Australian Open: Anna-Lena Friedsam verliert gegen ihren Körper
5:3 führt Anna-Lena Friedsam im Achtelfinale der Australian Open gegen die Favoritin Agnieszka Radwanska - doch dann streikt ihr Körper.
Und plötzlich kamen die Tränen. Anna-Lena Friedsam konnte sich nicht wehren, die Schmerzen in ihren Beinen waren einfach zu groß. Krämpfe schüttelten die 21-Jährige, die doch Minuten zuvor die große Sensation auf dem Tennisschläger gehabt hatte. Denn sie, als Nummer 82 der Welt, hatte mit Agnieszka Radwanska die Nummer vier am Rande der Niederlage. 5:3 stand es in diesem dritten Satz im Achtelfinale der Australian Open, aber Friedsam konnte das Match nicht zumachen. Stattdessen kassierte sie das Rebreak. Und da spürte sie auf einmal das Stechen im rechten Oberschenkel, sie ließ sich eine Bandage anlegen. „Ich wusste da noch nicht, ob es Krämpfe sind“, sagte Friedsam später, „aber fünf Minuten später wusste ich es dann.“
Beim Stand von 5:5 konnte sie kaum noch stehen und bekam vom spanischen Stuhlschiedsrichter Felix Torralba eine Verwarnung, weil sie so das Zeitlimit zwischen den Aufschlägen überschritt. Die Tränen liefen Friedsam über das Gesicht, die 10.000 Zuschauer in der Arena litten mit Friedsam und hüllten sie in warmen Applaus. Und so kämpfte sie weiter, mit letztem Willen. Die Polin kannte aber kein Erbarmen und schickte ihre leidende Gegnerin weiter quer über den Platz. Zwei Breakbälle hatte Friedsam nun gegen sich – doch es ging nichts mehr. Die Krämpfe schüttelten sie, aufschlagen konnte sie nicht. Torralba fehlte in diesem heiklen Moment das nötige Fingerspitzengefühl, stattdessen verwies er mitleidlos erneut auf die Zeitstrafenregel. Als zweite Verwarnung folgte der Punktabzug und damit das Break zum 6:5 für Radwanska. Bitterer ging es kaum.
„Ich wurde etwas panisch“, beschrieb Friedsam, „weil ich nicht wusste, wie ich mit den Krämpfen umgehen sollte. Das ist mir noch nie passiert.“ Die Physiotherapeuten verabreichten ihr beim Seitenwechsel Salze. „Ja, die fehlten mir wohl“, sagte sie trocken. Sie quälte sich zurück auf den Platz, aber es war nichts mehr zu machen. Radwanskas erster Matchball saß. Mit 7:6, 1:6 und 5:7 war Friedsam ausgeschieden und die Tragik daran war, „dass ich glaube, ich hätte sie geschlagen, wenn das nicht passiert wäre“.
Friedsam brauchte nach dem Spiel Eismassagen
Und das schien nicht übertrieben, denn zweieinhalb Stunden lang hatte Friedsam eine furiose und mutige Partie gespielt und spielte mit Radwanska auf Augenhöhe. Beide boten dem Publikum herrliche Variationen, wie man sie inzwischen viel zu selten auf der Frauentour sieht. Auf zwölf Breaks brachten sie es gemeinsam, und Radwanska bemerkte hinterher ganz richtig: „Der Aufschlag war heute sicher nicht der Schlüssel zum Sieg.“ Sie habe am Ende Glück gehabt, meinte die Polin.
Mit Eismassagen brachte Friedsam nach dem Match langsam wieder Leben in ihren Körper und konnte bei allem Bedauern über ihr Missgeschick ihrem mitreißenden Auftritt in Melbourne doch viel Positives abgewinnen. Erstmals war sie bei einem Grand Slam so weit gekommen. „Das ist eine Bestätigung für meine harte Arbeit und es zeigt, dass die Richtung richtig ist“, sagte Friedsam, „ich bin stolz darauf, wie ich hier gespielt habe. Und fast hätte ich die Nummer vier geschlagen.“
In der Runde zuvor hatte sie bereits mit ihrem Sieg über die US-Open-Finalistin Roberta Vinci für Furore gesorgt. Friedsam scheint angekommen zu sein beim Kräftemessen der Spitzenspielerinnen, im turbulenten Tour-Alltag. Dabei fährt sie nun nach Hause nach Oberdürenbach in der Eifel. Mit ihr leben dort gerade einmal 300 Einwohner. Es gibt im ganzen Ort keine Kneipe, keinen Laden, keinen Bäcker. „Dafür viele nette Menschen und sehr viel Ruhe“, sagte sie strahlend. Mit der Ruhe dürfte es nach ihrem Lauf in Melbourne aber bald vorbei sein.
Petra Philippsen