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Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt
© AFP
Update

Fußball-WM 2018: ARD-Journalist Hajo Seppelt reist nicht zur WM nach Russland

In Russland gilt er wegen seiner Doping-Enthüllungen als Staatsfeind. Deshalb schickt die ARD ihren Journalisten Hajo Seppelt auf Anraten von Sicherheitsbehörden nicht zur Fußball-WM. Eine Bankrotterklärung für die Fifa, meint Reporter ohne Grenzen.

ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt reist nicht zur Fußball-WM nach Russland. Die Entscheidung traf die ARD nach einem Gespräch mit Außenminister Heiko Maas, berichtete die Tagesschau auf ihrer Website am Mittwochabend. Grundlage der Entscheidung waren demnach Gefährdungsanalysen von Bundessicherheitsbehörden, darunter dem Bundeskriminalamt (BKA), der Nachrichtendienste und des Landeskriminalamt Berlin (LKA).

An dem Gespräch mit Maas nahmen der Tagesschau zufolge neben Seppelt die Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg, Patricia Schlesinger, und ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky teil. Der ARD-Sportchef betonte, Seppelts Sicherheit stehe an erster Stelle. „Aus diesem Grund haben wir uns nach intensiver Prüfung der Sachlage und unter Berücksichtigung aller Informationen, die uns vorliegen, für diesen Weg entschieden.“

„Ich bedaure die Entwicklung, aber trage die Entscheidung mit. Den Sicherheitswarnungen des Bundeskriminalamtes kann ich mich nicht verschließen. Insgesamt ist es eine besorgniserregende Entwicklung für den Sportjournalismus, wenn die Ausübung des Jobs bei der Fußball-WM mit kaum kalkulierbaren Risiken und womöglich folgenschweren Konsequenzen verbunden ist", sagte Seppelt nach der Entscheidung.

Der Fall Seppelt ist nach Ansicht des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) eine Katastrophe für die Situation der Korrespondenten in Russland und letztlich für die Fußball-WM und ihre Veranstalter. "Es kann nicht sein, dass ein kritischer Journalist, der mehr macht als eine 1:1-Sportberichterstattung, nicht ohne Angst um die eigene Sicherheit berichten kann", sagte Verbandssprecher Hendrik Zörner dem Tagesspiegel. Ohne die Verantwortung für die eigene Sicherheit den Korrespondenten abschieben zu wollen, heißt das für alle Journalisten vor Ort, vorsichtiger als bisher angenommen das Umfeld zu beobachten. "Das ist der einzig mögliche Hinweis angesichts der aktuellen Situation", sagte Zörner.. „Der Weltfußballverband muss dafür sorgen, dass Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit haben, frei und ungehindert über die Spiele, aber auch über Land und Leute berichten können“, erklärt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. Das gelte nicht nur für Russland, sondern auch für künftige Austragungsländer der Weltmeisterschaft. Die Fifa müsse ernsthaft darüber nachdenken, ob autokratische Regime oder Diktaturen, die die Pressefreiheit mit Füßen treten, die Fußball-WM durchführen dürften.

"Bankrotterklärung für die Fifa"

Christian Mihr, der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, bezeichnet den Fall Seppelt als "Bankrotterklärung" für die Fifa. Es habe sich gezeigt, dass die Versprechen der russischen Regierung, an die der Weltfußball-Verband geglaubt hat, hohl und leer sind. Es sei nun an der ARD, den Beschwerdemechanismus der Fifa in Gang zu setzen. Er wurde für Menschenrechtsaktivisten und Medienvertreter lanciert, die das Gefühl haben, bei ihrer Arbeit im Zusammenhang mit Fifa-Tätigkeiten in ihren Rechten unangemessen eingeschränkt zu werden.

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Aber auch die deutsche Politik sei gefordert, nicht nur laut in Richtung Russland, sondern genauso gegenüber der Fifa zu protestieren. Mihr schränkt ein, dass Seppelt insofern ein Sonderfall ist, dass die Staatspropaganda speziell gegen ihn gerichtet ist. "Von daher ist die Situation nicht mit der in der Türkei zu vergleichen", so der Vertreter von Reporter ohne Grenzen.

In Russland gilt Seppelt als Staatsfeind

Bei der Entscheidung über die Einreise von Seppelt ging es um die Frage, ob der Aufenthalt für ihn ein Risiko sein könne. Die Antwort sei eindeutig "Ja" gewesen. Schriftlich heiße es dazu, "dass das Auswärtige Amt die Analysen auch der zuständigen Innenbehörden ernst nehmen müsse und mit Blick auf Sicherheitsfragen zu keiner andersgelagerten Einschätzung gelangen könne."

Riskant hätte für Seppelt vor allem die bevorstehende Einvernahme durch das staatliche Ermittlungskomitee in der Strafsache Grigori Rodschenkow werden können. Der ehemalige Direktor des russischen Anti-Doping-Zentrum ist Kronzeuge im russischen Dopingskandal. Die deutschen Sicherheitsbehörden fürchten, dass Seppelt in Russland festgesetzt werden könnte, wenn er nach Ansicht des russischen Komitee nicht im geforderten Maße kooperiert. Auch seien "spontane Gewalttaten selbstmotivierter Akteure" nicht auszuschließen.

Seppelt gilt in Russland als Staatsfeind, nachdem er mit seinen Recherchen wesentlich zur Aufklärung des systematischen Sportbetrugs in dem Land beigetragen hatte. Im Mai war ihm das Visum für die WM verweigert worden. Diese Entscheidung war - auch auf internationalen Druck - von Russland wieder zurückgenommen worden.

Aus Sicherheitskreise heißt es, russischen Nationalisten sowie Figuren der Organisierten Kriminalität, ob mit Verbindungen zum Staat oder auf eigene Faust, müsse ein Angriff auf Seppelt zugetraut werden. Konkrete Hinweise auf ein geplantes Attentat  habe es aber nicht gegeben. Als warnendes Beispiel wird der Anschlag auf den ehemaligen russischen Geheimdienstler Sergei Skripal genannt. Der frühere Doppelagent, der für Russen und Briten spioniert hatte, wurde im März zusammen mit seiner Tochter Julija Opfer eines Anschlags mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok. Eine ähnliche Konstellation sei auch im Fall Seppelt nicht auszuschließen, sagen Sicherheitsexperten. Es gebe in Russland ein großes, schwer zu durchschauendes Geflecht aus Geheimdienstlern, Kriminellen, Rockern, Hooligans und Nationalisten.

Patricia Schlesinger, die Intendantin des RBB - bei dem Seppelt Freier Mitarbeiter ist -, bedauert es, dass diese Entscheidung notwendig wurde und Seppelt nun von Deutschland aus an der ARD-Berichterstattung zur WM teilnimmt. "Als erstklassigem Reporter muss ihm in dieser Situation das Herz bluten, trotzdem halte ich die Entscheidung für absolut richtig."

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, der Fall verdeutliche, wie dramatisch es um die Pressefreiheit insgesamt in Russland stehe. „So sehr ich mich auf die Spiele der deutschen Mannschaft freue: Wenn es für deutsche Journalisten zu gefährlich ist, zur WM zu reisen, weil ihnen durch staatliche Behörden die Festsetzung droht, sollten auch deutsche Politiker aus Solidarität nicht fahren“, erklärte sie.

Die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, Dagmar Freitag (SPD), kündigte an, sie werde wegen der Causa Seppelt nicht zur WM nach Russland fahren. „Es ist ein beispielloser Skandal, dass von einem Weltereignis im Sport nicht frei und unabhängig berichtet werden kann“, sagte Freitag dem Tagesspiegel. Es sei „ganz eindeutig die Aufgabe der FIFA, Selbstverständlichkeiten journalistischer Arbeit während der WM sicher zu stellen“. Sie fügte hinzu: „Das dies offenbar nicht geschieht, ist schlichtweg armselig.“ 

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