie zuvor gekannten Boom erlebte. Hat Sie das motiviert?
Natürlich waren Jan Ullrich oder Erik Zabel Idole für mich und die anderen Nachwuchsfahrer. Viele haben sie vergöttert.
Zabel hat später gestanden, gedopt zu haben, und bei Ullrich gibt es zumindest viele Indizien darauf. Verändert sich in der Nachbetrachtung der Blick auf die Vorbilder von einst?
Der Blick auf Idole verändert sich mit dem Älterwerden ja ohnehin. Ich brauche heute keine Idole mehr. Inzwischen versuche ich selber Vorbild für andere Nachwuchssportler zu sein. Aber wir können uns gerne über andere Dinge unterhalten als darüber.
Naja, wären Sie Ende der Neunzigerjahre in Deutschland erfolgreicher Radsportler gewesen, hätten Sie sicherlich ganz andere Möglichkeiten der Vermarktung gehabt. Inzwischen führt der Radsport angesichts der Doping-Problematik hierzulande ein Schattendasein.
Das ist schade, oder?
Ja, für Sie sicherlich.
Es liegt an uns Nachwuchsfahrern, nicht immer wieder mit dem Thema Doping anzufangen, sondern über das zu berichten, was gerade passiert.
Das Thema bleibt jedoch aktuell: Lance Armstrong könnten seine sieben Tour-de-France-Titel aberkannt werden. Im Fahrerfeld der Vuelta wurde das totgeschwiegen. Warum gehen Sie nicht einfach offensiv mit der noch immer virulenten Problematik um?
Ganz ehrlich: Wenn wir uns hier unterhalten, was kann ich Ihnen über Armstrong und seine Vergangenheit sagen? Ich habe mich damit nie beschäftigt, war nie ein Armstrong-Fanatiker. Ich kenne nicht einmal die Hälfte der Fakten. Was soll ich also dazu sagen?
Sie wissen doch, wie das im Fahrerfeld kommuniziert wurde.
Für uns Fahrer ist es einfach nur lächerlich, Armstrong die Toursiege abzuerkennen und dann irgendwelche Nachfolger zu benennen. Vor allem denke ich aber, dass man das endlich alles abschließen und mit einer neuen Generation beginnen muss. Und die Chance dazu steht derzeit gut, vor allem für die Deutschen. Wir haben eine Reihe an Nachwuchstalenten. Mich ärgert es, dass auch wir jungen immer wieder auf das Doping-Thema angesprochen werden. Wir haben damit gar nichts zu tun und wissen auch nicht, wie wir damit umgehen sollen.
Dennoch kann man derzeit kein Interview mit einem aktiven erfolgreichen Radsportler führen, ohne das Thema anzusprechen.
Wenn man das wollen würde, könnte man das schon. Viele Journalisten wollen das halt nicht.
Es würde niemand verstehen, wenn das Thema Doping vollkommen ausgeklammert werden würde. Aber was macht Sie denn optimistisch, dass der Radsport auf einem guten Weg ist?
Die Ergebnisse. In meinem zweiten Profijahr habe ich elf Siege eingefahren, Marcel Kittel in seinem ersten sogar 16. Alleine das zeigt schon, dass sich der Radsport in den letzten Jahren verändert hat: Solche Debüts im Profigeschäft waren lange Zeit als Newcomer nicht möglich.
Dennoch hat Alberto Contador, der die letzten zwei Jahre wegen Dopings gesperrt war, bei seiner Rückkehr direkt die Vuelta gewonnen. Zuvor feierte Alexander Winokurow olympisches Gold, auch bei ihm wurde Doping nachgewiesen. Fragt man sich da nicht: Was habt ihr hier eigentlich noch zu suchen? Ihr habt dem Radsport das Image mitgegeben, das er jetzt hat.
So ist es nun einmal: Für eine bestimmte Zeit wird man verurteilt und gesperrt. Warum sollte ich diesen Fahrern nach ihrer Rückkehr nicht die Siege gönnen? Im Moment ist die Regelung beim Doping-Nachweis, dass der Betroffene zwei Jahre gesperrt wird. Anschließend darf man wieder mitfahren. Dann kann ich diesen Fahrern auch nicht verbieten zu gewinnen.
Wünschen Sie sich eine härtere Bestrafung für gedopte Radrennfahrer?
Wenn zu 100 Prozent nachgewiesen wurde, dass ein Fahrer gedopt ist – dann ja. Im Moment gibt es diese Regelung noch nicht. Dann müssen wir eben auch damit leben, dass ein Winokurow nach seiner Sperre zurückkommt und seine zweite olympische Medaille holt.
Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?
Ich hoffe, dass mein Team den Sprung in die Pro-Tour schafft und wir bei der Tour de France dabei sind – ein absoluter Traum von mir. Ansonsten werde ich mir keinen Druck machen.
Das Gespräch führte Nicolas Diekmann.