WM 2014 - Holland und Argentinien im Halbfinale: Arjen Robben - der holländische Wundenheiler
Arjen Robben trifft am Mittwochabend mit Holland im WM-Halbfinale auf Argentinien. Der Spieler des FC Bayern München ist in der Form seines Lebens. Das liegt vor allem an seiner Fitness.
Er sei ein bisschen neidisch auf den Arjen Robben von heute, sagte Bert van Marwijk im niederländischen Fernsehen nach dem Viertelfinalsieg über Costa Rica. Der ehemalige Nationaltrainer der Holländer, der die Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika bis in das Finale gegen Spanien brachte, wollte damit aber keinesfalls die Leistungen Robbens unter seiner Ägide schmähen. Ganz im Gegenteil. „Er spielte super im letzten Testspiel vor der WM“, erinnerte sich van Marwijk, doch dann zog sich Robben einen Muskelfaserriss im linken Oberschenkel zu. Er lief dennoch auf, spielte gut – und fast wäre er, obwohl er körperlich bei Weitem nicht bei hundert Prozent war, zum Helden geworden. Im Finale, das Spanien in der Verlängerung mit 1:0 für sich entscheiden konnte, hatte Robben sie auf der Fußspitze, die Führung für Holland, die in dem engen, umkämpften Spiel mit großer Wahrscheinlichkeit zum Sieg gereicht hätte. Doch Robben scheiterte in dieser 62. Minute des Endspiels am spanischen Torwart Iker Casillas.
„Es war der bitterste Moment meiner Laufbahn“, sagte Arjen Robben dieser Tage und gestand, dass er diesen Augenblick nie vergessen werde, wie er schon direkt im Anschluss an die Weltmeisterschaft in Südafrika erklärte: „Der Ball muss rein. So eine große Chance, ein WM-Finale zu gewinnen, kommt nicht so oft – vielleicht nie wieder.“
Dass Holland nur vier Jahre später erneut kurz vor dem WM-Finale steht, ist neben dem Geschick des aktuellen Trainers Louis van Gaal vor allem auch Robben zu verdanken. Der Flügelstürmer ist so stark wie vielleicht nie zuvor in seiner Karriere. Bert van Marwijk geht sogar einen Schritt weiter und gerät ins Schwärmen: „Wer der Beste ist, Messi oder Robben? Arjen. Kein Zweifel möglich.“ Doch wie erklären sich die Leistungen Robbens?
Ein Erklärungsansatz liegt in der von Bert van Marwijk so beneideten Fitness, die Robben mit in das Turnier gebracht hat. Lange Zeit seiner Karriere schleppte er das Image eines Spielers aus „Glasknochen“ mit sich herum. Immer wieder zwangen ihn mal kleinere, mal größere Verletzungen zu mal kürzeren, mal längeren Pausen. Fleischwunde, Leistenprobleme, Rückenprobleme, Muskelfaserriss, Leistenbruch, Schambeinentzündung, Achillessehnenreizung, Muskelriss. Nur ein winziger Auszug aus der langen Krankenakte des physisch einst so labilen Stürmers. Doch das letzte halbe Jahr vor der Weltmeisterschaft verlebte Robben ohne ein einziges Wehwechen. Er habe seinen Körper gut kennengelernt über die Jahre und wisse nun, wann er Vollgas geben kann und wann er sich zurücknehmen müsse, sagte er Ende 2013.
Robben ist auf einer Mission
Im ersten Gruppenspiel der Holländer bei dieser WM, dem teilweise rauschhaften Erfolg gegen Titelverteidiger Spanien, war zu erkennen, was er damit meinte. Robben gönnte sich während des Spiels durchaus seine Verschnaufpausen, in denen er auch der Mannschaft mit seiner Passsicherheit dabei half, Kraft zu schöpfen. Nur um im nächsten Moment förmlich zu explodieren. Wie bei seinem zweiten Tor gegen Spanien, dem 5:1-Endstand. Robben startete auf Höhe der Mittellinie, auf der Jagd nach einem langen Ball aus der eigenen Hälfte. Spaniens Sergio Ramos, mit einigen Metern Vorsprung in das folgende Laufduell gestartet, hatte keine Chance. Mit 37 km/h wurde Robbens Geschwindigkeit gemessen.
Schneller war bei einer Weltmeisterschaft noch niemand vor ihm gerannt. Nicht schlecht für einen mittlerweile 30-Jährigen in der schwülen Hitze Brasiliens und nicht zuletzt ein Indiz für das Vertrauen, das Robben inzwischen in seinen Körper hat. Im Strafraum wartete dann Iker Casillas auf ihn, der Mann, der ihm im WM-Finale 2010 den Triumph raubte. Doch Robben narrte ihn, bis Casillas vor ihm auf dem Boden lag wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken. Dann jagte er den Ball ins Tor. „Ich weiß nie, wo es endet, wenn ich ein Dribbling mache“, sagte er einmal. Doch oft genug und immer häufiger mit einem erfolgreichen Torabschluss oder einem tödlichen letzten Pass.
„Wir sind auf einer Mission“, sagte er vor dem Viertelfinale gegen Costa Rica und meinte die gesamte Mannschaft. Und doch vor allem sich selbst. Er will diesen Titel, unbedingt. Und so ist aus dem „Alleinikow“, wie er in früheren Jahren wegen seiner egoistischen Spielweise betitelt wurde, ein Teamspieler geworden. Nicht unbedingt auf dem Platz – Trainer van Gaal ermuntert ihn geradezu, den Alleingang zu suchen. Dafür umso mehr abseits des Rasens. Vor der Verlängerung gegen Costa Rica war es Robben, der die Mannschaft um sich scharte und beschwörend auf sie einredete. „Es ist beeindruckend, wie er sich um die Mannschaft kümmert“, sagte dann auch der junge Georginio Wijnaldum. Noch ein Grund mehr für Bert van Marwijk, auf den Robben von heute neidisch zu sein, der sagt: „Wir sind noch nicht fertig.“ Es klingt wie eine Gewissheit.
Ilja Behnisch